Orden wider den tierischen Ernst : Spitzzüngige Marktfrau überzeugt im Narrenkäfig
Aachen Jeanne D’Arc, Marktweib, Powerfrau und Ritterin – Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner ist am Samstagabend im Aachener Eurogress mit dem Orden wider den tierischen Ernst des Aachener Karnevalsvereins ausgzeichnet worden. Die gut vierstündige Revue hatte viele Höhen und wenige Tiefen und wird sicher in besserer Erinnerung bleiben als manche AKV-Sitzung zuvor.
Natürlich hat jeder Mensch eine zweite Chance verdient. Auch Politiker. Oder Karnevalisten. Und Politiker, die sich zum Narren machen, ganz offiziell. Auf jecken Bühnen. Wie dem Aachener Eurogress. Fangen wir daher den Blick auf den tierischen Ernst 2019 mit einer doch ernsten Rückblende an.
27. Januar 2018: Die damalige Vize-Chefin der CDU Julia Klöckner gibt beim Orden wider den tierischen Ernst die Postbotin. Als Teil des närrischen Programms rund um Ordensritter Winfried Kretschmann. Briefträgerin Klöckner schickt sich mit ihrem Vortrag vehement ins jecke Abseits, bei der Leser-Jury unserer Zeitung landet die „Christel von der Post“ mit Abstand auf dem letzten Platz. Hätte man es damals schon besser gewusst, man hätte ihr bereits ein Siegel verliehen – für närrisches Unwohl.
Vielleicht hat den Aachener Karnevalsverein das Schicksal der Rheinland-Pfälzerin doch so gerührt, das er sie flugs zur 70. Ritterin wider den tierischen Ernst kürte. Damit sie wieder zurückkomme ins Grenzland, um einen zweiten Versuch zu starten. Wobei – so viel Gendergerechtigkeit muss auch im Karneval möglich sein – Julia Klöckner natürlich nicht die 70. Ritterin, sondern erst die sechste in der Geschichte des AKV ist. Die Herrenriege hat`s (noch) nicht so mit Gleichberechtigung im Karneval. Ein Anlass, einmal mahnend die Trumm zu schlagen. Was Julia Klöckner am späten Abend nach ihrer Inthronisierung dann auch tun wird!
Sollen wir das Ergebnis vorwegnehmen? Auf die Gefahr, dass der ein oder andere jetzt nicht weiter liest? Es gehört sich einfach, das zu tun. Wer mit dem Negativen der Vergangenheit beginnt, sollte das Positive der Gegenwart nicht warten lassen. Also: Julia Klöckner hat sich prima geschlagen im Aachener Narrenkäfig. Keck und kokettierend, ein wenig nachdenklich machend, ein bisschen mahnend, ein bisschen Alltagspolitikerrhetorik – die Mischung stimmte bei ihrem Debüt im Narrenkäfig. Gut zwei Meter rechts von der Bühnenposition, auf der sie vor Jahresfrist als Christel baden ging, legte sie am späten Samstagabend als Ritterin alles in närrisch-trockene Tücher. Alaaf!
Reinen Wein wolle sie einschenken, kündigte die ehemalige Weinkönigin ein. Und zeigte alles andere als trockenen Humor. Als sechste Frau in 70 Jahren die Ritterwürde zu erhalten, sei schon eine ziemlich bemerkenswerte Angelegenheit, bekannte Klöckner. Um sich quasi selber die Steilvorlage zu einem Parforceritt durch die Gleichberechtigungsdebatte zu geben. Mit Augenzwinkern. Nicht viele Frauen würden ihr einfallen, wenn es um Pleiten wie Berliner Flughafen oder Bahnpünktlichkeit gehe. Und die Welt sei voll talentierter Jungs – zum Beispiel Trump, Kim Yong Un oder Putin. Und ganz ernst: „Frauen entscheiden heute selbst – und das ist auch gut so.“
Dass das auch in der westlichen Gesellschaft nicht immer so ist, prangerte die Ordensritterin an. Sie wehrte sich gegen frauenverachtende Fundamentalisten. Wer den Anblick unverschleierter Frauen nicht ertrage, solle Augenklappen tragen. „Wer hier in Freiheit leben will, lebt unser Recht, nicht wie er es will.“ Das Saalpublikum zollte lautes „Bravo“, die Band servierte ein paar Tuschs – Klöckners Redestrategie ging offensichtlich auf. Ebenso bei den Themen Landwirtschaft und Ernährung. Ein wenig den mahnenden Zeigefinger gehoben, ein wenig oberlehrerinnenhaft, aber doch auch immer mit einem Augenzwinkern. Ein Balanceakt zwischen Ernst und Jeckerei, bei dem Julia Klöckner nicht drohte, auf einer Seite auf die Nase zu fallen.
Wie bei der politischen Farbenlehre. Die Tomate als Symbol für Andrea Nahles, der Christian Lindner als Zitrone, der Söder als Radi und die Wagenknecht als Paprika – alle bekamen sie irgendwie und ein bisschen ihr Fett weg. Bis zur faulen Banane – Synonym für die AfD. Ihr gönnte Julia Klöckner nur einen Vierzeiler: „Europa braucht starke Demokraten, und keine, die Europa verraten. Denn nur die dümmsten Kälber, wählen ihre Metzger selber.“ Das „Oche Alaaf“ zum Abschluss kam ihr phonetisch etwas unbeholfen über die Lippen, die in solchen Fällen immer als „stehend“ beschriebenen Ovationen der Jecken im Saal waren ihr dennoch sicher.
Politisch trennen Julia Klöckner und ihren Vorgänger im Ritterkäfig, Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann, Welten, beim AKV sind sie sich in fast inniger Zuneigung zugetan. Es war schon fast eine närrische Liebeserklärung, die Ritter Winfried in seiner Laudatio der Ritterin zuteil werden ließ, dieser „Jungfrau von Orleans“ aus Bad Kreuznach. „Stark, mutig und unkonventionell“ sei sie. Und Humor habe sie ohnehin – was übrigens für jeden gelte, der in die CDU eintritt.
Kretschmann, ein Fastnachtsfan wie Klöckner, aber einer, der seinen Humor bisweilen auch ziemlich gut verstecken kann, gönnte Klöckner einen Minnesang: „Ich bin kein Romeo fürwahr, doch Du bist eine Julia. Und meine Lieblingsritterin. So wahr ich Ritter Winfried bin.“ Das war schon fast zu viel des Guten, ein paar Seitenhiebe mehr – neben Kükenschreddern und Ferkelkastration – auf die politische Gegnerin hätten Kretschmanns Laudatio sicherlich gut getan. Doch der Schwabe geizte lieber mit Boshaftigkeit und Ironie – was auch schon wieder fast sympathisch war.
Klöckner und Kretschmann, sie überzeugten auf der AKV-Bühne. Was man an diesem Abend sicherlich nicht von jedem sagen konnte. Es ist seit Jahren typisch für den Orden wider den tierischen Ernst, auch Menschen auf die Bühne zu lassen, die dies lieber lassen sollten. Das Schicksal ereilte am Samstag CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak. Man musste schon sehr angestrengt lauschen, um seine Rede zumindest akustisch zu verstehen. Die Unterhaltungen an den Tischen im Saal waren da besser zu vernehmen. Was für die Kommunikationsfreudigkeit des Publikums und gegen Büttenredner Ziemiak spricht.
Auch Justizministern Katarina Barley zeigte in ihrer Rolle als Freiheitsstatue wenig Talent zum öffentlichen Vortrag in närrischer Mission. Da haben andere schon besser langweilige Reden vom Teleprompter abgelesen. Wesentlich besser machte es Polit-Kollegin Nicola Beer. Die FDP-Generalsekretärin kam frech und erfrischend als „Trümmerfrau“ daher, die dem starken Geschlecht äußerst charmant zu verstehen gab, wie schwach es ohne die Frauen ist.
Um dann TV-technisch ganz auf Nummer sicher zu gehen, greifen der AKV und sein Haussender WDR gerne auf absolut Bewährtes zurück: Profis. Auf der Bühne, Im Karneval und beim Kabarett. Ingo Appelt zum Beispiel. Der ist einfach ein cooler Hund, der jeden Saal in den Griff bekommt, und dem man ob seiner sympathischen Schnodderschnauze auch die ein oder andere platte Zote verzeiht. Der Mann hat es einfach drauf.
Ebenso Hastenraths Will, dessen jecke Masche – deutsche Haupt- und Nebensätze in falscher Anordnung – man zwar hinlänglich auch von Berühmteren kennt. Aber der jecke Bauer hat in Aachen sein Heimspiel – zu Recht. Oder Wilfried Schmickler, der als Kaiser Karl eine bitterböse Abrechnung mit rechten Kräften in Politik und Gesellschaft lieferte. Ein Ausrufezeichen!
Und der Karneval? Stimmt. All das hat mit echtem, traditionellen Karneval nur bedingt zu tun. Für den folkloristischen Teil, für die Urwüchsigkeit und die so liebenswürdige Heimatverbundenheit sorgen beim Orden wider den tierischen Ernst die lokalen Kräfte. Die Kindertanzgruppe „Little Diamonds“ – sensationell gut! – die Öcher Orginale – stimmgewaltig – die „4 Amigos“ – noch viel stimmgewaltiger – die großen und kleinen Prinzen, die Garden, die Tanzgruppen und, und, und.
Die ARD zeigt am Montagabend eine gut zweistündige Zusammenfassung. Was es aus den vier Stunden Programm in die TV-Zusammenfassung schafft, ist der Gnade und dem Schnitt der Regisseure des WDR vorbehalten. Man darf gespannt sein. Und wer nicht weiß, dass Montagabend ab 20.15 Uhr eine Aufzeichnung ins Wohnzimmer flimmert, der wird sich vielleicht wundern, dass Jens Riewa ab 20 Uhr die Tagesschau-Nachrichten in Hamburg vorliest, um in unmittelbarem Anschluss mit AKV-Elferrat David Lulley und AKV-Präsident Werner Pfeil in Aachen die Ordenssitzung zu moderieren. Sachen gibt’s...