Karlspreis 2022 : Aachen feiert die „mutigsten Frauen Europas“
Update Aachen Die Verleihung des Internationalen Karlspreises an die belarussischen Oppositionellen Swetlana Tichanowskaja, Maria Kalesnikava und Veronica Tsepkalo wurde am Donnerstag zu einem aufrüttelnden Plädoyer für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte.
Der Karlspreis 2022 ist am Donnerstagmittag im Aachener Rathaus an die belarussischen Aktivistinnen Swetlana Tichanowskaja, Veronica Tsepkalo und die inhaftierte Maria Kalesnikava, die von ihrer Schwester Tatsiana Khomich in Aachen vertreten wird, verliehen worden.
Das außerordentliche und entbehrungsreiche Bemühen der Oppositionellen um Demokratie und Freiheit in ihrer Heimat Belarus, kulminierend in den Ereignissen um die manipulierte Präsidentschaftswahl 2020 und die folgenden Demonstrationen, stellte Außenministerin Annalena Baerbock in ihrer äußerst emotionalen Laudatio besonders heraus. „Ich weiß nicht, ob Euer Protest typisch weiblich ist. Ich weiß aber, dass Ihr für viele Millionen Frauen in ganz Europa große Vorbilder seid. Eure Geschichte erzählt auch vom hohen Preis, den Ihr zahlen musstet und müsst. Ihr zeigt, wie wertvoll ein freies und selbstbestimmtes Leben ist. Wir müssen uns das bewusst machen und alles in unseren Kräften Mögliche tun, Euch in Eurem Kampf zu unterstützen.“
Baerbock, die die wichtige und geglückte Wahl des Karlspreis-Direktoriums mehrfach herausstellte, sagte: „Das ist eine große Ehre, die Laudatio auf die mutigsten Frauen Europas halten zu dürfen.“ Und direkt an die Preisträgerinnen gewandt: „Der Protest in Belarus ist nicht vorbei. Er ist auch nicht vergessen. Wir stehen an Eurer Seite. Wir hören Euch, wir haben Euch nicht vergessen!“
Die Ministerin warf dem seit mehr als einem Vierteljahrhundert regierenden Machthaber Alexander Lukaschenko in Minsk vor, Russlands Krieg in der Ukraine zu unterstützen. „Lukaschenko geht mit erschreckender Härte gegen seine Kritiker vor“, sagte Baerbock. „Damit stellen sich das russische und belarussische Regime mit menschenverachtendem Zynismus gegen all das, was uns in Europa ausmacht, all das, wofür Ihr drei, kämpft: Frieden, Freiheit, Demokratie und Menschenrechte.“ Für sie sei klar, „dass wir in Zukunft noch kritischer hinschauen, noch entschiedener handeln müssen, wenn unsere Werte und unsere Freiheit angegriffen werden“.
Die hartnäckigen Bemühungen um die Befreiung der etwa 1500 politischen Gefangenen in Belarus und um freie Wahlen setzen die Aktivistinnen nach ihrer Flucht aus dem Heimatland nun aus dem Exil fort. Starke und ermutigende Worte für die Demokratiebewegung konnte Tatsiana Khomich bereits am Mittwochabend von ihrer seit 20 Monaten inhaftierten Schwester Maria Kalesnikava übermitteln, auch wenn Kalesnikava seit Anfang der Woche vom belarussischen Geheimdienst als „Terroristin“ eingestuft wird und somit der Gefahr ausgesetzt sein kann, zum Tode verurteilt zu werden.
Trotz vieler Repressionen durch das Lukaschenko-Regime halten die drei Frauen, unterstützt von vielen Mitstreiterinnen und Mitstreitern im eigenen Land und außerhalb, an ihrem Ziel fest. Den Karlspreis, so betonte es Swetlana Tichanowskaja in der Dankesrede, sehen sie als Ermutigung, dass „unser friedlicher Kampf um Demokratie und Freiheit in der Welt wahrgenommen wird“. Sie erklärte zudem die Solidarität mit den Menschen in der Ukraine und formulierte den großen Wunsch: „Vergessen Sie die Menschen in Belarus nicht!“
Aachens Oberbürgermeisterin Sibylle Keupen wertete die Vergabe des Karlspreises an die drei Bürgerrechtlerinnen als Zeichen der Solidarität und Unterstützung. Die drei Frauen träten mit unzähligen anderen in Belarus für das ein, was den Kern der europäischen Idee ausmache: Menschenrechte, Frieden und Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Solidarität. In autokratischen Staaten sei die Zivilgesellschaft ein wichtiges Gegengewicht. Keupen: „Den mutigen Kräften, die gegen Willkür, Unterdrückung und Verletzung der Menschenrechte eintreten, möchten wir heute den Preis widmen und sie für einen Moment in den Fokus der internationalen Öffentlichkeit stellen.“ Die Preisträgerinnen seien „ein Licht in dunklen Zeiten“.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier würdigte die Preisträgerinnen für ihren mutigen Einsat. Das deutsche Staatsoberhaupt schrieb persönliche Briefe an die drei Bürgerrechtlerinnen, wie das Bundespräsidialamt am Donnerstag mitteilte. „In Belarus hat der friedliche und noch immer brutal unterdrückte Aufbruch in die Zukunft ein weibliches Gesicht“, hieß es in den Schreiben. „Als mutige und starke Frauen haben Sie der Diktatur die Stirn geboten.“
Steinmeier schrieb zudem, dass der Blick aktuell verstärkt auf die Ukraine gerichtet sei. „Wir müssen in Europa, auch bei uns in Deutschland, leider sehen, dass wir Freiheit und Sicherheit nicht für selbstverständlich halten dürfen.“ Und: „In Belarus wissen Sie schon lange, dass die Verteidigung der Freiheit Kosten mit sich bringt.“
Nach der Preisverleihung fand auf dem Katschhof eine Friedenskundgebung statt, an der die Preisträgerinnen teilnahmen. Dabei sprachen auch die Präsidentinnen des Deutschen Bundestages, Bärbel Bas, und des Europäischen Parlaments, Roberta Metsola, sowie Karlspreisträger Martin Schulz (SPD/Würselen). Sie alle fanden eindringliche Worte für die neuen Preisträgerinnen und betonten, dass Europa nur funktioniere, wenn es Frieden in Belarus und in der Ukraine gebe. Der Katschhof war dicht gefüllt; die Menschen feierten die Gäste aus Belarus und bekundeten ihre Solidarität mit ihnen und ihrem Anliegen.
Weitere Eindrücke von der Veranstaltung sind auf dem Instagram-Kanal von AZ und AN zu finden:
