Leserbriefe zu Religion in der Politik : Kritik von unten und Hilfe von oben
Meinung Aachen Wie viel Platz sollte Religion in der Politik eingeräumt werden? Unsere Leserinnen und Leser diskutieren über den Eid zum Amtsantritt und wieso Tradition wichtig ist.
Zahlreiche Zuschriften haben uns zum Leserbrief von Heiner Jüttner aus Aachen erreicht, der zum einen die Zulässigkeit der religiösen Formel im Eid beim Amtsantritt hinterfragte und sich zum anderen Ministerinnen und Minister wünschte, die das Amt auch ohne Unterstützung einer überirdischen Kraft bewältigen können.
Günther Duikers aus Stolberg meint dazu:
Die Grundfrage ist, ob wir nur auf unsere menschlichen Fähigkeiten und Ideale vertrauen oder einer höheren personalen Instanz verantwortlich sind. Die Väter und Mütter des Grundgesetzes (GG) haben sich – auch und gerade nach den Schrecken des Dritten Reiches – für letzteres entschieden und die Präambel des Grundgesetzes mit einem Gottesbezug eingeleitet. Die Eidesformel (Artikel 64 GG) hängt hiermit zusammen. Man mag dies alles für inhaltsleer oder falsch halten und könnte eine Änderung des Grundgesetzes fordern. Sie wäre wohl nur schwer zu erreichen und würde vielleicht gar nicht dem Willen der Volksmehrheit entsprechen. Im Übrigen müssen gläubige Menschen keine schwachen Wesen sein. Mir fallen hierzu einige Politikerinnen und Politiker der verschiedenen Parteien ein.
Hans-Wolfram Kupfer aus Aachen antwortet:
Mein mir befreundeter ehemaliger Beigeordnetenkollege zwingt mich, meinen Grundsatz aufzugeben, nie einen Leserbrief zu schreiben, weil ich ihm nachhaltig widersprechen muss. Seine Ausführungen beginnen schon mit einem Irrtum. Denn die Eidesformel der Bundesminister ergibt sich aus dem Grundgesetz, Artikel 56 Absatz 2, die mit dem Satz endet: „So wahr mir Gott helfe.“ Wenn es dann weiter heißt, „Der Eid kann auch ohne religiöse Beteuerung geleistet werden“, so bleibt es doch bei diesem Zusatz, den wegzulassen im Einzelfall entschieden werden kann. Diese Fassung der Eidesleistung ist gemäß Paragraf 3 Bundesministergesetz auch für die Mitglieder der Bundesregierung verbindlich. Und dann meint er, die grundgesetzlich verankerte Religionsfreiheit verbiete es, sich bei der Eidesleistung, also der Beteuerung der gewissenhaften Erfüllung der Ministerpflichten, auf Gott zu berufen. Bei dieser Auffassung kann er kaum bleiben, wenn er die Präambel des Grundgesetzes liest, wo es heißt: „Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen … hat sich das deutsche Volk … dieses Grundgesetz gegeben.“ Und welchen Inhalt hätte die sonst so beliebte Beschwörung der Toleranz noch? Ansonsten bestreite ich ihm seine Meinung nicht. Nur will ich für mich erklären, dass ich unser Land und mich selbst in besseren Händen weiß, wenn seine Diener sich selbst auch in der Verantwortung vor einer höchsten Macht sehen und sich nicht selbst Maßstab ihres Handelns sind.
Christoph Schönberger aus Aachen liefert „eine notwendige Replik“:
Der Kommentar, ein Ausdruck von Traditionslosigkeit. Die uralte religiöse Beteuerungsformel bei jedem Eid symbolisiert den Bund zwischen Mensch und Gott. Für einen Atheisten Nonsens, aber das ist keine Mehrheitsmeinung. Sich darüber zu echauffieren, ist kein Ausweis von Toleranz, sondern von Engstirnigkeit. Si tacuisses ...
Kathrin Biermann aus Aachen betont:
Der Schreiber des Leserbriefes sieht in der Vereidigungsergänzung „So wahr mir Gott helfe“ eine Provokation der nicht christlichen Bevölkerung und bezweifelt, dass sich diese Bekundung mit dem Gedanken der Religionsfreiheit verträgt. Dazu möchte ich anmerken: Zum einen vertrauen gläubige Menschen muslimischen und jüdischen Glaubens ebenfalls auf Gottes Hilfe, nicht nur Menschen christlichen Glaubens. Zum anderen heißt es im Grundgesetz: (1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. (2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet. Jeder sollte also ungestört seine Religion nach seinem Glauben und Gewissen ausüben können. So wie es Ihnen freisteht, nicht zu glauben, steht es den betreffenden Ministerinnen und Ministern frei, zu glauben und dieses Bekenntnis bei ihrer Vereidigung kundzutun. Wer ein Kreuz auf einem Berg, einen Kirchturm, eine Moschee oder den Ruf eines Muezzins, eine Synagoge, eine Kippa oder eben die Äußerung einer Person ihres persönlichen Gottvertrauens als Provokation versteht, interpretiert meines Erachtens den Artikel zur Glaubensfreiheit sehr einseitig und versucht, seinerseits Menschen in der Freiheit ihres religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses einzuschränken. In diesem Sinne wünsche ich allen, die sich darüber freuen können, frohe Weihnachten!
Hans Peter Kohlhaas aus Baesweiler konstatiert:
Kommt mir immer wieder in den Sinn, dieser Leserbrief, in dem jemand schrieb, er verstehe nicht, warum ein Politiker die Schwurformel „So wahr mir Gott helfe“ benutzt. Er, der Schreiber, vertraue doch lieber den Politikern, die ohne Gottvertrauen, nur auf die eigenen Fähigkeiten vertrauend, agieren. Ich weiß nicht, mir ist nicht geheuer bei dem Gedanken, von gottlosen Menschen regiert zu werden. Eine Orientierung an christlichen Werten kann doch so schlecht nicht sein. Und ist es nicht eine Form von Selbstüberschätzung zu denken, man könne ohne Hilfe „von oben“ zurechtkommen in dieser Welt?
Peter Fischer aus Gangelt fragt:
In seinem Leserbrief zur Vereidigung der neuen Ministerinnen und Minister fragt Herr Jüttner, ob es in unserem Staat, „bei dem die Religionsfreiheit im Grundgesetz verankert ist“, zulässig ist, dass bei diesem Anlass „unaufgefordert“ der Zusatz „So wahr mir Gott helfe“ angehängt wird. Merkt Herr Jüttner gar nicht, welches „faule Ei“ er sich da in sein Nest gelegt hat? Eben diese garantierte Religionsfreiheit ermöglicht es, freiwillig diese Formel auszusprechen. Dann schreibt Herr Jüttner von einer „Provokation jener Hälfte der deutschen Bevölkerung, die nicht christlichen Kirchen angehört.“ Woher nimmt er die Gewissheit, dass der erwähnte „Gott“ einer der christlichen Kirchen ist und nicht der des Judentums, Islam, Sikhismus, Bahaitums, Jesidentums, Zoroastrismus …? Und seine Aussage, diese Formulierung sei „… ein Eingeständnis, das wichtige Amt nicht allein ausfüllen zu können, sondern nur mit fremder Hilfe …“, spricht von großer Überheblichkeit.
Harald Werner aus Aachen schreibt:
Ich finde, es gibt Momente im Leben, da braucht man auch einmal göttliche Unterstützung oder Eingebungen. Auch wenn es dann heißt: Hilf dir selbst, so hilft dir Gott! Nichts ist schlimmer als Leute, die sich für unfehlbar halten. Auch finde ich es sympathisch, wenn christliche Werte nicht nur mein Handeln beeinflussen – obwohl, oder gerade deswegen, diejenigen, die das C im Namen haben oder das C leben sollten, damit schon einmal heftige Probleme haben. So viele Menschen haben einen Halt im Glauben, insbesondere, wenn es uns schlecht geht. Bei so vielen Dingen, die uns umgeben, könnte man eigentlich jeden Tag sagen: So wahr uns Gott helfe!