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Aachen: Zwischen Hochzeit und lästiger Leiche

Aachen : Zwischen Hochzeit und lästiger Leiche

Irgendwie wird man das Gefühl nicht los, von einem Alptraum zum nächsten zu taumeln, ein Zustand, der sich etwa nach einer viel zu reichhaltigen Mahlzeit einstellen kann.

Figuren und Begebenheiten bewegen sich in Schwindel erregenden Kreisen um sich selbst, aber auch um Gott und die Welt - speziell um ihren russischen Teil: „Fußbodenbelag” („Polovoe pokrytie”) ist der Titel eines Stückes der russischen Brüder Oleg und Wladimir Presnajkow, das 2002 in Talinn uraufgeführt wurde und im Großen Haus des Aachener Theaters am Wochenende seine deutsche Erstaufführung fand.

Regisseur Michael Helle sowie Bühnen- und Kostümbildner Dieter Klaß haben sich der Inszenierung dieses Werkes angenommen, das - wie alle Stücke der zurzeit gefeierten Autoren - mit Ironie und Skurrilität russischen Alltag und russische Seele sezieren will. Da brechen Aggressionen aus, wo zuvor auf dünnem Eis getanzt wurde, schlagen Liebe in Hass, Witz in Boshaftigkeit, Spiel in Mord und Ausschweifung um.

Der „Fußbodenbelag”, den Dieter Klaß mit schmutzig grün-schwarzem Muster auf der spitz ins Publikum gebauten Bühne bis zu den Wänden hinauf gestaltet hat, ist dabei jene „Haut”, die die Brüder Presnjakow aufschlitzen und so allerhand zutage fördern, was den Ausdünstungen der unter Dielenbrettern entdeckten Leiche entspricht.

Fragwürdiges Trio

Zwei Brüder stehen im Mittelpunkt der Handlung. Denis Pöpping spielt mit viel Energie den kindlich-panischen Nikolai. Sein Gegenüber ist Daniel Drewes als Andrej, bei dem sich nach und nach das glatte Lächeln in den Ausdruck entsetzter Irritation und blanker Angst verwandelt. In ihrer Mitte komplettiert Karl Walter Sprungala als fragwürdiger und listiger Vermieter Igor Igorjewitsch ein Trio, das von einem Unglück ins nächste stolpert.

In Gemeinschaft mit der lästigen Leiche (bewundernswert Ulrich Haß) begeben sie sich auf eine irrwitzige Reise. Doch das Stück, das in der Frage gipfelt „Wie willst du leben, wenn du tot bist?”, zeichnet mit mäßiger Originalität lediglich jene gesellschaftskritischen Bilder, die längst bekannt und in anderen Werken schon weit scharfsinniger und pointierter zum Bühnenereignis geformt wurden: aussichtslose Suche nach Lebenssinn, Mitgefühl, Trost, wahrer Liebe, Güte und Treue.

Selbst die Kritik an grausamer russischer Bürokratie kommt bieder daher: Gewiss verdient der ermüdend lange und talentiert vorgetragene Monolog des kleinen Jungen (Moritz Feldmann/Markus Krings) über Rubinsteins Leiden beim Grenzübergang Respekt, aber er verpufft im Gewusel dieser Farce.

So können Regisseur Michael Helle nur ein paar wirklich prägnante Episoden gelingen - wenn etwa die gesamte Brautgesellschaft am langen Tisch den Fußbodenbelag sprengt und von der „Unterwelt” auf die Bühne gehoben wird oder wenn nach Prügelei und Totschlag die verwüstete Bühne vom Ensemble, dem noch Messer und Gabeln und Brust und Rücken stecken, samt Kehrwagen mit einem markigen Lied auf den Lippen geräumt wird. Mit bewundernswertem Einsatz ist das Ensemble darum bemüht, den Anliegen der Presnjakows Gestalt zu geben.

In weiteren Rollen: Lorenz Claussen, Marita Breuer, Christian Schulz, Cornelia Dörr, Enrique Keil, Nathalie Schott und Heino Cohrs. Gregor Schwellenbach sorgt für die Musik. Alle erhalten freundlichen Beifall.

„Fußbodenbelag”, Farce von Oleg und Wladimir Presnjakow, deutsche Erstaufführung, Theater Aachen, Großes Haus, 19.30 Uhr (zwei Stunden ohne Pause).

Aufführungen auch am 28. Mai, 1., 5., 8. Juni (20 Uhr), 10. Juni, 17. Juni (20 Uhr), 24., 30. Juni, 2. 7., 9. Juli.

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