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Aachen: Wo sich Hoffnungen und Energien auflösen

Aachen : Wo sich Hoffnungen und Energien auflösen

Alles zerfällt, verschwimmt, treibt fort. Trotzdem ist in der szenischen Umsetzung von Joseph Conrads Erzählung „Ein Vorposten des Fortschritts” im Mörgens des Theaters Aachen eines der wichtigsten Bilder gar nicht zu sehen: der Kongo-Fluss.

Auf ihm bringt ein Dampfer die beiden Kolonialbeamten Kayerts und Carlier, zwei - bei Lichte betrachtet - gescheiterte Existenzen, zu einem abgelegenen „Vorposten des Fortschritts”, auf dass das Duo dort den Einheimischen viel Elfenbein abhandele.

Doch Einheimische, Klima, Weite und alles andere ist an diesem abgelegenen Ort stärker als Carlier, Kayerts und ihre Vorstellungen von Moral, Tugend, Christentum und anderen sowieso nur beschwafelten Ordnungsfaktoren.

Was Regisseur Ulf Otto und Dramaturg Kay Wuschek gemeinsam mit den Schauspielern Cornelia Dörr, Jan Viethen und Laurens Walter in den Raum gestellt haben, besitzt impressionistische Züge.

Zwar wird eine kontinuierliche Geschichte erzählt. Ein Element der Stärke erhält die Aachener Inszenierung des aus den 90er-Jahren des 19. Jahrhunderts stammenden Textes aber durch ihr Vermögen, starke Bilder, die in einander übergehen, zu schaffen.

Das liegt nicht nur am Können von Regisseur und Dramaturg, sondern auch an der Szenerie von Bühnenbildner Moritz Müller und der auf 90 Minuten konzentrierten schauspielerischen Leistung von Cornelia Dörr, Jan Viethen und Laurens Walter.

Vor allem Dörr ist hier zu nennen. Wie leblos kauert sie zu Beginn der Aufführung auf einer Anhöhe in einer Art von kleiner Modell-Anlage mit Häusern und Vegetation. Sie trägt eine Affen-Maske und ein Kostüm, in dem sie wie eine Skulptur wirkt. Dann hüpft sie durch den Raum, schreit und gestikuliert nach Affen-Art. Nur eine von vielen Rollen, die im Programm schlicht als „die anderen” betitelt werden. Sie spielt den schwarzen „dritten Mann”, einen Häuptling oder den allwissenden Erzähler. Immer wieder sie sich häuten, eine der stärksten Leistungen dieser Inszenierung.

Für ihre beiden männlichen Kollegen heißt es, die Auflösung jeglicher Hoffnungen, aller vitaler Energien zu zeigen. Mit großer Kraft, wachsen Viethen und Walter in diesen Zerfall zweier Individuen hinein. Die Sensibilität, mit der sie die Verrohung der Seelen sichtbar machen, fasziniert.

Regisseur und Bühnenbildner sorgen immer wieder für neue Brechungen. Video-Projektion auf den Seitenwänden und dem Gaze-Vorhang flankieren die Handlung, kommentieren ihren Hintergrund durch Interviews oder überhöhen die Aktion durch Vergrößerung oder Vergröberung der Bilder. Kurzum: Sie sorgen für eine weitere Ebene in einer sowieso schon vielschichtigen Belebung eines erzählten Stückes Literatur. Kräftiger Applaus.

„Ein Vorposten des Fortschritts” nach Joseph Conrad, szenische Uraufführung am Sonntag, 17. Oktober, 20 Uhr, im „mörgens”, Mörgensstraße.

Weitere Aufführungen am 23., 30. Oktober, 6., 13., 20. November.

Karten in allen Zweigstellen unserer Zeitung, 0241/5101192.