Aachen : Wie Kunst einfach auf dem Schrott landet
Aachen Abseits der Jülicher Straße in Aachen, wo sich selbst für den Kenner der Stadt unvermutet noch einmal ein Industrie- und Gewerbegebiet auftut, eines der roheren Art, unter einer Unterführung hindurch, an Rampen von Baustoffhändlern vorbei zum Ende einer Straße, wo das Allerletzte, das irgendwie Übriggebliebene aus einem ehemals lebendigen Produktionsprozess lagert — Materialhaufen, Kacheln, Bleche, Undefinierbares und sicher nicht mehr Brauchbares —, auf diesem eigentümlichen „Friedhof der Dinge“ hat auch der Rest eines Kunstwerks seinen letzten Platz gefunden: Heinz Macks „Lichtregen“ aus dem Aachener Spielcasino oder das, was davon übrig geblieben ist.
Dreieckige Marmorplatten
Auf dem Bauhof der ehemaligen Baufirma Brobacher und Glahn haben wir das Marmor-Bodenrelief, das sich einst unter der 13 Meter hohen Installation „Lichtregen“ in der Aachener Spielbank befand, aufgetrieben — ein aus dreieckigen, weißen Marmorplatten gebildetes Bodenensemble, das Spiegel umrahmte, die die blinkenden Effekte der darüberhängenden Lichtketten noch einmal reflektierten.
Hingeführt haben uns Ulrich Glahn, der als Bauunternehmer das Kunstwerk von Mack beim Umbau des Spielcasinos entfernt hatte, und seine Frau Ursula Glahn-Junker. „Das ist doch so schöner weißer Marmor“, sagt sie. „Ich wollte immer was draus machen, aber ich hatte nie Zeit dazu.“
Ulrich Glahn erinnert sich: „Wir mussten von drei Seiten ein hohes Gerüst aufbauen, um die Ketten abzunehmen.“ Und er weiß auch noch, warum das Mack-Werk damals — er ist sicher, dass es weit vor 2003 war — weg musste: „Da kamen gerade die Computer im Eingangsbereich, bei den Kassen und so, zum Einsatz. Da beklagten sich die Mitarbeiter über die flackernden Lämpchen des Lichtregens.“ Und das waren immerhin 7000, die in 256 Variationen blinken konnten — das entnimmt man heute noch dem Katalog von Wolfgang Becker.
Senkrecht gestapelt, liegt die marmorne Restkunst jetzt auf dem Schrott. Heinz Mack hatte — abwegigerweise — kürzlich Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) persönlich für die Zerstörung des Werks verantwortlich gemacht und, schwer beleidigt, gesagt: „Man hat der Öffentlichkeit Kunst weggenommen.“
Der Meister selbst weilt zurzeit auf Ibiza, befindet sich in einer intensiven Schaffensphase, wie es aus seinem Atelier in Mönchengladbach heißt, und lässt sich auch nicht stören.
Indessen: Wenn es auch traurig stimmt, wo die Kunst letztlich einmal landen kann, Tränen müssen nicht unbedingt über den verloren gegangenen „Lichtregen“ vergossen werden. Er fällt eindeutig unter die Kategorie „Kunst am Bau“, und für gelten andere Regeln als für autonome Kunstobjekte.
Kunst am Bau, das sind innen oder außen fest verbundene Kunstwerke mit einem Bauwerk. Ein Prozent der Kosten für öffentliche Bauten müssen dafür verwendet werden. Das bedeutet allerdings, dass ein Werk bei einem Umbau unter Umständen einfach nicht mehr zu retten ist. Das weiß der beteiligte Künstler dann aber auch vorher.
Bleibt die Frage, ob man nicht dennoch verantwortungsvoll mit dem Objekt umgehen und es erhalten kann. Ein bestes Beispiel dafür ist die Relief-Wandgestaltung des in Aachen gebürtigen Künstlers Ewald Mataré, die einst die Rückseite des Kaiserbads zierte, das abgerissen wurde. Die Stadt Aachen ließ das Stück 1997 „umziehen“ an die Sporthalle der Mies-van-der-Rohe-Schule im Aachener Norden.
„Wer weiß, was er mit dem schönen Marmor anfangen kann, der kann sich ja melden“, sagt jetzt Ursula Glahn-Junker. Sonst landet die Restkunst doch noch endgültig auf dem Müll . . .
Am Donnerstag war der umstrittene Verkauf der Warhol-Bilder aus dem Aachener Spielcasino wieder Gegenstand einer Debatte im NRW-Landtag. Nach öffentlicher Kritik hat NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) die geplanten Versteigerung verteidigt. Er habe dem Verkauf „aus guten Gründen“ im Verwaltungsrat der landeseigenen NRW-Bank zugestimmt, sagte Walter-Borjans im Finanzausschuss des Landtags. Als Alternative wäre der Steuerzahler für Investitionen in Casinos zur Kasse gebeten worden.
Die Westspiel-Gruppe, eine 100-prozentige Tochter der landeseigenen NRW.Bank, benötigt — wie berichtet — Millionen Euro für den Umbau der veralteten Casinos sowie für den Bau eines neuen Casinos in Köln.
Der Verwaltungsrat der NRW.Bank hatte darauf grünes Licht für den Verkauf von zwei Warhol-Bildern aus der Spielbank Aachen zum erhofften Versteigerungspreis von rund 100 Millionen Euro gegeben. Im Verwaltungsrat sitzen neben Walter-Borjans auch die NRW-Minister Garrelt Duin (Wirtschaft) und Johannes Remmel (Umwelt).
Im Finanzausschuss wehrte sich Walter-Borjans gegen Vorwürfe, Rot-Grün betreibe den „Ausverkauf der Kunst“. Aus Sicht des Ministers haben die Bilder im Besitz der Westspiel keinen Bezug zum kulturellen Erbe in NRW. Deshalb habe er einem Verkauf für zwei Drucke im „überhitzten Kunstmarkt“ für geschätzt 100 Millionen Euro zugestimmt. Mit den Erlösen der Versteigerung am 12.November in New York soll die Modernisierung der Casinos finanziert werden. Liegt der Verkaufserlös über 80 Millionen Euro, fließt der Rest in die Landeskasse. Über den Vertrag wurde mit dem Auktionshaus „Christie’s“ Vertraulichkeit vereinbart.
„Ich zähle mich selbst zu den sehr Kunstinteressierten“, sagte Walter-Borjans im Ausschuss. „Der geplante Verkauf ist eindeutig im Sinne des Steuerzahlers.“ Da in den Casinos heute die Besucher „nicht mehr in Nerz und mit dem dicken Auto vorfahren“, müssten die Spielbetriebe für das neue Publikum modernisiert werden.
Abgeordnete der Opposition kritisierten, dass der Landtag nicht frühzeitig mit den Verkaufsplänen konfrontiert wurde. Für den Minister ist das nicht ungewöhnlich. Schließlich gehörten die Bilder der Westspielgruppe und nicht dem Land. Deshalb war nach Angaben von Walter-Borjans auch kein Kabinettsbeschluss für den Verkauf notwendig.