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Der neue Film von Andreas Dresen: „Wenn uns etwas nicht passt, sollten wir aufstehen“

Der neue Film von Andreas Dresen : „Wenn uns etwas nicht passt, sollten wir aufstehen“

Selbst wenn eine türkische Hausfrau aus Bremen gegen den US-Präsidenten vor Gericht zieht, hat sie eine Chance, zu gewinnen. Das ist für Regisseur Andreas Dresen eine frohe Botschaft seines neuen Films.

Die Geschichte des widerrechtlich festgehaltenen Bremer Guantánamo-Häftlings Murat Kurnaz wurde bereits 2013 im Drama „5 Jahre Leben“ erzählt. Nun widmet sich auch Regisseur Andreas Dresen (58, „Gundermann“) dem politischen Vollversagen, allerdings wählt sein Film „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“, der am Donnerstag in den Kinos startet, einen ganz anderen Ansatzpunkt. Im Mittelpunkt stehen Murats Mutter (Meltem Kaptan), die wie eine Löwin um die Freiheit ihres Sohnes kämpft, sowie deren Anwalt Bernhard Docke (Alexander Scheer). Mit Dresen sprach André Wesche über seine Tragikomödie.

Herr Dresen, wahre „David gegen Goliath“-Geschichten geben Menschen Hoffnung. Momentan erleben wir eine solche von besorgniserregendem Ausmaß. Eine Aktualität des Themas, auf die Sie sicher gern verzichtet hätten.

Andreas Dresen: Auf so etwas verzichtet man immer gerne, das ist ja klar. Aber ich denke, dass das Thema auch jenseits von tagesaktuellen Fragen oder irgendwelchen Ereignissen ein wichtiges ist. Die Geschichte von Murat liegt ja auch schon 15 Jahre zurück. Es ist aber ganz hilfreich, sich ab und zu daran zu erinnern, dass die Gesellschaft, in der wir leben, von Menschen gemacht und demzufolge auch von Menschen veränderbar ist. Wenn uns etwas nicht passt, sollten wir unsere Stimme erheben und aufstehen. Selbst wenn eine türkische Hausfrau aus Bremen-Hemelingen gegen den amerikanischen Präsidenten ins Feld zieht, hat sie eine Chance, zu gewinnen. Das finde ich wiederum eine ganz frohe Nachricht, die uns davon abhalten sollte, zu defätistisch zu sein, wenn wir abends die Nachrichten schauen.

Bislang haben Sie sich – mit Ausnahme von „Simbabwe“ – eher den intimen Geschichten vor unserer Haustür gewidmet. Hat dieser Ausflug in die Weltpolitik Ihren Horizont als Filmemacher erweitert?

Dresen: Ja, wobei ich ehrlich gesagt im Vorfeld gar nicht so viel darüber nachgedacht habe. Das hat sich einfach ergeben. Die Geschichte von Murat hat mich aufgewühlt und erschüttert, und ich wollte sie irgendwie erzählen. Dass das die Konsequenz haben würde, dass ich in Washington und Ankara drehen muss, war mir zu diesem Zeitpunkt nicht ganz klar. Es ist natürlich auch eine interessante Erfahrung, mit ausländischen Teams zusammenzuarbeiten. Aber ich hätte das auch im Reihenhaus in Bremen erzählt, wenn es sich angeboten hätte. Für mich ist es als Filmemacher, aber auch ganz schlicht als Mensch, total interessant, in andere Welten reinzugehen. Mich hat die ganze türkische Gemeinschaft in Hemelingen interessiert. Wie leben die? Wie funktioniert so eine Familie? Ich finde immer schön, dass ich so etwas bei meiner Arbeit kennenlernen darf.

Sie haben Murat Kurnaz mehrfach getroffen. Hat er während seiner Gefangenschaft irgendetwas von den Aktivitäten seiner Mutter mitbekommen?

Dresen: Erst als Baher Azmy, sein amerikanischer Anwalt, ihn nach dreieinhalb Jahren Haft besuchen konnte. Da hat er erfahren, was seine Mutter alles gemacht hat und dass sie unter anderem in Amerika war. So hat Murat zum ersten Mal mitbekommen, dass außerhalb von Guantánamo Aktivitäten laufen, um ihn da rauszuholen.

Rabiye ist keine vom Gram gebeugte Mutter, sie kann die Aufmerksamkeit durchaus auch genießen, die man ihr entgegenbringt…

Dresen: Na klar! Für sie ist das erst mal die Chance, die Stimme zu erheben oder überhaupt eine zu erhalten, um sich zu den Sachverhalten zu äußern. Und damit eine kleine Möglichkeit, ihren Sohn wiederzukriegen. Man darf ja nicht vergessen, dass ihrem Anwalt Bernhard Docke auch erst mal die Hände gebunden waren, weil er mit juristischen Mitteln nicht richtig an den Fall rankam. Auch Bernhard musste die Bittstellerbrief- und Medienkarte spielen. Die progressiven Medien jenseits jener Boulevardblätter, die den Begriff vom „Bremer Taliban“ geprägt haben, waren in dieser ganzen Geschichte durchaus hilfreich. Das hat auch Rabiye als Chance verstanden und begriffen.

Ohne ihr oft naives Herangehen an die Dinge hätte Rabiye wahrscheinlich nichts erreicht. Stehen wir uns mit rationalem Denken zu oft selbst im Weg?

Dresen: Ich sage es mal so: Wenn man an so eine Geschichte rational rangeht, fängt man wahrscheinlich gar nicht erst an, zu kämpfen, weil man sich sagt: „Okay, da habe ich eh keine Chance.“ Rabiye ist zum Glück aber ein Mensch, der einfach erst mal losgeht. Das zeichnet sie aus. Ihr Handeln ist nicht vom Zweifeln angefressen, wie es bei reflektierteren Menschen der Fall ist. Meltem Kaptan hat in Bezug auf Rabiye das Wort vom „Steh-auf-Weibchen“ geprägt. Das finde ich eine ziemlich gute Formulierung. Sie lässt sich einfach nicht niederringen. Das bewundere ich. Ich denke, wenn ich das hätte machen müssen, wäre ich schon sehr früh verzweifelt.

Für welchen Hollywood-Star steht der Tim Williams aus Ihrem Film?

Dresen: Im Original ist es Vanessa Redgrave gewesen, die sehr geholfen hat. Sie hat den Film übrigens gesehen und uns einen ganz tollen Text dazu geschickt. Sie war ganz begeistert, unter anderem auch von Meltem. Aber sie ist ja mittlerweile etwas älter geworden, und deshalb haben wir unseren Hollywood-Star eben erfunden.

Denkt man in den heutigen Zeiten zweimal darüber nach, ob man seine Figur einen deutsch-türkischen Slang sprechen lässt, weil man vielleicht kulturelle Aneignung oder Ähnliches vorgeworfen bekommt?

Dresen: Unsere Film-Rabiye spricht exakt so wie das Original. Da war Meltem extrem präzise und hat sie wirklich nachgebaut. Meltem selbst spricht ganz anders. Sie ist eine Verwandlungsspielerin, die selbst bis zum Sprachklang die Leute nachmachen kann. Ähnlich wie Alexander Scheer, der das auch beherrscht. Die beiden haben ihre Figuren, oder in diesem Fall die Original-Personen, ganz genau studiert. Bei Rabiye gehört das Durcheinandersprechen von Deutsch und Türkisch ganz einfach zu ihrem Wesen dazu. Es ist bei ganz vielen Deutsch-Türken so, dass sie sich das Beste aus beiden Sprachen herausnehmen und dann kunterbunt verquirlen. Auch wenn sie untereinander sprechen. Das fand ich ganz besonders toll und wollte es unbedingt im Film haben. Deswegen ist es in einigen Szenen so, dass die Figuren mitten im Satz einzelne Wörter austauschen oder in die andere Sprache wechseln. Wir wollten das türkische Milieu in unserem Film so genau wie möglich zeichnen. Da gehört die Sprachbehandlung natürlich dazu.

Die deutsche Politik hat sich seinerzeit nicht mit Ruhm bekleckert und sich nie entschuldigt. Sehen Sie den Anstand auf politischer Ebene zunehmend kritisch?

Dresen: Ich finde, was den Fall Kurnaz betrifft, ist es wirklich ein Armutszeugnis. Laila (Stieler, die Drehbuchautorin, Anm. d. Red.) und ich haben uns während der Arbeit an dem Stoff oft gefragt, was wohl passiert wäre, wenn Murat Kurnaz nicht Murat Kurnaz, sondern Gerhard Müller heißen würde. Vermutlich wäre er vier Jahre früher aus Guantánamo rausgekommen. Es ist natürlich ein Unding, dass so etwas heutzutage möglich ist. Mal ganz davon abgesehen, dass es überhaupt ein Unding ist, dass Guantánamo immer noch existiert, dass Leute 20 Jahre lang ohne Gerichtsverfahren in einem Foltergefängnis sitzen. Wir zeigen gerne mit dem Finger auf die Diktatoren dieser Welt und klagen an. Aber manchmal müssen wir auch in unserem demokratischen Gemeinwesen erst mal vor der eigenen Haustür kehren.

Inwiefern?

Dresen: Die deutsche Politik hat sich eben nicht mit Ruhm bekleckert, weil sie die Frage, ob sie einem Menschen hilft, von seinem Pass abhängig gemacht hat. Das ist ein Armutszeugnis und beschämend. Insbesondere, weil Murat Kurnaz in Bremen, in Deutschland aufgewachsen ist. Es ist eine Frage des moralischen Anstandes, dass da wenigstens jemand sagt: „Wir haben uns geirrt, es tut uns leid.“ Ich gestehe jedem Politiker zu, Fehler zu machen. Jeder Mensch macht Fehler. Natürlich kann so etwas im politischen Geschäft schwerwiegende Folgen haben. Aber wenn man dann später erkennt, dass das ein Fehler war, der Unrecht zur Folge hatte, dann sollte man bekennen, dass das scheiße gelaufen ist und sich dementsprechend entschuldigen. Dass das nicht passiert, finde ich schlimm.

Wenn ein Politiker Fehler eingesteht, muss er heutzutage damit rechnen, durchs Dorf getrieben zu werden, oder?

Dresen: Bei Frank-Walter Steinmeier würde es, wenn er jetzt im Fall Kurnaz sagen würde: „Das ist damals scheiße gelaufen“, keinen Grund geben, ihn durchs Dorf zu treiben. Wahrscheinlich würden alle aufatmen und sagen: „Endlich, das war überfällig. Warum nicht früher?“ Er ist ein kluger Mann, wo bitte ist das Problem? Ich verstehe nicht, wie man nach diesen ganzen Erkenntnissen, die es dazu gibt, immer noch sagen kann: „Ich würde es wieder ganz genauso entscheiden.“ Das ist eine Schande.

Wie auch die Autorin Juli Zeh gehören Sie dem Verfassungsgericht des Landes Brandenburg an. Können Sie in dieser Funktion oder als Filmemacher mehr Positives tun?

Dresen: Das sind zwei völlig verschiedene Baustellen. Im Verfassungsgericht kann ich einen direkten Beitrag zum demokratischen Gemeinwesen leisten. Ich finde es ganz toll, dass es diese Kontrollinstanzen gibt. Im Film ist es der Supreme Court, der mit seinem Urteil dem Präsidenten eine schallende Ohrfeige verpasst hat. Dazu sind Verfassungsgerichte da: Sie schützen die Grundwerte unserer Demokratie. Das finde ich gut und wichtig, gerade jetzt. Ich werde am Ende des Jahres ausscheiden, habe das dann zehn Jahre miterlebt und kann sagen, dass es eine gute Institution ist. Bürger, aber auch politische Parteien, Kommunen usw. können dort recht bekommen. Auch gegenüber den scheinbar übermächtigen Regierenden.

Und als Filmemacher?

Dresen: Da habe ich eine andere Chance. Ich kann die Herzen der Menschen erreichen. Wenn man berührt und bewegt ist, rutscht vielleicht auch eine Erkenntnis in den Kopf. Wenn man beispielsweise aus dem Rabiye-Film rauskommt und einen produktiven Zorn empfindet, wäre mir das sehr recht. Zorn auf die Verhältnisse, die eine solche Geschichte überhaupt ermöglichen, und produktiv dahingehend, dass diese Verhältnisse veränderbar sind und man ihnen trotzdem etwas abringen kann. In unserem Fall hat Rabiye ihren Sohn aus Guantánamo rausgeholt! Das ist immerhin eine frohe Botschaft.

Wer genau hinschaut, wird Sie auch im Film in einer Richterrobe erleben. Wie kam es dazu?

Dresen: Na ja, das hat sich angeboten. Neben mir sitzt übrigens der originale Bernhard Docke hinter der Richterbank des Supreme Court. Das bot sich deswegen an, weil ich dieses Urteil so toll finde. Daran wollte ich symbolisch gerne beteiligt sein. Und da ich selbst im Verfassungsgericht sitze, gab es einfach reizvolle Schnittstellen.

Werden Sie mit Frau Kurnaz in Verbindung bleiben, oder ist das Thema für die Dame abgeschlossen, so wie im Film?

Dresen: Ich bin mit der ganzen Familie in Verbindung. Und auch mit Bernhard. Wir waren kürzlich gemeinsam beim Filmfestival in Istanbul. Es war herrlich, Rabiye vor dem türkischen Publikum zu erleben. Sie hat einen zehnminütigen Monolog gehalten, der die Leute zum Lachen gebracht hat. Das ist einfach wunderbar. Es ist das Schöne an meinem Beruf, dass ich solche Menschen kennenlernen kann. Und da bleibt häufig sehr viel mehr als nur die professionelle Begegnung. Hier ist etwas entstanden, was lange halten wird. Da ist eine Freundschaft.