Aachen : Voller Ironie: „Nachtstück“ nach Motiven von E.T.A. Hoffmann im Mörgens
Aachen Nur die Kerzen in den Händen der beiden dunklen Gestalten sorgen für schummeriges Licht. Es lässt ihre totenbleichen Gesichter erkennen und offenbart ihre schreckgeweiteten Augen. Später wabert Nebel durch den Raum und hüllt alles ein.
Ein Zug fährt nach Transsilvanien. Schaurige Geschichten machen die Runde. Von der Gräfin, die zur Menschenfresserin wird. Von einem Werwolf, einem Hexenmeister und Gespenstern. Gruselige Zutaten sind das. Aber längst nicht alle, aus denen das „Nachtstück“ nach wild gemischten Motiven von E. T. A. Hoffmann besteht. Denn ganz im Sinne des großen romantischen Schriftstellers schreibt diese Uraufführung im Mörgens Ironie groß — Lachen erstickt Gruseln. Lächerlich wirkt das aber nie.
Melancholisch und bezaubernd
Stefan Rogge (Regie und Ausstattung) inszenierte für das Theater Aachen bereits sehr sehenswert „Als ich einmal tot war und Martin L. Gore mich nicht besuchen kam“ — ein Stück über den von Imageproblemen geplagten Depeche-Mode-Frontmann Dave Gahan. Dass es auch diesmal von popkulturellen Zitaten wimmelt, dürften allerdings die wenigsten Zuschauer erwartet haben. Doch es funktioniert: Hoffmanns Texte, obwohl vor über 200 Jahren entstanden, scheinen dazu einzuladen.
Etwa wenn Clara (Luana Bellinghausen) „Doll Parts“ singt, einen 90er-Jahre-Hit der Grunge-Band Hole. Das klingt deutlich weniger verrucht und rauchig als bei Sängerin Courtney Love. Dafür aber melancholisch und bezaubernd, auch weil Bellinghausen dazu im wallenden Tüllrock wie eine Märchenfee tanzt. Doktor Soundso (Thomas Hamm) steht Musiker Malcom Kemp als Muppets-Figur Beaker mit seinen nervösen „Mimimimi“-Ausrufen zur Seite. Das ist nur eine von vielen Ideen aus dem popkulturellen Fundus, die an diesem Abend das Publikum zum Lachen bringen.
Hannes Schumacher verkörpert mit Nathanael aus „Der Sandmann“ eine der bekanntesten Figuren Hoffmanns, denen allen gemeinsam ist, dass sie nicht mehr zwischen Realität und (Alp-)Traum zu unterscheiden vermögen. Schumacher erweist sich für einen dieser Charaktere ebenso wie Hamm als Soundso perfekt besetzt. Beide toben und zappeln, fabulieren und fantasieren.
Für scherzhafte Zwischenrufe ist Kemp hinter seinem Klavier in der Ecke der Spielfläche zuständig. Allerdings gibt er auch die rätselhaft-spöttische Nussknacker-Sultan-Maschine, ein Orakel, bei dem die anderen zu Beginn nach Antworten suchen. Wut und Wahnsinn mit einem Augenzwinkern zu vermitteln, gelingt vor allem Torsten Borm als schnauzbärtigem Theaterdirektor, Gesangseinlage inklusive. Nach 100 Minuten spendet das Premierenpublikum dann kräftigen Applaus.