Kerkrade : Thomas Quasthoff erhält die Martin-Buber-Plakette
Kerkrade Ein Künstler, der nicht nur sein eigenes, gewiss nicht leichtes Leben bewältigt, sondern auch noch Großartiges auf vielen Feldern geschafft hat, bekam gestern in der Abtei Rolduc in Kerkrade die Martin-Buber-Plakette verliehen: Thomas Quasthoff.
Die Laudatio hielt sein Wunschkandidat: der langjährige Amsterdamer Musikagent Pieter Alferink, der berühmte Dirigenten und Sänger wie Hermann Prey, José Carreras, Luciano Pavarotti und eben auch Thomas Quasthoff vertreten hat. Unter den Gästen: Alfred Biolek, bei dem sich Quasthoff für die tiefe Verbundenheit bedankte.
Mit zahlreichen Anekdötchen aus vielen Jahren erinnerte Alferink an die gemeinsame Zeit, für ihn sei Thomas Quasthoff die „perfekte Verkörperlichung des Musensohns“. Das Erlebnis, den Sänger 1988 beim ARD-Wettbwerb in Amsterdam am Radio erlebt zu haben, ist für Alferink ein „elektrischer Schock“, der bis heute hin nachwirke. Er lobte darüber hinaus besonders Quasthoffs Lebenserfahrung, Durchsetzungskraft, Wärme und Wohltätigkeit als konstruktiven Beitrag für die Menschheit.
Der Geehrte — seine Frau Claudia hat ihn nach Kerkrade begleitet — bedankte sich und sagte, dass es ihm selten passiert sei, dass ihn ein Tag so berührt habe wie dieser. Einen ernsten Ton schlug er an, als er seiner Enttäuschung über Europa angesichts der Flüchtlingskrise Ausdruck gab.
„Die Stimme war ausschlaggebend für die Wahl“ erklärt Euriade-Intendant Werner Janssen in Rolduc zuvor beim Treffen mit der Presse — und er meint damit keineswegs nur das grandiose Gesangsorgan des 1959 in Hildesheim geborenen, contergangeschädigten Bassbaritons und Professors für Gesang an der Berliner Hochschule für Musik „Hanns Eisler“. „Es ist eine Stimme des Vertrauens, er erhebt sie zu vielen gesellschaftlichen Fragen. Und es ist keine Stimme, die einfach so drauflosbrüllt.“ — „Das kann ich aber auch“, sagt der Künstler lachend in entspannter Atmosphäre in der Rokoko-Bibliothek der Abtei. Und dann legt er mal eben los, in wohlgesetzten, aber auch durchaus emotionalen Worten sein Anliegen jenseits von Gesang und Musik zu erklären.
„Mit Musik kann man die Welt nicht verändern, man kann sie damit nur schöner machen“, sagt er. „Aber als Künstler hat man auch die Pflicht, auf Missstände und Fehlentwicklungen hinzuweisen.“ Das Beispiel, das er dabei in einem Atemzug nennt, liegt nicht sehr weit von seiner Hochschule weg: „Eine Million Euro kostet der neue Berliner Flughafen pro Tag. Pro Tag!“ Allein die Summe eines Tages würde ausreichen, um damit seine sanierungsbedürftige Hochschule zu versorgen. Quasthoff fühlt sich aufgefordert, „Stellung zu nehmen“. Auch und gerade gegenüber ganz aktuellen Entwicklungen.
Die Flüchtlingskrise: „Europa bekommt jetzt die verfehlte Politik der letzten 50, 60 Jahre zurück.“ Quasthoff erhebt die Stimme — buchstäblich, und man nimmt in keiner Weise mehr wahr, dass hier ein behinderter Mann hinter dem Tisch sitzt, der Stellung bezieht: „Mich regt immer auf, dass Deutschland als Friedensstifter gilt, dabei steht es an vierter Stelle der weltweiten Waffenexporteure.“
Das Thema Behinderung lässt Quasthoff nicht aus — im Gegenteil, er geht sehr offensiv und absolut zwanglos damit um. Behindertsein, das ist sein Credo, könne man nicht immer sehen, und wer als nicht behindert gelte, der könne in Wahrheit eine noch viel größere Behinderung in sich tragen. „Egoismus und Machtstreben zum Beispiel.“ Und: „Viele Menschen wissen gar nicht, was sie eigentlich an positiven Werten mit sich herumtragen.“ Unzufriedenheit, das ist für Quasthoff auch ein Stück Behinderung. „Ich bin zufrieden. Zufriedenheit kann man leben.“
Er findet es schön, bekennt er freimütig, zu „innerer Größe“ gelangen und das auch nach außen zeigen zu können. Ein Mensch des Friedens durch und durch erhebt die Stimme zum Appell: „Wir sind immer noch nicht in der Lage, Konflikte friedlich beizulegen. Insofern leben wir doch noch in Höhlen.“
Angesichts dieser Misere findet Quasthoff für die Euriade mit ihrer Jugend im Dialog nur lobende Worte. „Menschen in dieser Weise zusammenzubringen, das sollte viel mehr passieren.“
Thomas Quasthoff reiht sich ein in eine erlauchte Riege prominenter Preisträger — Künstler, Politiker, Denker, Visionäre und Humanisten wie Helmut Schmidt, Richard von Weizsäcker, Karlheinz Böhm, Herman van Veen, Michail Gorba-tschow, Klaus Maria Brandauer, Peter Maffay, Waris Dirie und zuletzt Königin Silvia von Schweden. Sie alle eint, ganz im Sinne des großen Religionsphilosophen Martin Bu- ber, „das Du im anderen wahrzunehmen“.
Ein Mann, der sich nicht behindern lässt: 2012 hat sich der damals 52-Jährige auf ärztlichen Rat hin als Sänger von der Bühne verabschiedet. Seither tritt er nicht nur als Schauspieler und Kabarettist vor das Publikum — auch als Dirigent gab er in diesem Jahr sein Debüt. Er leitete die Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach auf dem Verbier-Festival in der Schweiz.
Eine Stimme, gewiss — aber auch ein wahrer Ausbund an unbändiger Tatkraft!