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„Spatz und Engel“ am Grenzlandtheater

Premiere im Grenzlandtheater : Ein Abend der Ausnahmekünstlerinnen

„Spatz und Engel“ erinnert an die intensive Freundschaft von Edith Piaf und Marlene Dietrich. Im Grenzlandtheater werden die beiden Hauptdarstellerinnen Lasarah Sattler und Daniela Ziegler gefeiert.

Immer wieder Zwischenapplaus für beide Hauptdarstellerinnen und gleich zu Anfang der Premiere ein starkes Bild, in dem Regisseur Ulrich Wiggers klarmacht: Hier geht es um zwei Ausnahmekünstlerinnen, deren Welten sich für eine Weile verbinden. Liebe, Lust, Leidenschaft, Drama und Zeitgeschichte vermischen sich bei „Spatz und Engel“, dem Theaterstück mit Musik von Daniel Grosse Boymann und Thomas Kahry, im Grenzlandtheater Aachen zu einem heftigen Cocktail.

Marlene Dietrich im goldenem Lamé-Kleid samt wallendem Schwanenmantel – Daniela Ziegler schiebt mit laszivem Schwung das weiße Prachtstück nach vorn, kerzengerade, stolz, eine perfekte blonde Göttin der Bühne. Daneben im Lichtkegel Edith Piaf. Das schwarze Kleid wird sie nicht wechseln, getrieben, eine große Stimme in einem schmerzlich gekrümmten Körper – Lasarah Sattler ist in diese Rolle wie in eine zweite Haut geschlüpft, dunkle Locken, glühender Blick, raues Mundwerk, stets unruhig. Im Laufe des Abends werden die beiden nicht nur ihre berühmtesten Songs singen – „Padam, padam“ oder „Mon Dieu“ mit größter Verzweiflung und typischer Gestik, „Sag mir, wo die Blumen sind“ und „Frag nicht, warum ich gehe“ emotional-beherrscht, tiefgründig. Es passiert viel mehr.

Historischer Wahrheitskern

Das Stück ist für Wiggers keine Revue, es ist die Erinnerung an eine Liebe, die mit ihrem historischen Wahrheitskern einen gewissen Reiz hat. Er entwickelt die Geschichte vorsichtig, lässt seine Darstellerinnen in Ruhe den Weg in eine Beziehung finden, die durch die Gegensätze der beiden jede Menge Zündstoff erhält. Marlene, die trotz aller Starallüren gern andere bemuttert, Edith, die sich nach einer wirklichen Freundin sehnt, aber aufgrund ihrer Prägung – aufgewachsen in Armut, Not und Gewalt – dazu letztlich nicht in der Lage ist. Fürsorge schnürt sie schließlich ein. Der Weg in den Abgrund ist unausweichlich.

In dieser Inszenierung dürfen die beiden aber auch lachend miteinander von der „besten Freundin“ trällern, Spaß genießen, genussvoll eine stirnrunzelnde Umwelt überwinden. Janina Niehus und Fabio Piana schlüpfen perfekt in die jeweilig nötigen Begleitrollen von der Krankenschwester über den Boxer Marcel Cerdan bis hin zum geheimnisvollen Komponisten von „Non, je ne regrette rien“, ein Lied, das die sterbenselende Edith aus dem Bett zieht. Eine magische Szene.

Gero Körner hat für eine durchweg harmonische Verbindung von Musik und Text gesorgt, sitzt zuverlässig am Piano und bietet zusammen mit Akkordeonistin Julia Samhaber unaufdringliche Nähe.

Daniela Ziegler ist eine selbstsichere und selbstbewusste Marlene, die erwartet, dass man ihre Wünsche erfüllt. Im flotten Hosenanzug eilt sie mit schnellen Schritten über die Bühne und ins Leben der genialen Chaotin Edith Piaf. Erotische Anziehungskraft, aber auch eine gewisse Gegensätzlichkeit führen sie zusammen und sorgen schließlich für immer heftiger werdende Abstoßungsreaktionen. Während Marlene Selbstdisziplin fordert, will Edith rauschhaft lieben, leiden, alles im Übermaß ausschöpfen. Hauptsache, auf der Bühne, singend.

Lasarah Sattler überrascht mit einer grandiosen Piaf-Stimme, in der Schmerz und Leidenschaft sowie pfeffrige Frechheit liegen, großartig im Ausdruck, berührend in der Interpretation der schwierigen Songs. Daniela Ziegler gelingt der Balanceakt zwischen eigener Künstlerpersönlichkeit und einer großen Rolle. Sie lässt spüren, wer diese Marlene – vielleicht – war, aber sie kopiert sie nicht. Ein paar Gesten, die Art der Verbeugung, der Blick, das ist spannend. Sie singt mit dem „gewissen Etwas“, einem Marlene-Timbre, sehr erfahren.

Wiggers hat eine Symbiose aus Gestern und Heute geschaffen. Im praktischen Bühnenbild von Leif-Erik Heine, der gleichfalls für die Kostüme sorgte, sind rasche Szenenwechsel möglich. Dass die kreuzweise aufgereihten abgerundeten Quadrate in Erinnerung an ein kostbares Kreuz gebaut sind, das Marlene ihrer Freundin gleich zu Anfang schenkte, wird nicht jeder erkennen. Aber das macht nichts. Lichteffekte sorgen für Atmosphäre, zwei ungewöhnliche Künstlerinnen brauchen eine ungewöhnliche Bühne.

Der Abend geht zu Ende, das Leben auch, die Liebe bleibt. Still der Abschied von einer Marlene, die irgendwann nicht mehr aus ihrem Bett aufgestanden ist. Edith Piaf, schon mit 47 Jahren gestorben, durch Drogen und Alkohol „verbrannt“, erscheint ihr. Ja, sie hat den kleinen Zettel mit Ediths Liebesgeständnis noch. Das zählt. Eine schöne Serie von Originalfotos lässt nachklingen, was die Inszenierung erzählt. Großer Beifall für alle.