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Robert Wilson inszeniert „Dschungelbuch“ in Düsseldorf ohne Dschungel

Schauspielhaus Düsseldorf : Eine bunte Theater-Lektion für Kinder

Starregisseur Robert Wilson inszeniert „Das Dschungelbuch“ in Düsseldorf – ohne Dschungel, aber mit der fantasievollen Musik von CocoRosie. Ist diese Nummernrevue wirklich schon für Zuschauer ab acht Jahren geeignet?

Das Theater ist eine Baustelle. Immer noch. Wer ins Düsseldorfer Schauspielhaus will, muss durch Pfützen und über Stege, vorbei an Gerüsten und rot-weißem Flatterband. Es wird wacker weitersaniert, während vor den Türen am Gustaf-Gründgens-Platz der „Kö-Bogen II“, ein gigantischer Büro- und Geschäftskomplex, die Formen einer Skischanze annimmt. Im Schauspielhaus-Foyer stoßen die Besucher im kalten Schein von Neonröhren auf Pappe an den Wänden und eine provisorische Garderobe von der Stange. Nicht mal das sonst strahlende Weiß des welligen Bernhard-Pfau-Baus hat einen durch die Baustellen-Tristesse geleitet. Das Haus offenbart sich derzeit hüllenlos grau in Grau, die Fassade ist noch in Arbeit.

Aber gefühlt 400 feine Farbschattierungen und Lichtstimmungen ­offeriert drinnen, im Großen Haus, ja der „Bühnenmagier“ aus Texas: Robert Wilson is back. Nach der umjubelten düsterpoppigen Musicaloper „Der Sandmann“ vor zweieinhalb Jahren blättert die „lebende Theaterlegende“ nun in Rudyard Kiplings „Dschungelbuch“. Etwas Neues findet Wilson dort allerdings nicht. Obwohl – ein „Dschungelbuch“ ohne Dschungel, das muss man erst mal hinkriegen.

Für die Abenteuer des Findelkinds Mowgli mit den wilden Tieren im indischen Urwald begnügt sich der Meister der Menschenfassaden, der Körperhüllen und Silhouetten mit ein paar stilisierten Blatt- und Schilfrohr-Scherenschnitten, die – zwischen Basketballkorb und Einkaufswagen – kurz herein- und wieder herausschweben. Wild wirkt da gar nix, selbst das Kunstgras wächst in Reih und Glied.

Auch seine Schauspieler zähmt der Regisseur wie eh und je: als gestische Skulpturen unter weiß geschminkten Grimassen; Bewegungen laufen auf fast leerer Bühne streng choreographiert ab, gerne gaaanz laaangsam. Obwohl – unter tierisch aufgerichteten Ohren, gewandet in Anzug, Jeans oder Kleid, brechen Wölfe, Tiger, Bär und Elefant hüftschwingend und herumtollend auch schon mal aus dem Schema aus. Soll das nun kindliche Lockerheit demonstrieren, oder hat der unermüdlich tourende Starregisseur die Düsseldorfer Inszenierung zwischen Paris und Salzburg mit Hilfe seiner Assistentenschar mal eben so hingetupft?

Vielleicht liegt’s auch an der Musik. Die fantasievollen Klänge des Indie-Duos CocoRosie sorgen für Leichtigkeit und Drive. Fünf Musiker an Klavier und Violine, Klarinette, Gitarre und Computer sprengen den engen Graben mit einer eigentümlichen Mixtur aus retropoppig-jazzigfolkigem Sound. Die beiden US-amerikanischen Schwestern Sierra und Bianca Casady haben sehr eingängige Songs komponiert, weniger schräg und exaltiert, als sie können.

Und die Schauspieler dürfen singend sogar ein paar Gefühle aus ihrem Gestenkorsett senden. Besonders von Cennet Rüya Voß (in feuerrotem T-Shirt und Shorts unterm Strubbelhaar eine Mowgli-Pumuckline mit großen Augen und offenem Mund) und von André Kaczmarczyk (Panther Bagheera mit High Heels und elegant geschwungenem Mikrokabel-Schwanz) hätte man gerne mehr gehört.

So ist die Musik die Stärke dieses Abends, der sonst eher Ratlosigkeit hinterlässt. Was interessiert Wilson eigentlich am „Dschungelbuch“ – jenseits platt bebilderter Zivilisationskritik mit Bergen ausrangierter Monitore? Spannung? Nö. Witz? Na ja. Humor ist hier, wenn Mowgli sich – Daumen hoch und zwinker, zwinker – ans Publikum ranwanzt, Bär Baloo besoffen mit Cocktailglas über die Bühne tapert oder der Jäger mit dem Schießgewehr ausgiebig furzt. Vielleicht glaubt der 78-jährige Wilson, dass Kinder da vor Lachen vom Klappsitz rutschen. Oder er findet das tatsächlich selbst witzig?

Aber ist das Ganze überhaupt was für Kinder? Das Schauspielhaus meint ja und empfiehlt die Produktion ab 8 Jahren. Jedes Kind wird das sicherlich anders erleben, aber Eltern sollten vor dem Besuch vielleicht Vokabeln pauken. Neben ein paar gesprochenen Textbrocken Deutsch werden die dominanten Songs nämlich auf Englisch gesungen – ohne Übertitel oder Übersetzung im Programmheft.

Fernab vom Disney-Klassiker

Die Kenntnis irgendeiner der unzähligen „Dschungelbuch“-Versionen ist sicherlich ebenfalls hilfreich, denn Handlung wird bei Wilson nie überbewertet. Er setzt auf Bilddesign statt Werkanalyse, Geometrie statt Psychologie. Seine Nummernrevue beleuchtet ein paar Schlüsselmomente, ohne sich großartig um Zusammenhänge zu scheren.

Doch für den Nachwuchs ist diese antinaturalistische „Dschungelbuch“-Version – fernab von Disneys Zeichentrickklassiker (1967) und der hyperrealistischen Animation von 2016 – eine Einführung in die Zeichenhaftigkeit des Theaters. Und eine Lektion in Theatergeschichte: Ja, liebe Kinder, vor 30, 40 Jahren war Wilsons stilisierte Traumbildkunst total hip, heute gehört sie vielleicht eher ins Theatermuseum.

Über tiefergehende aktuelle Bezüge, die der Stoff im Konfliktfeld zwischen Mensch und Natur durchaus böte, können Eltern sich mit der klimakatastrophenbewegten Jugend nach anderthalb putzigbunten Stunden im Theater ja später noch Gedanken machen. Draußen, auf der hässlichen Menschenbaustelle. Irgendwann 2020 sollen auf dem „Kö-Bogen“ Hainbuchen sprießen. Natürlich in Reih und Glied.