1. Kultur
  2. Theater

Saisonstart im Grenzlandtheater: Höchste Präzision für das magische Loriot-Gefühl

Saisonstart im Grenzlandtheater : Höchste Präzision für das magische Loriot-Gefühl

Das Aachener Grenzlandtheater eröffnet die Spielzeit heiter: „Loriots dramatische Werke“ bietet eine Szenenfolge der bekanntesten Sketche Vicco von Bülows – natürlich inklusive Badeente und Jodeldiplom.

Was darf es sein? Ein knappes „Ach was!“, das Jodeldiplom oder ein weich gekochtes Ei? Mit „Loriots dramatische Werke“, einer Szenenfolge der bekanntesten Sketche, in denen Vicco von Bülow (1923-2011) die Skurrilität menschlichen Verhaltens genial auf die Spitze treibt, eröffnet das Grenzlandtheater Aachen eine Spielzeit, deren Start nach der Corona-Zwangspause allseits mit einem tiefen Aufatmen begleitet wird. Als kommissarische Intendantin dankt Anja Junski, die zu diesem Abend auch Städteregionsrat Tim Grüttemeier begrüßen kann, allen für Ermutigung und Treue – dann geht es los.

Hatten sich Zuschauerinnen und Zuschauer zunächst in der Plexiglas-Absicherung real gespiegelt, geht das nun bei veränderter Beleuchtung mit tiefen Einblicken in den alltäglichen Irrsinn auf der Bühne weiter. Loriots Miniaturen sind Kult, die meisten kennen sie aus dem Fernsehen, und die Bühne hat tatsächlich einen Fernseh-Guckkasten-Charakter. Tom Grasshof hat für einen variablen Raum mit ein paar Requisiten gesorgt, bei denen man je nach Sketch ein bisschen Fantasie anwenden muss. Die ziemlich schreckliche Tapete im Retro-Stil könnte spießiger nicht sein.

Schauspieler leisten Großes

In dieser Umgebung leisten Susanne Pätzold, Peter Kempkes und Wolfgang Mondon in 90 Minuten ohne Pause Großes, zumal jeder etwa ein Dutzend Rollen zu spielen hat. Es ist keine leichte Sache, gegen die Bilder – und Akteure – in den Köpfen des Publikums anzuspielen, das wie ein komplexer Stichwortgeber auf jeden Satz, jede Wendung der Szene achtet. Es gibt Formulierungen, die müssen sein, ob nun das „Entchen zu Wasser gelassen wird“ oder Erwin Lindemanns Tochter „die Herrenboutique mit dem Papst in Wuppertal“ eröffnet.

Das Ensemble räumt eigenhändig um. Die drei verwandeln sich gleichfalls blitzschnell – hinter der Bühne von zahlreichen Händen umfrisiert und -gekleidet. Neuer Loriot-Charakter, neue Stimme, neue Bewegung und Körpersprache, sie sind unglaublich wandlungsfähig und spielfreudig.

In seiner Regie erweist sich Thomas Weber-Schallauer als präziser Arbeiter, der nichts dem Zufall überlässt, höchste Genauigkeit verlangt und damit für das magische Loriot-Gefühl sorgt. Zumal gezeichnete Episoden plötzlich von Menschen verkörpert werden müssen.

Susanne Pätzold, Peter Kempkes und Wolfgang Mondon schlüpfen passgenau in Loriots Bilder – bis hin zum ruckartigen Blick Richtung Zuschauer. Ob sich nun die Ansagerin (Susanne Pätzold) im Text verheddert, der Anzugverkäufer (Mondon) geschmeidig lügend die Kunden umgaukelt und die Vorhangfalten der Umkleidekabine glatt zieht, oder der Literaturkritiker im Marcel-Reich-Ranicki-Format (Kempkes) behäbig das Kursbuch zum literarischen Leckerbissen aufwertet – alles sitzt perfekt.

Mit Glitzer und „Zipfelchen“

Es ist mutig, sich einem solchen Gesamtwerk zu stellen, bis hin zur berühmten Badewanne. Die beiden Männer zeigen fast alles, und damit das „Zipfelchen“, wie Loriot es in einem anderen Sketch umschreibt, nicht ausfällt, hat sich Grasshof, der gleichfalls für die Kostüme zuständig ist, eine kleine Besonderheit ausgedacht.

Das Publikum erlebt einen heiteren Abend, Erwartungen werden erfüllt. Weber-Schallauer gelingt eine temporeiche Inszenierung, die pralles Leben zeigt, Überzeichnungen Loriots getreulich umsetzt und beweist, was gutes Schauspiel leisten kann.

Zum Schluss gibt es Glitzer: „Meine Schwester heißt Polyester“, Susanne Pätzold singt und tanzt die bitterböse Nummer als Showgirl, und die beiden Kollegen tanzen in Schlappen und Bademänteln mit. Grandios. Verdienter Applaus.