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Aachen: Sturz der Seele in den schwarzen Abgrund: „Othello, Venedigs Neger” im Theater Aachen

Aachen : Sturz der Seele in den schwarzen Abgrund: „Othello, Venedigs Neger” im Theater Aachen

„Mensch Papa” - die herzhaft liebevolle Anrede einer jungen Desdemona von heute für einen zutiefst besorgten Vater Brabantio von heute.

Eine höchst gegenwärtige Übersetzung von William Shakespeares Drama „Othello, Venedigs Neger” (uraufgeführt 1604), die Werner Buhss vor knapp neun Jahren vorlegte, findet in der klar strukturierten Inszenierung von Michael Helle, Schauspieldirektor am Theater Aachen, seine Entsprechung.

Intelligent und mit psychologischem Fingerspitzengefühl wird hier Phase für Phase ein menschliches Drama aufgebaut und skizziert, dessen Zeitlosigkeit bewegt. Klugheit, Poesie und messerscharfer Biss eines Shakespeare-Textes bleiben präsent.

Mit dieser außergewöhnlichen Premiere wurde die Schauspielsaison 2004/2005 im Große Haus eröffnet.

Luftig weit und funktional die Szenerie: Bühnen- und Kostümbildner Achim Römer sorgt mit einem undefinierbaren Rosarot-Ton, der Boden, Seiten und die halbrunde Rückwand mit den vier Öffnungen überzieht, für eine angespannte Atmosphäre. Alle Beteiligten tragen moderne Straßenkleidung. Ein überlanges ungemütliches Sofa ist das einzige Möbelstück.

Es reicht, um von einem Menschen zu erzählen, der zerstört wird: Othello, der „Neger”, ist nicht nur weißhäutig, er trägt auch den weißesten Anzug von allen. Glücklich und selbstbewusst hat er sich in einer Gesellschaft, die ihn als erfolgreichen Heerführer braucht, etabliert.

Die Akzeptanz macht jedoch nur eine dünne Schicht aus, darunter sind alle Ressentiments sehr lebendig - Rainer Krause (Herzog von Venedig), Ulrich Haß (Brabantio) und Karsten Meyer (Lodovico) setzen diese Geisteshaltung eindeutig um.

Wenn anfangs zu dröhnend-rockiger Musik eine Wand aus der Tiefe aufsteigt, vor der auf schlichten Stühlen die Repräsentanten der Gesellschaft sitzen, ist alles klar.

Christian Schulz verkörpert diesen Othello mit souveräner Autorität. Ein Mann, der erst in der Liebe Desdemonas zu Kraft, Sicherheit und wahrer Größe gefunden hat.

Gerade diese Liebe ist seine Achillesferse. Und einer weiß das sehr genau: Jago, übergangen bei einer Beförderung, getroffen in seiner Eitelkeit, hasserfüllt.

Karl Walter Sprungala gibt diesem Giftmischer, der die langsam, aber nachhaltig wirkende Kunst der Verleumdung virtuos ausübt, das Gesicht eines loyalen Intellektuellen.

Sprungala setzt diese Rolle mit Spielwitz, scharfzüngiger Eleganz und boshaftem Vergnügen und mit Verschwörergeste nah am Publikum um. In feinen Nuancen seiner Körpersprache beantwortet Christian Schulz dieses seelische Zerstörungswerk der Eifersucht.

Farbe im Gesicht

Von der anfänglichen Irritation bis zu verzweifelten Ausbrüchen von Gewalt, ist man Zeuge, wie Othello genau das wird, was man ihm unterstellt - er wird zum „Primitiven”. Er schmiert sich schwarze Farbe auf die Haut, springt affenartig auf das umgekippte Sofa, macht Faxen, brüllt fremdsprachige Satzfetzen.

In Helles Regie werden inneres und äußeres Geschehen mit atemberaubender Intensität verdichtet. Desdemona, spontan, frisch, verspielt und ehrlich von Nathalie Schott gespielt, rennt vergebens an gegen die Mauern der Intrige.

Enrique Keil als hübscher, hilfloser Cassio und Daniel Drewses als erbärmlicher Rodrigo gehören genauso zu Jagos Plan wie die liebestolle Bianca (Angela Eickhoff) und Desdemonas Vertraute Emilia, der Marita Breuer jene frustrierte Härte gibt, die man in einer Ehe mit Jago erwarten kann.

Schließlich fallen Schüsse, setzt Helle unter einem giftigen Mond auf Thriller-Effekte. Umso mehr wird Othellos Mord an Desdemona zum irrsinnigen Bemühen, Schmerz und Not eigenhändig auszumerzen.

Bis zum Schluss gelingt es, die Dramatik zu steigern. Ein kraftvoll agierendes Ensemble geht diesen Weg mit. Lang anhaltender Applaus.