Aachen : Schonungsloses Meisterwerk: „Zeiten des Aufruhrs” von Richard Yates
Aachen Was für eine phantastische Wiederentdeckung! Da verschwindet über Jahrzehnte ein Autor aus fast allen Bücherregalen dieser Welt, und plötzlich ist er wieder da - mit einem Roman, den er vor über 40 Jahren geschrieben hat.
Der Amerikaner Richard Yates hat diese Renaissance seines Romans „Zeiten des Aufruhrs” nicht mehr erlebt, er starb 1992. Dabei hatte er schon in den 60er Jahren in Amerika Kultstatus erreicht. Und heute sagt der Schriftsteller Richard Ford, Yates Werke weiterzuempfehlen und weiterzureichen, sei wie „jemandem einen alten, sehr klugen Freund vorzustellen”.
Der Roman ist eine schonungslose Chronik der amerikanischen 50er Jahre, 1961 veröffentlicht als zersetzende Kritik der Gesellschaft, die ihr Leben der für damals typischen Vorstadtlösung anvertraute, zwischen verschlafenem Land- und hektischem Stadtleben.
Das Buch beginnt mit einem sprachlichen Paukenschlag. Die Art, in der Yates den Auftritt einer Laienschauspielschar beschreibt, ist in ihrer Präzision perfekt. Man glaubt, in der ersten Reihe zu sitzen und das dilettantische Spektakel zu verfolgen und zu erleiden.
Die Beschreibung der total verunglückten Aufführung ist grandios. Wir werden eingeführt in das Leben von Frank und April Wheeler, einem jungen und ehemals hoffnungsfrohen Paar, das sich Illusionen hingibt und tief in die Spießbürgerlichkeit abrutscht.
Alle Versuche, die Notbremse auf der rasanten Fahrt in einen heftigen und zermürbenden Ehekrieg zu ziehen und ein neues Leben in Europa zu beginnen, scheitern in großem Stil. Es kommt zur Tragödie.
Frank Wheeler, Ende 20, verheiratet mit der schönen April, zwei Kinder, Eigenheim im New Yorker Vorort West Conneticut, arbeitet in der Verkaufsförderung einer Computerfirma in Manhattan.
Nie hat er eine wirklich große Zeit erlebt. Seine Frau wird früh schwanger, er sucht sich nach seinem Studium einen eher minderwertigen Job, sie ist Hausfrau und Mutter und würde doch so gerne Schauspielerin sein.
Die Beschreibungen dieser kleinbürgerlichen Welt, die austauschbar ist wie ein billiger Möbelprospekt, atmen, bewegen, reißen mit. Das ist hohe Kunst. Aus diesem Vorort-Mief will man nur noch raus, wenn man sich - wie Frank und April - für etwas Besseres hält.
Wenn das nicht mehr gelingt, weil man selbst längst zu träge geworden ist, kommt es zu Streit, Konflikten, Selbsttäuschungen und Katastrophen. „Es ist, als wären sich alle stillschweigend darüber einig, in einem Zustand totalen Selbstbetrugs zu leben”, sagt Frank.
Yates schildert das auf ungewöhnliche Weise psychologisch perfekt und literarisch brillant. Zu Recht sagte Tennessee Williams über den Roman: „Ein Meisterwerk moderner amerikanischer Literatur.” Ein bitteres Meisterwerk, ein hochkarätiger Kult-Klassiker.
Noch ein paar Worte zu Richard Yates: 1961 wurde dieser Roman, Originaltitel „Revolutionary Road”, veröffentlicht, nicht ohne in Amerika Aufsehen zu erregen. Er wurde für den National Book Award nominiert, den er nur knapp verpasste.
Yates schrieb weitere Romane und sagte später, es sei sein Pech gewesen, dass sein erster Roman der beste war. Er arbeitete später als Redenschreiber für Robert Kennedy, war Werbetexter und übte eine Lehrtätigkeit aus. 1992 starb er im Alter von 66 Jahren.
Stewart ONan, Autor des ebenso wunderbaren Romans „Sommer der Züge” sorgte für die literarische Wiedergeburt dieses und weiter sechs Romane von Richard Yates. Die sehr gelungene neue deutsche Übersetzung ist von Hans Wolf.