Aachen : Schmerzhafte Reise in dunkelste Tiefen
Aachen Der Teufelskreis ist durchbrochen! Die Botschaft ist erschütternd und nach all dem Grauen unerwartet: Die Liebe siegt — sogar über Mord, Brand, Folter und Vergewaltigung. Der libanesische Autor Wajdi Mouawad führt das Publikum in seinem 2006 erstmals in deutscher Sprache gespielten Stück „Verbrennungen“, das bereits die erstaunliche Zahl von 23 Inszenierungen erreicht hat, mitten hinein in die Grausamkeiten des Bürgerkriegs seiner Heimat.
Doch hier ist nicht der politische Ansatz das Ziel, sondern die Frage, wozu Menschen fähig sind, was sie verändert, treibt — und doch am Leben erhält. Ewa Teilmans hat sich für das Theater Aachen an dieses schmerzhafte Mosaik herangewagt.
Gesprengter Bunker
In sensibler, klar zeichnender Regie gelingt es ihr, die komplizierten Zeit- und Handlungsstränge enger und enger miteinander zu verflechten. Manfred Kaderk schuf eine massive Bühnenschräge, die an einen gesprengten Bunker erinnert. Hier im zersplitterten Gelände und zwischen zwei grabähnlichen Öffnungen spielen sich alle Schicksale ab. Im Hintergrund gibt es einen grau-weißen Brocken, der an einen vom Himmel gestürzten Asteroiden erinnert. Aus seiner Öffnung kriechen Menschen wie Überlebende einer Katastrophe.
Das Stück ist spannend, facettenreich und berührend. Erzählt wird das Schicksal von Nawal (Marion Martienzen), einer jungen Christin, die sich in den Muslim Wahad verliebt und von ihm ein Kind erwartet. Das kurze Glück wird zerstört, der junge Mann erschossen, das Neugeborene fortgegeben. Eine Tätowierung auf der Schulter des Kindes wird sehr viel später zu einer erschütternden Erkenntnis führen. Nawal durchlebt die Wirren eines Lebens, für das sie unbequeme Entscheidungen trifft, in dem sie reift, das Schema eines libanesischen Frauenschicksals hinter sich lässt und zu sich findet. Doch der Preis ist hoch.
Was nun anläuft, ist eine breit angelegte Szenerie, in der Ewa Teilmans Gegenwart und Vergangenheit, Ursachen und Wirkungen rasant aufeinander zuführt.
Das Stück beginnt mit Nawals Tod, nachdem sie fünf Jahre lang geschwiegen hat. Ihren beiden Kindern, den Zwillingen Hannah und Simon, trägt sie auf, nach Vater und Bruder zu suchen. Eine mysteriöse Botschaft, die die beiden jungen Leute in eine tiefe Krise stürzt. Felix Strüven und Nadine Kiesewalter setzen diesen Konflikt mit sicherem Gespür individuell um. Strüven zeigt einen jungen Mann, der im Entsetzen erstarrt und mit Rebellion reagiert, wo er das Zerbrechen seiner Welt ahnt. Nadine Kiesewalter ist als Hannah zunächst frisch und aufgeschlossen. Dann fühlt sie sich immer stärker ein in das Schicksal der Mutter. Marion Martienzen gibt Nawal Mut und Herz, eine aufrechte Frau, die sich durch nichts aufhalten lässt. Menschen kreuzen und begleiten diesen Weg. Sawda, eine junge Muslimin (leidenschaftlich gespielt von Stefanie Dischinger), mordlüsterne Soldaten und viele mehr. Souverän verkörpern ganz besonders Torsten Borm und Rainer Krause die unterschiedlichsten Charaktere. Das Bild, das Ewa Teilmans in gleitenden Szenenwechseln webt, wird zunehmend deutlicher. Britta Leonhardt setzt mit gut gestalteten Kostümen wichtige Signale. Und wenn plötzlich eine Micky Maus aus dem Grab springt, um mit Totenköpfen einen skurrilen Tanz (Musik: Malcolm Kemp) aufzuführen, könnte das mit den irrsinnigen Verkettungen von Gewalt und Gegengewalt zu tun haben.
Die Wahrheit des Stücks ist grausam, wird aber durch weise Worte aus dem Jenseits aufgefangen — Briefe, die Nawal ihren Kindern hinterlassen hat.
Autobiografische Elemente aus dem Leben des Autors spielen in „Verbrennungen“ eine Rolle, aber er betont, dass es kein Stück über den Libanon-Krieg sei. Daran hat sich Ewa Teilmans gehalten. Sie führt mit einem starken Ensemble (in weiteren Rollen: Robert Seiler, Irena Orawiec, Danijel Paviša, David Joost, Vincent Orawiec) in die dunkelsten Tiefen menschlicher Verhaltensweisen, um über Trümmern die Liebe siegen zu lassen. Großer Applaus.
Weitere Aufführungen: 13., 23., 31. März, 14., 21. April, 19., 24. Mai, 13. Juni. Mehr Infos im Internet: www.theater-aachen.de