Aachen : Schillernde Klangvielfalt, impulsive Interpretation
Aachen Ungewöhnlich viele Plätze blieben beim 4. Sinfoniekonzert im Eurogress unbesetzt. Ob es nur an der ungewöhnlichen Programmzusammenstellung gelegen hat oder auch an der Abwesenheit von Generalmusikdirektor Marcus R. Bosch, der sich zu einem regelrechten Publikumsmagneten entwickelt hat, lässt sich wohl nicht klären.
Dass der vorgesehene Gastdirigent Peter Ruzicka krankheitsbedingt absagen musste, erleichterte die Sache nicht. So kam dem jungen, derzeit in Japan tätigen Wiener Christian Arming die ebenso schwierige wie undankbare Aufgabe zu, das sehr persönlich gestrickte Programm von Peter Ruzicka kurzfristig zu übernehmen.
Dazu gehörte auch eine eigene Komposition Ruzickas, der Arming mit respektvoller Distanz begegnete. „Metamorphosen über ein Klangfeld Haydns” nennt Ruzicka seine 15-minütige Arbeit und bezieht sich damit auf klangliche und strukturelle Variationen einiger Akkorde aus Haydns „Letzten Sieben Worten”. Arming brachte die Klangvielfalt des Werks schillernd zum Klingen, konnte sich aber nicht einer gewissen statischen Schwere entziehen, so dass die Klangflächen etwas einseitig wie monolithische Blöcke wirkten.
Auch das Hauptwerk des Abends, Alexander von Zemlinskys symphonische Dichtung „Die Seejungfrau” nach Andersens bekanntem Märchen, erfordert schon eine enge Affinität des Dirigenten zum Stück. Zemlinsky hat zwar vor allem als Opernkomponist eine verdiente Renaissance erfahren; in seiner leuchtkräftigen Orchestermusik konnte er sich jedoch nie aus dem Schatten seiner Zeitgenossen lösen. Debussy war ihm an Transparenz überlegen, Mahler an Reflexionsniveau, Strauss an Plastizität und Schönberg an Kühnheit.
Um das 45-minütige Klanggemälde unter Spannung halten zu können, bedarf es schon einer besonderen Liebe und persönlichen Beziehung zum Werk, die von einem „Einspringer” nicht unbedingt erwartet werden dürfen. Arming nutzte immerhin geschickt die vorzügliche Spielkultur des Aachener Sinfonieorchesters, um die klanglichen Raffinessen wirkungsvoll zur Geltung kommen zu lassen.
Blieb als populäres Zugstück Mendelssohns Violinkonzert, das Arming unauffällig routiniert begleitete und somit der jungen Solistin Rebekka Hartmann das Feld überließ. Die gebürtige Münchnerin erweitert die derzeit stattliche Phalanx des weiblichen Geigerinnennachwuchses und bestach mit einer impulsiven, spieltechnisch hoch entwickelten Interpretation.
Dabei ging sie mitunter so ungestüm vor, dass etliche Läufe ihre melodische Linie verloren. Kleine Abstriche, die zum Recht der Jugend gehören und die der etwas robusteren Urfassung des Konzerts gar nicht schlecht zu Gesicht standen. Dankbarer bis begeisterter Beifall für einen Konzertabend unter schwierigen Bedingungen.