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Aachen: Rembrandt über die Schulter geschaut

Aachen : Rembrandt über die Schulter geschaut

Spontan hingeworfene Zeichnungen aus luftig-leichten Strichen, dramatisch beleuchtete Szenen wie aus einem Kinofilm, lebendige Wechsel von Hell und Dunkel, Räume von greifbar scheinender Tiefe, ein ganzer Kosmos im Miniformat.

Hautnah nacherleben kann der Besucher des Aachener Suermondt-Ludwig-Museums jetzt, was den unsterblichen Ruhm des Rembrandt van Rijn bereits zu seinen Lebzeiten in ganz Europa begründet hat: Radierungen von unerreichter Meisterschaft. 54 von insgesamt rund 300, von denen die Nachwelt Kenntnis hat, sind hier in einer aufschlussreichen und effektvollen Inszenierung von Freitag an (Eröffnung 19 Uhr) bis zum 5. Februar ausgestellt.

„Rembrandt gespiegelt”: So lautet der Titel der Schau, die vor zwei Jahren im Museum het Rem-brandthuis in Amsterdam zu sehen war und nun von Kurator Heinrich Becker neu arrangiert präsentiert wird. Jedem Blatt - allesamt erstklassige frühe Drucke aus dem Bestand des Rembrandthuis, von denen einige gerade aus Japan zurückgekehrt sind - ist eine spiegelverkehrte Fotoabbildung gegenübergestellt. Sie simuliert den ursprünglichen Blick des Künstlers: Rembrandts Sicht auf die Kupferplatte unter seinen Händen. Das spätere gedruckte Werk gibt die Komposition naturgemäß in gespiegelter Form wieder.

„Eine Schule des Sehens” und ein „Augenspiel” verspricht Museumsdirektor Peter van den Brink den Besuchern. Der Vergleich der Künstlerperspektive mit der späteren Reproduktionsgrafik erlaubt in der Tat auf einmalige Weise, die unterschiedlichen Wirkungen der verschiedenen Gestaltungsmittel zu beurteilen.

Die dramatische Wirkung indessen ist bei vielen Radierungen Rembrandts in der ursprünglichen Kupferplattenversion sehr viel stärker als im Abzug: Den Meister kümmerte es offenbar wenig, dass das Blatt die Geschichte, die es erzählt, durchaus im Gegensatz zum eigentlichen Sinn darstellt: Während zum Beispiel der Sohn Jakobs in einer Szene, in der er dem Vater das blutgetränkte Gewand des Josef zeigt, auf der Platte richtigerweise nach links - in die grässliche Vergangenheit - weist, richtet er auf dem Abzug den Zeigefinger spiegelverkehrt in die falsche Richtung: nach rechts - in die Zukunft. Und dass der Rechtshänder Rembrandt sich in einem gedruckten Selbstporträt als Linkshänder präsentiert, war ihm bei der Bildplanung offensichtlich ebenso egal wie die spiegelverkehrte und also falsche Silhouette der Stadt Amsterdam in einer Landschaftsdarstellung. Seinem Ruhm tat die offenbar etwas nonchalante Berücksichtigung von Rechts und Links allerdings keinen Abbruch.

Dass der Engel seine Verkündigung der frohen Botschaft vom Himmel aus ungewöhnlicherweise mit der erhobenen Linken unterstreicht, ist dem zeitgenössischen Publikum möglicherweise nicht einmal aufgefallen.
Allein bei seiner Signatur: Da war Meister Rembrandt pingelig. Bis auf eine einzige Ausnahme achtete er stets darauf, dass sein Namenszug auf dem gedruckten Blatt richtigherum und leserlich erschien.

Der Faszination dieser vor feinsten Details strotzenden Meisterwerke kann man sich auch heute nicht entziehen - seien es die biblischen Szenen, die Landschaften, Porträts und Selbstporträts, profane Darstellungen oder muntere Szenen aus der griechischen Mythologie.
Seine „Landschaft mit drei Bäumen” von 1643 gilt im Übrigen als Rembrandts erste realistische Landschaftsdarstellung überhaupt - absolut wirklichkeitsgetreu: Holland ist bis zum Horizont doch ein ziemlich plattes Land.