Aachen : Rachephantasien im Häftlingstagebuch
Aachen Es geht um schweren sexuellen Missbrauch. Neun Taten zwischen Sommer 1996 und Sommer 1997 waren es, für die der heute 56-jährige Arbeiter aus Herzogenrath sechs Jahre und neun Monate einsaß. Eigentlich hätte er im Dezember 2004 entlassen werden sollen.
Doch bei dem Mann, der sein Leben lang kaum Schreiben und Lesen lernte, hat die Staatsanwaltschaft Zweifel, dass er seinen damaligen Opfern, zwei Jungen und zwei Mädchen, nicht wieder etwas antun könnte, wenn er in Freiheit gelangt.
Juristische Premiere
Auf diesem Hintergrund startete am Diehnstag vor dem Aachener Landgericht (5. Große Strafkammer) zum ersten Mal in der hiesigen Rechtsgeschichte ein Verfahren zur nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung nach Paragraph 66b des Strafgesetzbuches.
Die neue Bestimmung, die seit Sommer 2004 Rechtskraft hat und erst am Wochenende vom jüngsten Strafverteidigertag, der in Aachen stattfand, kritisiert wurde, kommt dann zum Tragen, wenn es „vor Ende des Vollzugs” Anlässe gegeben hat, „die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit hinweisen”, so lautet die Passage im entsprechenden Gesetzestext.
Das scheint im jetzigen Fall nach Auffassung der Staatsanwaltschaft und der Gefängnispsychologin so zu sein, weil bei dem Beschuldigten ein Horror-Tagebuch gefunden wurde. In einem unscheinbaren Quartheftchen, wie es sie in den Anstalten gibt, hatte der wegen der Sexualdelikte verurteilte Hilfsarbeiter im Straßen- und Gerüstbau bereits in der U-Haft Szenenbilder aus Horrorfilmen eingeklebt und sich von einem Haftgenossen Texte dazuschreiben lassen - aus der Bibel und aus „Hexenbüchern”, wie er vor Gericht angab, das habe ihm gefallen.
In den Eintragungen tauchen in brutalen Zusammenhängen die Namen der Opferkinder auf, die noch heute, wie es hieß, unter den Übergriffen des Kinderschänders leiden. Auf Vorhaltungen, warum er das so habe niederschreiben lassen, stritt er seine Autorenschaft ab, der betreffende Mithäftling habe ihm das untergeschoben, die Texte habe er ja nicht lesen können. Denn da stand Grausames, meist in Reimen, wie etwa „die Gräber dort im Tal, da liegen T. und R.” - die Namen der geschändeten Kinder stehen dort. Und an anderer Stelle „der Tod ist ein gerechter Kerl”.
In verschiedensten Versionen sind perverse Todesdrohungen zu lesen, er habe sie jedes Jahr ausgeschnitten und in das neue, aktuelle Tagebuch eingeklebt, berichtete der 56-Jährige . Hinter den Jahreszahlen der Opfer-Namen waren Kreuze gezeichnet, „damit ich noch weiß, wie sie aussehen, wenn ich raus komme”, erklärte er der Richterin. Das wisse er doch auch so, ohne Kreuze - so lautete der Vorhalt des Gerichts. Darauf gab er keine Antwort. Erstaunlich auch, dass in dem Tagebuch ein weiterer Jungenname genannt war, der bisher als Opfer nicht auftauchte.
Sadistische Phantasien
Die Anstaltspsychologin, die zwei Mal ein Gespräch mit dem Gefangenen geführt hatte, sagte als Zeugin aus. Sie schätze den Häftling „als gefährlich” ein, weil er die Taten leugne und sich über Jahre mit seinen „sadistischen und perversen Phantasien” beschäftigt habe.
Das Prüfverfahren war von der Anstaltsleitung angeregt worden, weil der Häftling Kinderbilder in der Zelle hatte und keine Reue zeigte. Das Verfahren wird am Freitag am Aachener Landgericht fortgesetzt.