Köln : Psychologe: „Gebildete machen einen Bogen um Karneval”
Köln Die meisten Kulturschaffenden und akademisch Gebildeten machen nach Einschätzung des Karnevalspsychologen Wolfgang Oelsner einen großen Bogen um die fünfte Jahreszeit. „Der Karneval leidet darunter, dass er in dieser Gruppe nicht gesehen wird”, sagte der Kölner Experte.
„Schriftsteller, bildende Künstler, Intellektuelle und Akademiker allgemein haben mitunter Angst vor Trivialität und befürchten, mit Banalem, Kitsch oder Klischeehaftem in einen engen Zusammenhang gebracht zu werden.”
Zwar gebe es im Karneval auch „billiges Trallala”, und bisweilen gehe es „dumm und platt” zu. Geboten würden aber auch intelligenter Humor, niveauvolle Lieder, pfiffige Texte und glänzende Büttenreden. „Das Problem ist heute, dass der Karneval nicht mehr so sehr gestaltet, sondern vor allem konsumiert wird - da muss die Post schon von der ersten Minute an abgehen.”
Oelsner, der in der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität Köln tätig ist und sich zudem mit mehreren Veröffentlichungen als Karnevalspsychologe einen Namen gemacht hat, erklärte: „Die Leute wollen feiern, tanzen, es herrscht der Zwang, dass sofort Stimmung da sein muss, und es wird immer schneller und immer lauter.” Die Folge: „Da traut man sich nicht mehr so sehr die niveauvolle Rede.”
Karnevalsfreund Oelsner, der die „Flüstersitzung” als Tusch-freie Veranstaltung der leiseren Töne mitorganisiert, kritisierte viele Sitzungen als zu starr im Ablauf: „Bei allem, was sehr stark ritualisiert ist und wo man auf Kommando „Alaaf” ruft, muss man wohl etwas skeptisch sein.”
Zur Qualität der Karnevalsveranstaltungen meinte der Herausgeber des neuen Titels „Kamelle, Tod und Leidenschaft - Das Lesebuch vom Karneval” : „Ein Drittel ist niveauvoll, ein Drittel „na ja” und ein Drittel „vergiss es lieber"”. „Die anspruchsvollere, pfiffige Rede hat im Sitzungssaal heute kaum noch eine Chance”, beklagte Oelsner. „Die Zuhörbereitschaft ist geringer geworden, die Menschen können sich heute nicht mehr so gut konzentrieren.”
So komme es zu einem Teufelskreis: „Dann wird das Mikrofon eben lauter gedreht und ein Trommelfeuer von Witzen und Gags im schnellen Takt unter die Leute gebracht.”
Dennoch habe er die „Illusion, die Kluft in der Gesellschaft mit den Mitteln der heiteren Feste wie Karneval” überwinden zu helfen. „Es wäre wünschenswert, wenn auch der Intellektuelle eine Sekunde innehalten könnte und überlegte, was die vermeintliche Trivialliteratur im Karneval ihm vielleicht doch zu bieten hat.”