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„Pique Dame“ in Aachen: Schöne Töne, große Bilder, leere Gesten

Tschaikowskis Oper „Pique Dame“ am Theater Aachen : Schöne Töne, große Bilder, leere Gesten

Das Aachener Theater spielt Tschaikowskis Oper „Pique Dame: Regisseurin Ewa Teilmans greift in die Effektkiste. Gesungen wird prima, gespielt weniger.

Vom Unsagbaren, von dem Geheimnis, das der Musik innewohnt, hält Ewa Teilmans offenbar nicht viel. Saint-Exupérys Spruch vom Wesentlichen, das unsichtbar ist, muss ihr ein Graus sein. Nun, Ewa Teilmans ist Regisseurin. Und da ist es ihr Job, Bilder zu finden für das, was Dichter oder Komponisten einst gemeint und uns heute zu sagen haben könnten. Aber muss sie daher gleich jeden Takt der „Pique Dame“-Partitur, wie sie Peter Tschaikowski nach einem 40-tägigen Schaffensrausch in Florenz hinterließ, mit Bildern tapezieren, die angeblich das Geheimnis der Figuren erhellen? Muss sie natürlich nicht, aber sie tut’s trotzdem. Vielleicht, weil sie glaubt, dass es dem Publikum gefällt.

Die Seele leuchtet im Graben

So erfährt man schon zum Orchestervorspiel – in dem Generalmusikdirektor Christopher Ward die russische Seele des Sinfonieorchesters Aachen temperamentvoll zum Leuchten bringt –, dass Hermann und Lisa, die tragischen Liebenden der Oper, eine schwere Kindheit hatten. Hermann musste immerzu Krieg spielen, Lisa hatte eine ganze Armee von Gerten schwingenden und Reitstiefel tragenden Gouvernanten um sich. Der Chor der Kinder schlägt zum „Kiwitt“ mit den Flügeln, im Hier und Jetzt der Handlung treffen sich die Sauf- und Glücksspiel-Kumpane schuhplattlernd.

Die Bühne dazu ist irgendwie watteweich geschwungen, eine Wand-Architektur (Bühne: Elisabeth Pedross) mit aufgeklebten Pompons auf zwei Ebenen, aus deren Öffnungen Treppen herausrollen, Monster oder Schäfchen in Zwangsjacken, je nach Bedarf.

Wenn sie voll ist, diese Bühne, dann geht gewöhnlich die Post ab. Chor und Extrachor machen sich mal nach Männlein und Weiblein getrennt, mal im großen Ensemble mit Lust und hoher Kompetenz über die zahlreichen, dankbaren Chorpassagen her. Die Kostümschneiderei (Kostüm: Andreas Becker) hat dazu sicher massenweise Überstunden geleistet. Denn wir sehen beispielsweise pittoreske Frauen im amerikanischen 50er-Jahre-Look, eine Karnevalsgesellschaft skurrilster Gestalten einschließlich zauberhafter Kopffüßler, zuckersüße Commedia-dell’arte-Kostüme im Mozart parodierenden Daphnis-und-Chloe-Zwischenspiel. Der Wahnsinn. Ja, einmal schwebt aus dem Himmel die da bereits tote Gräfin als Gardinen-Gespenst herein und wird von stabführenden Gehilfen zum schauerlichen Leben erweckt.

Wenn die Bühne leer ist und die Protagonisten ihre Liebe, ihre Verlassenheit, die Angst zu scheitern, ihre Begierden in Arien gießen: nur die Stimme, die wunderbare Musik und der Körper – dann ist die Regie mit ihrem Latein am Ende. So wenig Kontakt, Reagieren aufeinander (in der Bühnenaktion wohlgemerkt, nicht im Musikalischen) hat man selten sehen müssen in Aachen.

Cooper Nolan, den famosen, dunklen, höhensicheren Tenor, konnte die Regisseurin offenbar nicht überreden, seine leeren, pseudodramatischen Sänger-Gesten zu Hause zu lassen. Larisa Akbari singt mit schönem, hellem, klarem Sopran die Lisa-Partie, aber guckt immerzu schmallippig gedankenversunken drein. Wo da erotisches Knistern sein soll, bleibt ein Geheimnis. Und vom Sturm der Liebe ist nichts zu sehen an diesem Abend, an dem einzig Tief „Sabine“ stürmt, was einige leere Plätze im Parkett nach sich zieht. Eher unfreiwillige Komik, wenn etwa der Sarg mit der alten Gräfin zum Spielgerät wird oder das finale todestrunkene Liebesduett auf einem überdimensionalen Zifferblatt stattfinden muss, was an Banalität kaum zu übertreffen sein dürfte.

Knochenmänner und Goldflocken

Ewa Teilmans hat wieder tief in die Effektkiste gepackt. Zum Märchenspiel von der Gier nach den drei magischen Karten hat sie drei Tänzer engagiert, die im Knochenmann-Kostüm immerzu um den unglücklichen Hermann herumwirbeln. Der, wohl ein Kindheitstrauma, des Öfteren die große Zitter kriegen muss. Bei den hohen Bs und Hs zittert aber absolut nichts. Es nebelt überreichlich, mal regnet’s Goldflocken, mal erscheint die Gräfin als Video.

Ewa Teilmans geht es in ihrem Regieansatz neben der Psychologisierung der Figuren, die aber zur Küchen-Psychologie neigt, darum zu zeigen, dass starke Frauen auf der Bühne stehen. Das sieht man etwa an dem Koffer, den Lisa im dritten Akt trägt. Statt sich umzubringen, verlässt sie ihren spielsüchtigen Hermann. Sogar Livia Budai, die die Gräfin diabolisch mit einem wie aus großer Vergangenheit herübertönenden Alt ausstattet, ist in ihrem Tod als Hüterin des Geheimnisses der drei Karten noch überzeugend selbstbestimmt.

Mit bestem, betörendem Sänger-Handwerk überzeugen Ronan Collett als baritonal wunderbar timbrierter Fürst Jeletzkij, Fanny Lustauds Mezzo als Pauline, Soon-Wook Kas feiner Tenor als Tschekalinskij. Das alles in einem sehr gut aufgelegten Solisten-Ensemble, das aus dem Graben mit Verve durch die Partitur getragen wird. Die Ohren laben sich am schwelgenden Solocello, an bronzenem Blech und diversen – nicht immer ganz feinen – Harfenklängen. Und immer, wenn’s dramatisch wird, grollen die Pauken. Die Aachener „Pique Dame“ mündet mit großer Geste in großen Applaus.