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Düsseldorf: Phänomen Selfie: Manie, Modezwang oder pure Eitelkeit?

Düsseldorf : Phänomen Selfie: Manie, Modezwang oder pure Eitelkeit?

So viel Ich war nie! Auch Alain Bieber ist auf dem totalen Ego-Tripp. Dabei sind die Selbstporträts, die auf dem Sweatshirt des neuen Leiters des NRW-Forums in Düsseldorf wimmeln, wohl nur als ironisches Augenzwinkern zu seinem ersten selbst kuratierten Ausstellungsthema zu sehen: die Selfie-Manie!

Jenes nicht mehr ganz so neue gesellschaftliche Phänomen der milliardenfach fotografierten Selbstinszenierung hat der 36-Jährige aus dem Netz gefischt und die Kommentare von 23 nationalen wie internationalen Künstlern dazu versammelt: „Ego update“.

Intimstes geht online

Welchen Einfluss haben digitale Medien auf die Ich-Werdung? Ein buntes Panoptikum bevölkert die Ausstellungshallen. Menschenbilder zwischen Wunsch, Fake und Wirklichkeit, Alltag und Avatar, Privates ist öffentlich, intimste Körperpartien sind längst online ausgeleuchtet. Banal, amüsant, verblüffend. „Die Zukunft der digitalen Identität“ verspricht die Ausstellung auszubreiten.

Da nimmt Bieber den Mund allerdings etwas zu voll. Seine Schau führt ein Gegenwartsporträt vor Augen. Die gruseligen Auswüchse in die Zukunft, wenn das Handy bereits Körperteil ist, wird eine spezielle Messe im November im NRW-Forum diskutieren . . .

Längst hält der Zeitgenosse nicht nur seinen Kopf hin, wenn es um die weltweite Selbstbehauptung im Internet geht. Fuß-Fetischist ist er auch. Eine Halfpipe hat Erik Kessels mit Hunderten fotografierter Füße — gelackt, geschunden, in Flipflops, mit Socken, mit Blasen oder in neuen Schuhen — gepflastert und diese lächerliche Eitelkeit begehbar in den Raum gestellt. Im Bett mit Angela Merkel beim Croissant-Krümeln oder in der Wanne mit den Royals: Die Paparazzi-Schlüsselloch-Perspektive in die Welt der Promis und gekrönten Häupter führt die Britin Alison Jackson mit Double-Szenen ad absurdum.

Die uralte Sehnsucht nach Heldendasein bekommt in digitalen Zeiten ein virtuelles zweites Gesicht wie bei Laturbo Avedon, oder kommt als japanisches Cosplay daher in Oliver Siebers Fotos von verkleideten Manga-Fans.

Affenartig dieses Gorilla-Grinsen! Das imposante Tier hatte dem Fotografen David Slater kurzerhand die Kamera stibitzt, ein Selfie geschossen und damit glatt einen Urheberrechtsstreit ausgelöst. In Bronze samt Selfie-Arm ließ sich der Feelgood-Rapper MC Fitti gießen und singt als Selfie-Gott mit Schülern im eigenen Tempel, während Milo Moiré in einem Schurz aus Polaroid-Selbstporträts durch die Ausstellung lustwandelt und mit der Handykamera liebäugelt.

Gesichtserkennung im Landschaftsbild? Cedric Kiefer und Julia Laub haben diese „Google-Faces“ der Natur technisch aufgespürt.

Wie die Menschen aussehen, die den ausgestellten Kaugummi gekaut, diese Zigarette geraucht oder dieses Chipseckchen geknuspert haben, weiß dagegen Heather Bewey-Hagborg. Faszinierend! Mit DNA-Analysedaten hat die Wissenschaftlerin und Künstlerin den Computer gefüttert, und der spuckte dann 3D-Porträts der „Täter“ aus. Das Ich über allem — und alles? Als urbane Gipfelstürmer halten sich schließlich Vitaly Raskalov und Vadim Makhorov auf Brückenpfeilern, Hochhausdächern und Kölner Domspitzen fest. Warum das alles? Kreative Selbstvergewisserung oder Modezwang? Wer Antworten auf Fragen zur gut 100-jährigen Geschichte des Selbstporträts bekommen möchte, dem bietet Bieber auch aufklärende Filme an — wie jenen von Stéphane Carrel, zu sehen im Kino-Kabinett vom 9. bis 22. November.

Apropos sehen: 100 000 Besucher im Jahr will der neue Hausherr am Ehrenhof mit seiner „Ideenfabrik“ ins NRW-Forum locken. Mit der Ausstellung „Ego update“ setzt er in jedem Fall darauf, „dass Kinder ihre Eltern ins Museum zerren“.