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Mönchengladbach: „Oedipus”: Wahrheit und Schuld unter Hochdruck

Mönchengladbach : „Oedipus”: Wahrheit und Schuld unter Hochdruck

„Je preiser gekrönt, umso durcher gefallen.” Das sagte einst Max Reger. Auf den Komponisten Wolfgang Rihm trifft die Feststellung nicht zu.

Er gehört er zu den gewichtigsten Vertretern seiner Zunft. Man stellte das einmal mehr fest anlässlich der Aufführung seines als „Musiktheater” bezeichneten „Oedipus” im Theater Mönchengladbach.

Der berühmte Stoff der Tragödie von Sophokles, die Tragik des unschuldig-schuldigen Königs von Theben, der unwissentlich seinen Vater tötet und mit seiner Mutter Inzest begeht, hat mehrere Komponisten zu Vertonungen gereizt.

Am bekanntesten wurde Strawinskys szenisches Oratorium „Oedipus Rex”, das den ins Lateinische übertragenen Text durch einen Sprecher erläutern lässt.

Davon ist Rihm weit entfernt. Er reichert den Sophokles-Text noch mit Nietzsche und Heiner Müllers „Oedipuskommentar” an.

Eine Gedankenüberfrachtung, die es dem Hörer nicht eben leicht macht, zumal, und das war die eigentliche Crux der von Gregor Horres inszenierten Mönchengladbacher Aufführung des 1987 in Berlin uraufgeführten Werkes, man vom Text so gut wie kein Wort verstand.

Eine intensive Vorbereitung durch das genaue Studium des Programmheftes war also unabdingbar. Horres ließ in moderner Kleidung spielen, mit Straßenanzügen und Pappkronen, die Zeitlosigkeit des Konflikts unterstreichend.

Das mag insofern legal sein, als es Rihm nicht um die Frage der Schuld geht, sondern um die Aufdeckung der Wahrheit, und die ist in der Tat zeitlos.

Die vier Frauenstimmen der Sphinx, zwei auf der kargen, von weißen Wänden begrenzten Bühne, zwei vom Tonband eingeblendet, die Männer von Theben, die durch die Zeitung von dem über die Stadt hereingebrochenen Unheil erfahren, die Auseinandersetzungen zwischen König Oedipus und seinem Nachfolger Kreon sowie dem Seher Tiresias, das alles schlägt sich in hochgespanntem Sprechgesang nieder, in dem schließlich Königin Jokaste entscheidend eingreift.

Ein unter dramatisch-musikalischem Hochdruck stehendes, in der Personenführung überaus bewegtes Geschehen, das den Hörer von der ersten bis zur letzten Minute des anderthalbstündigen Abends in Bann schlägt, wenn ihm auch manches Detail rätselhaft bleibt.

Auf sehr hohem Niveau die musikalische Seite des Abends. Johannes M. Kösters singt die mit extremen Intervallstürzen gespickte Titelpartie in Ausdruck und Tongebung grandios.

Sein schließlich erkennender Zusammenbruch geht unter die Haut. Ronald Carter als Kreon, Michael Tews als Tiresias, Mikhail Lanskoi, der aus dem Parkett heraus agierende und beschwörende Bote, Carola Guber, die eindrucksvolle Jokaste, sie alle bieten Gewähr für eine imponierende Ensembleleistung.

Nicht minder imponierend in ihrer dramatischen Wucht die Männerchöre. Am Pult stand Kenneth Duryea, Bühne und das mit Holz-, Blechbläsern und einer großen Schagzeuggruppe bestückte Instrumentarium der Niederrheinischen Sinfoniker souverän koordinierend, die aggressive Härte der Musik keineswegs mildernd.

Ein nicht ganz unproblematischer, aber beeindruckender und am Ende lange bejubelter Abend.