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Neues Album von Celeste: Vertrauen auf die innere Stärke

Neues Album von Celeste : Vertrauen auf die innere Stärke

Celeste gilt als Großbritanniens neue Popmusik-Hoffnung. Die Erwartungen an ihr erstes Album sind hoch, vorab wurde sie sogar schon mit einem Brit-Award ausgezeichnet. Nun legt sie ihr Debüt „Not Your Muse“ vor. Endlich!

Nach einigem hin und her ist „Not Your Muse“, das Debütalbum der momentan meistbeachteten englischen Soulsängerin Celeste, dann doch am Freitag erschienen. Eigentlich bereits für das vergangene Jahr vorgesehen, wurde die Veröffentlichung zunächst wegen der Corona-Pandemie auf Ende Februar verschoben. Vor zwei Wochen gab die 26-Jährige dann überraschend ein doch wieder vorgezogenes Erscheinungsdatum bekannt. Aus gutem Grund: Über keinen anderen Emporkömmling mit einem Vertrag bei einer der noch verbliebenen großen Plattenfirmen diskutiert das musikaffine England derzeit so intensiv wie über Celeste.

Die Granden der Musik- und TV-Unterhaltung liegen ihr bereits seit geraumer Zeit zu Füßen. Lily Allen, die furchtlose Pop-Individualistin von der Insel, veröffentlichte Celestes Einstiegssingle „Daydreaming“ bereits Ende 2016 auf ihrem eigenen Label. Natürlich der Stimme des Nachwuchstalents wegen, die Allen fraglos an das Organ ihrer Patentante Angela McCluskey erinnerte. Manchmal trotzig, oft beinahe kindlich engelsgleich und doch bauchig wie einst Billie Holiday, reicht Celestes Stimmumfang vom Alt bis in den Sopran hinein. Das ließ sogar Elton John aufhorchen, der ihr eine ruhmreiche Zukunft prophezeite. Der englische TV-Comedian James Corden findet ihre Songs genauso „sensationell“ wie Jools Holland und BBC-Radio-DJ Tom Robinson.

Im vergangenen Jahr wurde Celeste schlussendlich sogar mit einem Brit-Award in der Kategorie „Aufsteigender Star“ ausgezeichnet, was ein gutes Vorzeichen ist – das sie allerdings auch unter Zeitdruck setzte. Da im Popgeschäft nichts so schal schmeckt wie das Tamtam von gestern, musste „Not Your Muse“ also doch so schnell wie möglich erscheinen.

Die stürmischen Zeiten und der Erwartungsdruck, die deswegen vor ihr liegen, ignoriert die Sängerin und Komponistin mit typisch britischem Understatement. Sie hoffe einfach auf möglichst viele gespitzte Ohren, die ihre Aufmerksamkeit den zwölf Songs ihres Debüts schenken, sagt sie bescheiden. Und gefallen sollen sie natürlich auch – „mindestens bis 2022“, meint Celeste mit einem erfrischend selbstironischen Lachen.

Man merkt ihr sowohl im Gespräch wie auch beim Singen an, dass sie es trotz aller Abgeklärtheit sehr ernst meint mit der Musik. Irgendetwas hinschludern, um das Gesicht einmal mehr in die Kamera halten zu können, käme ihr nicht in den Sinn. Leidenschaft, Hingabe und beinahe etwas Sakrales schwingt in ihrer Stimme und den fein instrumentierten Songs mit, die sie aus ihrer Seele wuchtet.

Alles andere als ein Wegwerfprodukt

Damit macht sie dann auch gleich einen weiten Bogen um die landläufige Meinung, nach der Popmusik heute mehr denn je ein Wegwerfprodukt sei. Populärer Schnee von gestern wird „Not Your Muse“ auch in fünf Jahren noch nicht sein. Dafür behielten Celeste und ihre beiden Co-Produzenten John Hill und Jamie Hartman viel zu offensichtlich die zeitlos klassische Kunst des Arrangierens im Auge.

„Ich kann nichts vortäuschen, nicht heucheln“, betont sie mehrfach im dramatischen Crescendo des Eröffnungsstücks „Ideal Woman“. Im Kontext des Songs richtet sich ihre Selbstermächtigungshymne, die große Mengen weiblichen Stolzes ausdünstet, natürlich an einen Typen. Metaphorisch betrachtet, gibt sie mit der Zeile aber auch gleich zu Anfang vor, was ihr und ihrem Album, zumindest im Umfeld der jungen, englischen Popmusikschaffenden, ein Alleinstellungsmerkmal verleiht.

Zwar wird Celeste inzwischen als Erbin von Amy Winehouse, Adele und – beinahe unvermeidlich, weil sie ja in Soul macht – auch von Aretha Franklin gehandelt. Derlei unnützen und auch nervigen Vergleichen nimmt sie allerdings mittels ihres Charismas und ihrer eigenen Perspektive auf Musik umgehend den Wind aus den Segeln. Dem Selbstdestruktiven der Winehouse fällt sie, die stolze Selbstoptimierte, vermutlich nie anheim, während Opulenz bei Adele besser aufgehoben ist als bei ihr. Und ein Aretha-Franklin-Imitat ist sie gleich gar nicht.

Ihr rauchiges Timbre bedarf karger Instrumentierung, um richtig ins Mark treffen zu können. Gelingt das, wie im Klagelied „Strange“, rütteln die Noten aus ihrem Kehlkopf unaufdringlich an den Gemütern ihrer Zuhörer. So lange, bis man ihre verwunderte Verzweiflung förmlich spüren kann, mit der eigenen abgleicht und sich im Dialog mit Celeste befindet. An manchen Stellen des Albums ist die Musik aber auch von geradezu erdrückender Fülle geprägt, wenngleich sie gerade dann auch entwaffnend harmonisch ist.

„Tonight Tonight“ will eine Uptempo-Nummer im Stil des schicken Northern Soul der 60er sein, fällt aber wegen der fehlenden Naivität, die dem Gros ihrer anderen Songs innewohnt, in Richtung Gebrauchspop ab. Aufregender, weil am Retro Jazz orientiert, singt sie sich in „Stop This Flame“ swingend und resolut das Gefühl der Vereinnahmung vom Leib. Wie so oft auf der Platte, artikuliert Celeste darin ihr stetiges Ringen um Vertrauen auf ihre inneren Stärken. Dabei übt sie sich natürlich auch im Abgrenzen von der Funktionalität der immer sensationsgierigeren Pop-Branche.

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Mit der stetigen Reibung zwischen wohlwollender Selbstgnade und dem Wunsch, sich möglichst vielen Menschen zu vermitteln, erklärt sie schließlich auch den Titel ihres Debütalbums: „‚Not Your Muse‘ drückt die Kraft aus, die ich fand, als ich mich kraftlos fühlte“, erklärt Celeste. „Während des Entstehungsprozesses der Platte habe ich es mir gestattet, an den Punkt der Selbstermächtigung zu gelangen, was heftiges Staunen und Erfüllung in mir schuf. Ich bin sehr stolz auf das, was ich mit meinem ersten Album erreicht habe und fühle nichts außer Dankbarkeit und Begeisterung darüber, mir im Laufe des letzten Jahres meine Haltung bewahrt haben zu können.“

Haltung als Metabotschaft eines jazz- und bluesgetränkten Soul-Albums? Wenn das Schule machte, würde Celestes Album dem orientierungslosen Pop-Betrieb quasi en passant eine neue Perspektive eröffnen.

Celeste: „Not Your Muse“ (Polydor/Universal)