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Popmusik-Neuveröffentlichungen der Woche: Schmelztigel, Zitroneneis und Zirkusbühne

Popmusik-Neuveröffentlichungen der Woche : Schmelztigel, Zitroneneis und Zirkusbühne

Man muss sich nicht alles anhören, was an Popmusik erscheint. Es gibt aber Alben, die sollte man nicht verpassen. Unsere Auswahl der Woche mit Calexico, Bilderbuch, Kurt Vile, Dahlia Sleeps und Joe Satriani.

Calexico: „El Mirador“ (City Slang/Rough Trade):

Nach dem Indierock-Ausflug „The Thread That Keeps Us“ (2018), einer zweiten Zusammenarbeit mit Iron & Wine (2019) und einem Weihnachtsalbum (2020) markiert „El Mirador“, das zehnte reguläre Album der Band, für Joey Burns und John Convertino so etwas wie eine Rückkehr. Die beiden Kreativköpfe von Calexico leben längst nicht mehr in Tucson, Arizona, dieser Zwischenwelt mitten in der Wüste, nicht mehr ganz USA, noch nicht ganz Mexiko (auch die Karibik ist nicht weit). Und doch haben sie gerade in diesem Schmelztigel stets Inspiration für ihre Musik gefunden. So auch jetzt im Heimstudio des langjährigen Bandmitglieds Sergio Mendoza: Mariachi, Cumbia und Son halten wieder Einzug und treffen auf die typischen, atmosphärisch dichten cineastischen Momente. Das klingt in den besten Momenten sommerlich leicht („Harness The Wind“, „Liberada“), in seltenen, wuchtig orchestrierten Fällen aber auch klischeehaft nach Westernfilm-Klamauk („The El Burro Song“). Am Samstag, 7. Mai, treten Calexico im E-Werk in Köln auf. (chr)

Bilderbuch: „Gelb ist das Feld“ (Maschin/Universal):

14 Liebesbriefe hat die Wiener Art-Pop-Band Bilderbuch für ihr neues Album entworfen und aufgenommen. In einer Blockhütte an einem See im Teil der Anden, der zu Argentinien zählt, weit weg von Alpen, Zeitgeist und zugehörigem Angst-Diktum improvisierte sich das Quartett in eine Realität, die keine ist. Am Horizont können auch noch so beklemmend-menschengemachte Gebilde des Dividierens und der Herrschaftssucht erscheinen, das ewig wandelbare Bilderbuch verteilt deliziöses, musikgewordenes Zitronen- und Orangeneis. Die Viererbande versteht sich dennoch nicht als eingeschworene Gruppe von Schamanen. Vielmehr lassen sie den New Wave der frühen 80er Jahre in all seiner schwarzmalerischen Banalität wiederaufleben, um ihm geradezu mantraartig wiederholte Glaubenskrönchen an die Liebe aufzustülpen. Wie viel Meskalin dabei oben im südamerikanischen Gebirge im Spiel war, ist nicht überliefert. Von reichlich psychogen bedingten Fantasien ist das gelbe Feld indes durchzogen. (ML)

Kurt Vile: „(Watch My Moves)“ (Verve/Virgin/Universal):

Kurt Vile, Jahrgang 1980, ist ein Kind der späten 90er und frühen 2000er Jahre. Damals, als er seine ersten musikalischen Gehversuche gemacht hat, war Low ­Fidelity angesagt, das Gegenstück zur glattgeputzen High Fidelity. Alles wurde möglichst simpel produziert, am besten mit dem Kassettenrekorder, sollte bewusst nicht perfekt klingen. Für „(Watch My Moves)“, sein achtes Album, ist Vile im Prinzip ins Wohnzimmer zurückgekehrt, auch wenn das Heimstudio inzwischen vollgepackt ist mit teuerster Technik.

Seine Kunst: Er verbindet Lo-Fi-Ästhetik mit zeitlos klassischem Songwriting im Stil von Tom Petty oder Bruce Spring­steen. Letzteren covert Vile nicht von ungefähr mit „Wages Of Sin“. Die 15 eher getragenen Stücke mit insgesamt knapp 70 Minuten Spielzeit fügen sich zu einer Tagträumerei zusammen, in die man sich wunderbar hineinversenken kann. „Mount Airy Hill“, „Chazzy Don’t Mind“ oder „Say The Word“ stechen als Höhepunkte heraus. Kurt Vile tritt am Montag, 12. September, im Gloria-Theater in Köln auf. (chr)

Dahlia Sleeps: „Overflow“ (Ferryhouse/Rough Trade):

Klanggemälde zu schaffen, die in ihren Strukturen wie der Surrealismus Salvador Dalís anmuten, hat sich das Londoner Duo Dahlia Sleeps vorgenommen. Das ist, mit Verlaub, ein ganz schön hochgestecktes Ziel, dem es selbst mit den variabel erscheinenden Mitteln des Samplings und der elektronischen Sound-Manipulation kaum gerecht werden kann. Gleichwohl haben die Sängerin und Texterin Lucy Hill und ihr produzierender Multiinstrumentalisten-Kompagnon Luke Hester zehn Popsong-Kleinodien für ihr Einstandsalbum kreiert, denen es keineswegs an Tiefe und sonderbar-schön verdrehten Motiven mangelt. Als ob sie auf Tage hoffe, an denen sie sich selbst akzeptieren kann, öffnet Hill mehrstimmig ihr psychologisches Schmuckkästchen. Dessen skizzierte Abgründe werden von Hester beinahe jonglierend in abstrahiert-schwingende Räume gelenkt. Dahin, wo deren Betrachtung weniger schmerzt. Am Ende der Reise von der Seele zum Bauchgefühl und wieder zurück steht die segensreiche Katharsis. (ML)

Joe Satriani: „The Elephants Of Mars“ (Earmusic/Edel):

Joe Satriani lässt auf seiner neuen Studioeinspielung wieder die Muskeln spielen. In der Manier eines Gladiators bereitet er der Gitarre die ganz große Zirkusbühne. Wer die Elefanten vom Mars sind, die als sinnbildliche Leitfäden durch die 14 neuen Instrumentalstücke führen, lässt der Meister der abstrakten Songstruktur freilich offen. Die Liste der Musiker, denen es vergönnt ist, ihn auf seinem 19. Album zu begleiten, deutet jedoch darauf hin, dass sie von Satriani als Schwergewichte vom anderen Stern betrachtet werden.

Allen voran die Schlagzeuger-Allzweckwaffe Kenny Aronoff, der schon für die Smashing Pumpkins getrommelt hatte, bietet Satrianis Tapping-Wahnsinn reichlich groove-intensive Kontrapunkte. Das Stück „Tension And Release“ würde ohne das hormonell ausgerichtete, metrische Beet, auf dem der Gitarrist wandeln darf, ob des vielen Saiten-Quietschens nur mehr die Nerven strapazieren. Es geht nämlich immer noch höher und schneller in Satrianis Gitarrenlehre. (ML)