Neues vom Star der Countertenöre : Einmal mehr stimmliche Feuerwerke
Paris Er gilt derzeit als der Größte unter den Countertenören: Philippe Jaroussky. Mit seinem neuen Album „Ombra mai fu“ bietet der Franzose unterhaltsame Kost. Er singt Arien von Francesco Cavalli, einem Komponisten, von dem er schwärmt. Dessen Opern sind für ihn „eine schier endlose Quelle des Vergnügens“.
„Guten Tag, wie geht es Ihnen?“ Der französische Countertenor-Star Philippe Jaroussky beginnt das Gespräch zu seinem neuen Album „Ombra mai fu“ in beinahe akzentfreiem Deutsch. Allerdings übers Telefon. Eigentlich hätte er am Morgen für eine Reihe Interviews nach Hamburg fliegen sollen. Aber ein Hexenschuss zwingt ihn zum Verweilen im heimischen Paris.
Eine Kortison-Injektion soll den 41-Jährigen, dessen Kalender schon jetzt bis zum übernächsten Jahr gut gefüllt ist, schnell wieder auf die Beine bringen. Eine Woche Zeit hat er zur Erholung. Danach stehen sofort wieder Auftritte an. Die zu absolvieren, wenn der Rücken schmerzt, wäre extrem belastend. Zumal sich Jaroussky einer Atemtechnik zum Singen bedient, die ohnehin von physischer Schwerbelastung geprägt ist.
Für sein neues Album hat er mit seinem Barock-Ensemble Artaserse 24 Stücke eingespielt und eingesungen. Es sind zum Großteil Opernarien des Monteverdi-Schülers Francesco Cavalli – also nicht übermäßig schwer zu singender Stoff. Für Jarousskys Verhältnisse, versteht sich.
Aber schwierig genug, um den Sänger immer wieder zum Einhalten von Pausen zu zwingen. Zwei Tage Aufnahmen, ein Tag Pause, so sah das Pensum während des Einspielens aus. Sicher auch, weil Jaroussky nach wie vor ein Perfektionist ist. Er sei zwar längst nicht mehr dermaßen von der Perfektion besessen wie vor 20 Jahren, als er sein Aufnahmedebüt in Scarlattis „Sedecia“ gab, sagt er. Inzwischen ist er aber doppelt gefordert, als Ensemble-Leiter und als Sänger.
Geistreich und anmutig
Und ganz so locker nimmt er es mit seinen stimmlichen Leistungen nach wie vor nicht. Auch nicht in der Interpretation von Cavalli, dessen Partituren sogar regelrecht zur Improvisation anstiften. In prächtiger stimmlicher Eleganz versieht er Cavallis Lamenti aus „Erismena“ und „Eliogabalo“ mit atemstockender emotionaler Intensität. Geistreich und anmutig besetzt er gesanglich das Titelstück des neuen Albums, aus der „Xerse“-Oper.
Obwohl Cavallis Musik seinen Tonumfang nicht notwendigerweise fordert, feuert er einmal mehr stimmliche Feuerwerke ab. Vor allem in Auszügen des dritten Akts der venezianischen Karnevalsoper „Gli amori d’ Apollo e di Dafne“. Hier funkelt und flimmert seine Koloratur mit eindrucksvoller Genauigkeit.
Aber Jaroussky unterstreicht auch, dass großartiger Gesang nicht zwangsläufig extravagant sein muss. Seine Auffassung von „La Virtu dei Strali d’amore“, ausgewogen und wunderbar nuancenreich eingesungen, unterstreicht beinahe zärtlich Jarousskys Verhältnis zur Musik Cavallis. Schon früh in seiner Karriere als Profi näherte er sich, damals noch unter dem argentinischen Dirigenten Gabriel Garrido, dem Repertoire des Komponisten an.
„Cavallis besondere Begabung besteht für mich darin, dass er gleichsam Meisterkomponist für kraftvolle Lamenti wie auch komisch-burleske Szenen war“, sagt Jaroussky. „Seine Opern waren überaus vielfältig, und sie sprudelten über vor Leben. Für mich werden sie immer eine schier endlose Quelle des Vergnügens sein. Meine Karriere ist ganz eng mit Cavallis Musik verbunden.“
Dass dessen Stücke verglichen mit denen anderer Barock-Helden wie Monteverdi oder Händel geradezu unterhaltend klingen, trägt zum überaus leichten Einstieg in Jarousskys neues Album bei. Mit Leichtigkeit setzen sich die Melodien fest und lassen schnellen Zugang finden. Ein Umstand, der durch die Dramaturgie der Abfolge der Stücke noch gesteigert wird. Hier und da lässt Jaroussky seine Musiker kleine Instrumentalstücke aus Cavallis Opern-Gesamtwerk aufführen. Zum Luftholen, aber auch, um die Übergänge zwischen unterschiedlichen Arien mit der spielerischen Brillanz der Musiker zu belegen.
Ein Hoch auf die Schallplatte
Mit „Ombra mai fu“ erscheint erstmals in der Karriere Jarousskys ein Album, das seinen Namen trägt, auf Vinyl. Darauf hat er höchstpersönlich gedrängt. Aus gutem Grund. Vor einem Jahr kaufte er sich einen Plattenspieler. Des angenehmeren Klangs wegen, wie er sagt. In Pariser Plattenläden ist er seither Dauergast.
Schallplatten von Ella Fitzgerald, Sarah Vaughan und Chopins Nocturnes drehen sich zurzeit am häufigsten bei ihm daheim. Und die „Greatest Hits“ der Rockband Queen, deren Filmdrama „Bohemian Rhapsody“ ihn im Kino bewegt hat. Er hofft, dass mit der Rückkehr zum Vinyl auch die Wertigkeit von Musik zurückkehrt. Und auch das Bewusstsein, dass nichts ewig besteht, wie die digitale Welt glauben machen will.
„Ich reise viel um die Welt und stelle fest, dass die sogenannte westlich-zivilisierte Welt zunehmend lahm wird, wegen der Schutzmauern, die wir um unseren Reichtum herum aufbauen“, sagt er. „In Südamerika haben die Menschen vergleichsweise nichts, und sie wirken trotzdem glücklicher. Vielleicht gefällt mir Cavallis Musik so gut, weil exakt dieser Geist darin zu spüren ist. Der schrieb seine Opern nicht, damit sie ewig bestehen sollten. Er schrieb sie, um davon bescheiden leben zu können. Um etwas zu essen bekommen zu können.“
Und wofür nimmt Philippe Jaroussky seine Platten auf? „Damit niemand behaupten kann, dass sich Klassik wunderbar zur Entspannung eignet. Jeder, der klassische Musik zu diesem Zweck hört, verachtet die Klassik.“