Popmusik-Neuveröffentlichungen der Woche : Knarzig Rockiges, zart Berauschendes und schräg Geschreddertes
Aachen Man muss sich nicht alles anhören, was an Popmusik erscheint. Es gibt aber Alben, die sollte man nicht verpassen. Unsere Auswahl der Woche mit Jack White, Aldous Harding, Vince Staples, Father John Misty und Frank Zappa.
Jack White: „Fear Of The Dawn“ (Third Man Records/Membran):
Über weite Strecken klingt das neue Album von Jack White überraschend wenig überraschend, was dem Charme des Unterfangens jedoch keinen Abbruch tut. Zwölf Lieder über die Furcht vor der Dämmerung hat die eine Hälfte des längst nicht mehr existierenden Duos The White Stripes auf dem ersten von zwei Alben versammelt, mit denen er den eingeschworenen Kreis der Retro-Sound-Freunde in diesem Jahr beglückt. Und so steigt er dann auch mit knarzigen, reichlich verzerrten 60er-Gitarrensounds ins Geschehen ein. Aufs Schlagzeug wird dazu in modernisierter Iron-Butterfly-Manier so heftig eingedroschen, als ob es darum ginge böse Geister auszutreiben. White setzt dem Ganzen mit halb gebrülltem Gesang die angsttönende Krone auf. Drei Stücke lang geht das so, bis Q-Tip von A Tribe Called Quest in „Hi-De-Ho“ die düstere Verbeugung vor der Rockhistorie mit Sprechgesangseinlagen Richtung Neuzeit kippt. Hörfreude bereitet der Angsthase White damit allemal. (ML)
Aldous Harding: „Warm Chris“ (4AD/Beggars Group/Indigo):
So minimalistisch arrangiert die Musik von Aldous Harding auch sein mag, die ihren Gesang oft nur mit E-Piano, Gitarre oder kleinen Geräusch- und Rhythmus-Ergänzungen begleitet, so exzentrisch ist die neuseeländische Singer-Songwriterin in ihrer Präsentation auf der Bühne oder im Video. Mit „Warm Chris“ legt Hannah Sian Topp, wie Aldous Harding bürgerlich heißt, ihr inzwischen viertes Album vor. Nicht einfach, denn es ist nach dem meisterlichen „Designer“, mit dem sie 2019 international für Furore sorgte, gefühlt eher ein zweites Album. Die haben es wegen der großen Fallhöhe nach einem herausragenden Vorgänger immer etwas schwer. Harding, erneut mit Produzent John Parish (u. a. PJ Harvey) an ihrer Seite, scheint das nicht zu beeindrucken. Nahtlos knüpft sie an „Designer“ an, hat Mut zu noch mehr Intimität in den Arrangements, bleibt ihrem Referenzrahmen (Joni Mitchell, Nico, frühe Cat Power) treu und liefert eine Song-Perle nach der anderen ab. Ein zartes, berauschendes Album. (chr)
Vince Staples: „Ramona Park Broke My Heart“ (Motown/Universal):
Beispielhaft produziert und mit nur 22 Minuten Spielzeit bündig auf den Punkt gebracht, hat US-Rapper Vince Staples im vergangenen Juli sein kleines, nach ihm benanntes Meisterwerk veröffentlicht. Sein neues Album wurde scheinbar bereits ebenfalls im vergangenen Jahr als großer Bruder des beachtlichen Geschwisterchens konzipiert, in dem jede Menge relevante Fragen zu Rassismus, Faschismus und Sexismus gestellt wurden. Nach der Gegend um Ramona Park bei Long Beach, Kalifornien, benannt, in der Staples aufwuchs, liefert er diesmal die Antworten auf das viele Suchen im vergangenen Jahr.
Stapleds stellt den Begriff Heimat ins Zentrum einer Erzählung, die seine eigene Biografie als heranwachsender Schwarzer mit Metaphern schildert, deren Treffsicherheit direkt in Mark und Seele zielen. Nach dem Prolog „The Beach“ geht’s entsprechend ans Eingemachte, ran an die Narben, um die er erlösend psychedelische Elektronik-Texturen pflanzt, womit er HipHop einmal mehr auf links dreht. (ML)
Father John Misty: „Chloë and the Next 20th Century“ (Bella Union/PIAS):
Ein bisschen ratlos ist man schon. Nach vier Jahren Abwesenheit meldet sich Joshua Michael Tillman mit einem fünften Album unter seinem Alias Father John Misty zurück. Und dann sind die ersten Töne von „Chloë and the Next 20th Century“ Swing-Sound der 20er Jahre. Es folgt „Goodbye, Mr. Blue“, eine lupenreine Adaption von Harry Nilssons Hit „Everybody’s Talkin’“, bekannt aus dem Film „Asphalt-Cowboy“ (1969). Chanson, Lounge-Jazz, Bossa-Nova-Pop, nichts lässt der US-Musiker aus. Alles wird üppig orchestriert, Streicher, Bläser, das ganz große Besteck, bis hin zum cineastischen „Funny Girl“ (Produzent ist der Westküsten-Alleskönner Jonathan Wilson). Das ist alles perfekt und sehr angenehm zu hören. Und doch fragt man sich permanent, ob Tillman das ernst meint. Der finale Titelsong „The Next 20th Century“, zunächst im 80er-Kuschelrock-Format, schreddert die Retro-Heimeligkeit jedenfalls gründlich in einer endzeitlich anmutenden Dystopie inklusive ziemlich schrägem Wilson-Gitarrensolo. (chr)
Frank Zappa: „The Mothers 1971“ (Zappa Records/Universal):
Liveaufnahmen von Frank Zappa gibt es wie Sand am Meer, doch diese 8CD-Box ist ein besonderes Schmankerl. Die kompletten Gigs der „Mothers“ im Juni 1971 im New Yorker Fillmore East sind zu hören, dazu die legendäre letzte Show dieser Besetzung im Londoner Rainbow Theatre im Dezember ´71. Legendär – und dramatisch. Stieß doch ein angeblicher Fan Zappa nach der Zugabe von der Bühne, den Sturz in drei Meter Tiefe in den Orchestergraben überlebte Zappa schwer verletzt, mehrere Monate saß er im Rollstuhl.
Die Mothers 1971 – auch das war eine verrückte Truppe. Schier unglaubliche Sound- und Klanggebilde lässt Frank Zappa entstehen. Orchestriert mit einer Präzision und Pedanterie, wie sie im Rockbusiness zu der Zeit eher selten war. Dazu werden Geschichten mit abstrusem Inhalt erzählt. Thematisch meist schwer unter der Gürtellinie, wie es für den Bürgerschreck aus Kalifornien immer Programm war. Das ist Zappa in Reinkultur – nichts für schwache Nerven. Aber für echte Fans ein echtes Muss. Einfach nur gut! (alp)