Neues Album von Eric Clapton : Die Faszination des Minimalen
Aachen Eric Claptons neues Album „The Lady In The Balcony“ ist eine persönliche Bewältigung des Lockdowns und sicherlich eines der schönsten, das der legendäre Blues-Gitarrist herausgebracht hat.
Corona hat vieles verändert. Und viele. Eric Clapton steht in gewisser Weise als ziemlich unrühmliches Beispiel da. Was von ihm in den vergangenen Wochen und Monaten in Sachen Impfung und Nebenwirkungen, Lockdown und angrenzende Baustellen zu hören und zu lesen war, darf man gelinde gesagt als ausgesprochen merkwürdig klassifizieren. In unheiliger Allianz mit Van Morrison bastelte er auch an kruden Verschwörungstheorien und outete sich als vehementer Kritiker allgemein anerkannter pandemiebedingter Restriktionen. Die Fans wenden sich mit Grausen, und die Fachwelt spottet. Ein Denkmal baut sich selber ab. Es ist ein Jammer.
Dabei geht es anders. Man kann die Pandemie und ihre Folgen auf vielfältige Weise verarbeiten. Zum Beispiel mit Kreativität, mit Innovations- und Improvisationsfreude. Einfach mit dem, was auch Eric Clapton immer noch am besten kann: Gitarre spielen und singen. „The Lady In The Balcony“ ist dafür bestes Beispiel. Sicherlich eines der schönsten und außergewöhnlichsten Alben, das der mittlerweile 76-Jährige herausgebracht hat. Man ist versucht zu sagen: Geht doch! Und wie!
Schon die Vorgeschichte ist besonders: Nachdem klar war, dass alle Touraktivitäten – darunter die mittlerweile legendären Shows in der Londoner Royal Albert Hall – der Pandemie zum Opfer fallen und auf 2022 verschoben werden müssen, machte sich Clapton mit seinem Management daran, Alternativen auszutüfteln. Die Wahl fiel schließlich auf ein Setting, das es so bisher nicht gab – und wahrscheinlich auch nicht wieder geben wird. Band und Crew gingen im Februar dieses Jahres – stets besorgt und „bewacht“ von Covid-Beauftragten – gemeinsam im edlen Landhaus Cowdray Park südwestlich von London in Quarantäne, um Claptons neues Album aufzunehmen.
Blues wie im Harry-Potter-Outfit, historisches Gemäuer à la Hogwarts, Wohnzimmeratmosphäre mit dicken Teppichen, Stehlampen und getäfelten Wänden. Dazu Gitarre, Kontra- oder Akustikbass, ein wenig Schlagwerk und Keyboards. So minimalistisch ist noch nie eine Clapton-Produktion entstanden. Nein, das ist kein Aufguss der legendären MTV-Unplugged-Aufnahme, mit der Clapton 1993 sechs Grammys einheimste. „Not Plugged In Again“ hat Clapton die Lockdown-Session später charakterisiert. Eine kleine Reminiszenz an alte Zeiten, mehr nicht.
Denn so zurückgezogen, so behutsam, so empathisch war selbst die damals fast revolutionär spartanisch anmutende MTV-Produktion nicht. Clapton spielt fast ausschließlich Akustik-Gitarre, Nathan East hauptsächlich Kontrabass. Beides unverstärkt, nur von Raum-Mikrofonen aufgenommen. Steve Gadd streichelt das Schlagzeug mit den Händen, benutzt – wenn überhaupt – den Jazzbesen als Hilfsmittel. Und auch Chris Stainton wählt die ganz dezenten Töne am Piano, produziert zarte Akkordeonklänge an den Keyboards, lässt Streicher erahnen. Es ist die Faszination der absoluten Zurückhaltung, die das Album ausmacht.
Das Song-Material – 17 Blues-Standards, Hits und unbekanntere Perlen aus Claptons Backkatalog – bringt wenig Neues, aber vieles ist der Reduktion geschuldet neu arrangiert. So gewinnt man selbst „Tears In Heaven“ und „Layla“ neue Hörgefühle ab. Doch wirklich herausragend sind andere Nummern. Claptons Hommage an den im Juli 2020 gestorbenen Peter Green zum Beispiel – „Black Magic Woman“ mit einem überraschenden Boogie-Woogie-Ende und „Man Of The World“. Oder das schmachtende „Golden Ring“ vom Album „Backless“ aus dem Jahr 1978, das zuvor erst einmal – 1999 im „Club Juventud de Badalona“ in Barcelona – live gespielt worden ist.
Für J.J. Cales „After Midnight“, erstmals von Clapton im Jahr 1970 aufgenommen, wechselt der 76-Jährige von der (eigens für das neue Album gefertigten) 12-Saiten-Gitarre auf die klassische Sechs-Saiten-Martin, auf der er auch ein wunderschönes Solo zu „Bell Bottom Blues“ beisteuert.

Die ganze Macht des Wenigen offenbart sich aber bei „River Of Tears“ vom 1998er Album „Pilgrim“. Clapton deutet die Melodieführung auf der Gitarre meist nur an, spielt dezente Fills und überlässt die Harmonieausgestaltung Nathan East und Chris Stainton. Rund sieben Minuten pure Emotion, man will fast den Atem anhalten, um die Darbietung nicht zu stören.
Und die „Lady In The Balcony“ applaudiert dezent ... Der etwas kryptische Albumtitel ist seiner Frau Melia gewidmet, die die Sessions von einer Balustrade der großen Halle von Cowdry Park aus verfolgt. Fast idyllisch mutet das an – und so gegensätzlich zu Claptons Querdenker-Manie.
Das Idol einer ganzen Gitarristen-Generation sollte halt Gitarre spielen und singen – und das Räsonieren über Politik und Gesellschaftskritik kundigeren Menschen überlassen. Dann passt auch im Alter wieder alles zusammen, virenfrei sozusagen.
Eric Clapton: „The Lady In The Balcony“ (Universal)