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Interview mit der Antilopen Gang: Der „Hass“ der Antilopen auf die alte Heimat Aachen verblasst

Interview mit der Antilopen Gang : Der „Hass“ der Antilopen auf die alte Heimat Aachen verblasst

Die Antilopen Gang wurde in Aachen gegründet und hat für eine der musikalischen Überraschungen des Jahres gesorgt. Ein Gespräch über die (fehlende) Kultur in ihrer Heimat, HipHop und Altersmilde.

Es war ein außergewöhnliches Jahr für die Antilopen Gang. Die HipHop-Band, die zu zwei Dritteln aus Aachen stammt, stand im zweiten Pandemiejahr kurz vor der Pleite, als im April das Solo-Album von Danger Dan veröffentlicht und zum Überraschungserfolg des Jahres wurde. Das Klavieralbum „Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“ wartete nicht nur mit klaren politischen Aussagen etwa im Titelsong auf, sondern enthielt mit „Ingloria Victoria“ auch eine Abrechnung mit dem Bildungssystem im Allgemeinen und dem Aachener Viktoria-Gymnasium im Speziellen. Lohn für das musikalische Experiment war Platz 1 der Albumcharts und ein neues Publikum, das die erfolgreiche HipHop-Nischenband bis dahin nicht auf dem Schirm hatte. Nun erscheint am Heiligen Abend der erste Sampler ihrer eigenen Plattenfirma Antilopen Geldwäsche. Gründe genug also für Christian Rein und Amien Idries mit Danger Dan und Panik Panzer dieses Jahr in einer Neukölln-Kreuzberg-Aachen-Videoschalte Revue passieren zu lassen. Herausgekommen ist ein richtig langes Interview, in dem die beiden Brüder, die im wirklichen Leben Daniel und Tobias Pongratz heißen, über ihren nachlassenden Aachen-Hass, politische Haltung und die Rollenverteilung zwischen ihnen reden.

Danger Dan, Du hast Ende Oktober den „Listen-to-Berlin“-Award für das kreativste Video gewonnen. In Deiner Dankesrede hast Du dich explizit für die Hilfsbereitschaft des Theater Aachen bedankt, wo das Video zu „Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“ gedreht wurde, und ein Konzert dort in Aussicht gestellt. Gibt es schon einen Termin zu verkünden?

Danger Dan: Es gab Kontakt, aber noch keinen Termin. Das Hauptproblem der ganzen Branche ist, dass es derzeit null Planungssicherheit gibt. Alle fahren auf Sicht. Hinzu kommen die Mühlen des Theaters, die in Aachen zwar schon „erschreckend“ unbürokratisch, aber dennoch die Mühlen eines städtischen Theaters sind. Da gibt es ganz viele Instanzen, die befragt werden müssen, bevor es zu einem Entschluss kommt. Das wird also noch ein wenig dauern, aber ich bin mir ganz sicher, dass wir irgendwann vorbeikommen können. Es gibt aber zum Glück trotzdem die Möglichkeit, ein Konzert von mir in der Gegend zu besuchen, ich spiele am 8. Juli auf der Burg Wilhelmstein und freue mich wirklich sehr darauf.

Ihr habt nie einen Hehl daraus gemacht, dass Euch zu Eurer Heimatstadt Aachen eine Art Hassliebe verbindet - mit Betonung auf Hass. Ist das das normale Gefühl eines Heranwachsenden, dem sein Umfeld zu klein und piefig wird, oder gibt es spezielle Gründe, warum man Aachen hassen kann?

Danger Dan: Möchtest du antworten Tobi?

Panik Panzer: Ich überlege noch, wenn dir also etwas einfällt.

Danger Dan: Ich stelle fest, dass mein Hass auf Aachen kleiner wird, je länger ich weg bin. Als ich noch hier gelebt habe, war ich in so einem Trott gefangen. Es gab immer nur dieselben drei, vier Läden, in die ich gehen wollte. Die haben irgendwann zugemacht, und ich hatte das Gefühl, dass mir das zu eng wird, dass ich eine größere Spielwiese brauche. Das kann auch viel mit mir zu tun gehabt haben, dennoch gab es spezifische Probleme.

Zum Beispiel?

Danger Dan: Zum einen gab es damals eine sehr, sehr aktive Neonazi-Szene, von der wir stark bedroht wurden. Als ich vor zehn Jahren weggezogen und in der sogenannten No-Go-Area Berlin-Neukölln gelandet bin, habe ich mich das erste Mal seit Jahren sicher gefühlt. Hinzu kommt das Clubsterben in Aachen, das schon früh losging. Man hatte das Gefühl, dass einer nach dem anderen schloss und die Stadt sich dafür gar nicht interessiert hat. Wenn eine Stadt sich noch nicht mal Mühe gibt, die Schließung des Malteserkellers, eines der ältesten Jazzclubs Deutschlands, zu verhindern, dann sagt das was über die Wertigkeit aus, die Subkulturen hier genießen. Das fand ich total schade und da war ich auch richtig sauer auf Aachen.

Warum hat alternative Kultur trotz 50.000 Studierenden einen derart schlechten Stellenwert?

Danger Dan: Also... Tobi, Du musst immer, wenn Du was sagen willst, was sagen. 

Panik Panzer: Keine Sorge, sobald ich was zu sagen habe, melde ich mich. Da musst Du nicht jedes Mal nachfragen. Mach mal.

Danger Dan: Das ist zwar eine Stadt mit 50.000 Studierenden, aber die besuchen halt in weiten Teilen eine Technische Hochschule. Die Pädagogische Hochschule hat vor Jahrzehnten zugemacht, die geisteswissenschaftlichen Fächer spielen an der RWTH eine untergeordnete Rolle und von meinen Freunden waren eigentlich alle auf der Katho, weil man dort Soziale Arbeit studieren konnte. Nix gegen Maschinenbauer im Allgemeinen, aber ich fürchte, da sind viele Leute dabei, mit denen man nicht so gut tanzen kann.

Die Aachener haben also die Kulturszene, die sie verdienen?

Danger Dan: Offensichtlich liegt oder lag den offiziellen Stellen hier nicht viel an Subkultur. Deshalb muss man halt selbst etwas machen. Das haben wir auch immer versucht. Ich erinnere mich an ein Konzert, das Panik Panzer im Autonomen Zentrum organisiert hat. Es gab genau einen zahlenden Gast.

Panik Panzer: Das war mein ältester Bruder. (beide lachen)

 Was man für Promofotos halt so macht: Sich in ein altes Cabrio setzen und finster dreinschauen. Alles für den am 24. Dezember erscheinenden „Antilopen Geldwäsche Sampler1“.
Was man für Promofotos halt so macht: Sich in ein altes Cabrio setzen und finster dreinschauen. Alles für den am 24. Dezember erscheinenden „Antilopen Geldwäsche Sampler1“. Foto: dpa/Danny Koetter

Wäre das also ein spezielles Aachen-Ding, dass man trotz der Widerstände versucht, etwas auf die Beine zu stellen?

Panik Panzer: Die Stadt hat es einem nie einfach gemacht, alternative Kultur anzubieten. Für mich sind die Leute, die immer wieder gegen alle möglichen Hindernisse anrennen und sich den Arsch aufreißen, um Kultur zu ermöglichen, der Grund, warum ich meinen Blick auf Aachen verändert habe. Ich ziehe nicht mehr so über Aachen her, weil ich genau diesen Leuten nicht in den Rücken fallen will.

Vor zehn Jahren habt ihr Aachen den Rücken gekehrt. Wir haben vor dem Interview unsere Instagram-Community um Fragen an Euch gebeten. Einer der User sagt, dass es Euch nur um Euren „Ruhm“ ginge, und er fragt, warum ihr Euch von der linken Szene in Aachen abgewandt hättet. Ist diese Kritik der Tribut, den man dem Erfolg zollen muss?

Danger Dan: Klar ist, dass wir nicht mehr behaupten können, eine Do-It-Yourself-Underground-Band zu sein. Unsere Alben steigen jedes Mal in die Top-Ten der Charts ein, was für einen Teil der linken Szene nichts Gutes ist. Das ist einfach so. Wir verstehen uns dennoch als Teil einer linken und alternativen Szene. Aber: Wir sind eine Rap-Crew und keine Polit-Truppe.

Panik Panzer: Ich glaube, es gibt oft ein verschobenes Bild von der Antilopen Gang, weil viele denken, dass es uns in erster Linie um Politik ginge. Das ist nicht so. Es gibt Phasen in unserer Bandgeschichte, in denen wir einfach nur Blödsinn gemacht haben und uns auch mit der linken Szene angelegt haben. Aber es gibt eben auch Auftritte, in denen wir politisch Position beziehen. Etwa bei einem Auftritt in Freital, um Gewalt gegen Flüchtlinge anzuprangern. Wir schließen solche politischen Positionierungen nicht dezidiert aus, aber es muss halt passen und wir haben vor allem keine Agenda.

Aber schon eine politische Haltung?

Danger Dan: Mittlerweile gehört „Haltung haben“ zum guten Ton. In dem Jahr, in dem wir nach Freital gefahren sind, gab es sogar von der Band Freiwild ein „Refugeeswelcome“-Posting. Bestimmte Aussagen gehören in der Popmusik mittlerweile dazu.

Aber es ist doch ein Unterschied, ob Helene Fischer so etwas sagt oder ihr. Fischer unterstellt man ein marktwirtschaftliches Kalkül, bei Euch kommt es wegen Eurer Verwurzelung in der linken Szene authentischer daher.

Danger Dan: Das mag sein. Wenn aber Helene Fischer so etwas sagt, dann hat das einen anderen Effekt als bei uns. Helene-Fischer-Fans kommen aus allen Teilen der Gesellschaft. Da sind bestimmt auch AfD-Wähler dabei. Sie dringt in Ecken vor, wo Leute vielleicht wirklich anfangen, nachzudenken. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es keine AfD-wählenden Antilopen-Fans gibt.

Man hat das Gefühl, dass ihr keine Schubladen und keine Selbstgewissheit mögt. Und sobald zu viele Leute einer Meinung sind, werdet ihr skeptisch. Ist das die Haltung der Antilopen Gang?

Danger Dan: Ich glaube, es ist sogar noch schlimmer. Wir könnten uns als Gruppe niemals darauf einigen, was unsere Haltung ist. Wir diskutieren intern über alles bis ins kleinste Detail. Wir sind quasi ein Sinnbild für die deutsche Linke. Deswegen wird es von uns auch nie ein Positionspapier geben. Und selbst wenn wir eins schreiben würden, hätte das wahrscheinlich nur eine Woche Gültigkeit, weil wir die Dinge dann schon wieder anders sehen.

Noch mal zurück zu Aachen. Die Antilopen Gang ist innerhalb des HipHop-Genres schon speziell. Ist dieses Abseitige, dieses Grenzgängertum, dieses Nichtdazugehörenwollen ein Produkt der Aachener Provinz?

Danger Dan: Wir spielen auf dem größten HipHop-Festival in Deutschland und treten am nächsten Tag beim größten Punk-Festival auf. Bei beiden Festivals gibt es Leute, die unsere Lieder mitsingen und Leute, die sich fragen, was denn jetzt die Punker beziehungsweise Rapper hier machen. Wenn ich mir unser Publikum angucke, dann muss ich immer an die Leute denken, die vor 20 Jahren auf dem Markt in Aachen gesessen haben. Aachen war zu klein, als dass sich die Subkultur hätte aufspalten können. Alles, was sich zur linken Subkultur zählte, hockte abends zusammen auf dem Markt. Da saß der Punker neben dem HipHopper, die Skaterin neben dem Bongospieler. Irgendwann tauchte da sogar ein Liverollenspieler auf, der als Ritter verkleidet war. Der hat sich halt dazugesetzt und war willkommen. Dass wir nicht so gerne in musikalische Schubladen gepackt werden, kann seinen Ursprung auf dem Aachener Markt genommen haben.

Mein Sohn ist 13 und erzählte mir jüngst, dass er in Musik gerade HipHop habe, was mich überraschte, weil mir nicht bewusst war, dass diese ehemalige Subkultur inzwischen Schulfach ist. Stört Euch eine solche Vereinnahmung oder findet ihr es gut, dass „Eure“ Subkultur inzwischen zum schulischen Lehrplan gehört?

Panik Panzer: Es ist eben eine ehemalige Subkultur. HipHop ist heutzutage nicht einmal mehr nur Mainstream, sondern der entscheidende Faktor in der gesamten modernen Popmusik. Die ist ohne HipHop schlicht nicht denkbar. Es ist also folgerichtig, dass das in der Schule behandelt wird, und ich verspüre keine Ambitionen, „meine“ ehemalige Subkultur zu verteidigen. In der Szene gibt es immer Rächer des HipHops, die eine Vereinnahmung durch den Mainstream beklagen, die haben aber offensichtlich nicht allzu viel verstanden.

Danger Dan: Jüngst wurde im Bundestag aus meinem Stück „Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“ zitiert, was mich ziemlich irritiert hat. Ich habe mir gedacht, wir sind doch eigentlich angetreten, um diesen Staat zu stürzen, und plötzlich komme ich da im Plenarsaal zur Sprache. Wenn man sich den neuen Bundestag aber anguckt, dann ist der um einiges jünger, und ich bin mir sicher, dass mindestens die Hälfte der Abgeordneten einen Samy-Deluxe- oder einen Jan-Delay-Text auswendig kennt. Die sind damit großgeworden und sitzen halt jetzt im Bundestag. HipHop ist seiner Subkultur entwachsen. Man kann ihn nicht mehr als Jugendkultur ignorieren, sondern muss ihn als Teil des gesellschaftlichen Diskurses ernst nehmen.

Euer Bandkollege Koljah hat 2015 im Interview mit unserer Zeitung gesagt: „Mit dem Mainstream kommen auch die Arschlöcher.“ Die dürftet ihr inzwischen kaum noch zählen können.

Panik Panzer: Lasst es mich so sagen: Ich würde auf einem Konzert jederzeit allen das Gefühl geben wollen, dass ich ihr Freund bin, aber gehe davon aus, dass ich mit vielen von denen kein Bier trinken gehen wollte. Ich glaube, dass es bei uns immer noch deutlich weniger Arschlöcher als bei anderen Bands gibt. Aber natürlich entfremdet man sich von seinem Publikum immer mehr, je erfolgreicher die Musik ist.

Danger Dan: Ich bin da unsicher. Ein schwules Paar kam mal nach einem Konzert zu uns und bedankte sich, weil es für sie das erste HipHop-Konzert war, bei dem sie als schwules Pärchen keine Angst hatten. Ich bin mir sicher, dass das bei einem Kollegah-Konzert nicht der Fall gewesen wäre. In solchen Momenten freue ich mich, dass sich bei unserem Publikum auch ein schwules Paar wohlfühlen kann. Andererseits schreiben mir Leute, die das „Kunstfreiheit“-Lied mögen, von der „schwulen Scheiß-AfD“ und checken gar nicht, wie homophob das ist. Da habe ich dann das Gefühl, dass ich solch ein Publikum nicht will. Ich hoffe aber, dass zumindest ein gewisser Minimalkonsens mit unserem Publikum funktioniert.

Hat sich vielleicht auch die Einschätzung verändert, wer denn überhaupt ein Arschloch ist? Seid ihr milder im Urteil als ihr das in Euren jungen wilden Jahren wart? Vielleicht sogar altersmilde?

Panik Panzer: Ich habe eigentlich nicht das Gefühl, dass sich das geändert hat. Ich frage mich manchmal, ob wir nicht etwas altersmilder sein müssten. Wir gehen ja steil auf die 40 zu. Da wäre es vielleicht angebrachter, ein wenig unjugendlicher und nicht mehr so wütend zu sein.

Danger Dan: Ich nenne Arschlöcher immer noch Arschlöcher, aber natürlich hat sich meine Sicht auf die Welt verändert. Als wir angefangen haben, hatten wir wirklich kein Geld. Wir haben in unserer Bude Musik gemacht und wenn wir keine Zigaretten mehr hatten, sind wir zum Kugelbrunnen gegangen und haben so lange Zigaretten geschnorrt bis wir genug hatten, um weiter Musik zu machen. Wir waren komplett perspektivlos. Aus einer solchen Position heraus kann man authentisch auf die Welt schimpfen, sauer sein und sich dem Gefühl hingeben, keinen Platz in der Welt zu haben. Wenn Deine Musik dann Erfolg hat, Geld reinkommt und Du Deine Zigaretten nicht mehr schnorren musst, wird es schwieriger, in die Welt hinauszuschreien: Ihr seid alle Schweine und wir wollen nichts mit euch zu tun haben! Insofern bin ich schon ein wenig altersmilde geworden bin.

Dieser Paradoxie mussten sich schon immer Gangsterrapper stellen, die mit dem Rappen über das harte Leben im Ghetto erfolgreich wurden, und dann in ihrer Villa sitzend über Gangkriege und Straßenkriminalität rappen. Euch scheint dieser Widerspruch zu beschäftigen. Ist Euch Euer Erfolg ein wenig unheimlich?

Danger Dan: Eigentlich ist der Erfolg total schön. Ich weiß, dass manche Menschen erfolgreiche Musik prinzipiell eher schlecht finden - für mich galt das früher übrigens auch. Wenn unsere Alben aber auf Eins in die Charts einsteigen, dann ist das einfach nur geil.

In diesem Jahr habt Ihr Eure alte Plattenfirma, das Label der Toten Hosen, verlassen und ein eigenes Label gegründet. Warum?