50-jähriges Jubiläum : So war das Wochenende auf dem Pinkpop-Festival
Landgraaf Es ist eine Familienfeier: Jan Smeets hat zum 50. Geburtstag geladen und alle sind gekommen: Die Eltern mit Kindern im Grundschulalter, die Mittvierziger, die froh sind, in der Musik ein gemeinsames Interesse mit ihrem pubertierenden Nachwuchs teilen gefunden zu haben. Die Abiturienten, die etwas gelangweilt mit dem Handy in der Hand in der Ecke lümmeln.
Für seine Größe ist das Pinkpop-Festival in Landgraaf eine ziemlich gemütliche Angelegenheit. Veranstalter Smeets – der musikverrückte Onkel – hat ein solides Unterhaltungsprogramm für die Jubiläumsfeier zusammengestellt: The Cure und Fleetwood Mac für die Eltern. Für die Eltern-Kind-Gespanne Lenny Kravitz und Mumford and Sons - „Mother and Son love Mumford and Sons“ deklariert ein Plakat in der ersten Reihe. Slash und Golden Earring für den Onkel mit Rocker-Kutte, Major Lazer und Mark Ronson für alle im diskofähigen Alter.
Als Hauptgast am ersten Geburtstagsabend gab sich die britische Folk-Rock Band Mumford & Sons die Ehre und brachte nicht nur ihre Hits „I Will Wait" und „Little Lion Man" als musikalisches Geschenk mit, sondern zündete auf der Bühne ein Feuerwerk, das umrahmt von einer grandiosen und aufwendigen Lichtshow für wiederkehrende Jubelschreie bei den Gästen sorgte. Mumford & Sons gaben sich publikumsnah und motiviert, allen eine gute Zeit zu verschaffen - und sie enttäuschten nicht. Die Briten rockten nicht nur auf der Bühne, sondern ließen sich, verbunden durch einen Steg, auch eine kleinere Plattform mitten im vorderen Publikumsbereich aufbauen. Umrahmt von Fans, die mit Armen in der Luft und geschlossenen Augen die Nähe und Musik in sich aufsogen, schafften sie es – besonders mit dem Song „The Cave" –, für Intimität vor Tausenden Besuchern zu sorgen.
Mit The Cure als Headliner am Samstagabend kann ein Großteil der jüngeren Generation wohl nicht richtig viel anfangen. Was der zottelige, geschminkte alte Mann da mehr als zwei Stunden lang treibt, klingt von den Lümmel-Plätzen im hinteren Bereich der großen Wiese eben auch relativ eintönig. Bei den großen Hits muss sich Robert Smiths Stimme über die ersten Zeilen zunächst fangen, bis sie in ihrem markanten Klangbild angekommen ist. Die, die sich im sehr gut gefüllten vorderen Bereich tummeln – der Anzahl der Cure-T-Shirts nach zu urteilen, ist mindestens ein Drittel der Besucher am Sonntag wegen der britischen Wave-Band hier – werden mit einer bombastischen Bühnenshow und besonders vielen Songs aus dem „Disintegration“-Album von 1989 belohnt.
Für Nostalgie sorgten auch Jamiroquai. Die Band, die vor allem in den 90er Jahren mit Stücken wie „Virtual Insanity" und „Canned Heat" die Popmusik prägte, zeigte sich beim Pinkpop-Geburtstag erfrischend modern. Mit Stücken in ihrem bekannten Acid-Jazz-Stil bewiesen die sechs Musiker, dass sie auch heute noch auf die Bühne gehören. Elektronische Musik gepaart mit Funk und Jazz – das sind Jamiroquai auch heute noch. Von den Fans wurde einer der bekanntesten Songs „Virtual Insanity" vermisst, den die Engländer leider nicht spielten. Die futuristische und von Technik inspirierte Bühnenshow konnte das Fehlen eines der größten Hits etwas kompensieren.
Etwas mehr Interaktion hätte dem Konzert jedoch gutgetan, allerdings war diese hier weitaus mehr gegeben, als bei dem Konzert von Lenny Kravitz. Ein großer Name, eine grandiose Band mit gewaltigem Sound, mitreißende Songs und die Stimme auf dem Punkt. Qualitativ eines der besten Konzerte beim Jubiläums-Festival. Vom Unterhaltungsfaktor hingegen war es eher ein Zuhören als ein Mitmachen. Ein Stimmungskiller für jede Geburtstagsparty. Kravitz spielte seine Songs aus, nahm sich Zeit für die musikalische Interpretation, wofür dann aber Kontakt mit dem Publikum eingebüßt wurde. Das war aber auch das einzige Manko seines Auftritts, der mit „Fly Away" gebührend anfing und gleich Lust auf mehr machte. Er spielte die großen Bekannten wie „It Ain't Over ‚Til It's Over", „American Woman" und „Are You Gonna Go My Way", das den krönenden Abschluss bildete.
Im Zelt, das die Brightlands Stage beherbergte, legte Miles Kane einen überraschend guten Auftritt hin. Der Singer-Songwriter, der vielen noch unbekannt sein dürfte, steht seit 2010 zunehmend allein auf der Bühne, war er doch zuvor Bandmitglied von The Rascals und The Last Shadow Puppets. Mit seinem bereits dritten Soloalbum „Coup de Grace" von 2018 brachte er am Sonntag volle, laute und rockige Töne in das Zelt, die viele nicht stillstehen ließen. Matt Shultz und seine Band Cage the Elephant bildeten mit ihrem Auftritt auf der Parklands Stage, der zweitgrößten Bühne auf dem Gelände, einen Höhepunkt an diesem sonst noch eher gemütlichen ersten Festivalnachmittag. Zum explosiven Alternative-Rock der US-Amerikaner sprang Shultz kurzerhand ins Publikum, tobte und tanzte mit der begeisterten Menge und ließ sich dann zurück Richtung Bühne tragen.
Im Line-up fanden sich einige Bands, die auch längst zur Pinkpop-Familie gehören: Die Niederländer von Golden Earring standen schon 1970 auf dem ersten Festival-Plakat, Fleetwood Mac, Headliner am Montagabend, waren 1971 dabei und die Limburger Pop-Ikonen von Rowwen Hèze wurden 2019 ebenso gefeiert wie 1992. Auch nicht fehlen durfte die niederländische Rock-Königin Anouk. Wie es sich für einen 50. Geburtstag gehört, gibt es an vielen Ecken einen Rückblick auf die vergangenen Jahre. So konnten sich die Besucher an Plakatwänden über die Line-Up in jedem einzelnen Festivaljahr informieren und sehen, wie das Pinkpop immer weiter gewachsen ist. Ein kleines Museum war zudem auf dem Gelände aufgebaut, das die Highlights visualisierte.
Vergleicht man den niederländischen Konzertbesucher mit einem stereotypischen Geburtstagsgast, so wirkt er wie die liebe Tante, die eher in der gemütlichen Sofaecke sitzt, das Geschehen von außen anguckt und genießt. Sie lacht gerne mit, freut sich über gute Unterhaltung, aber erzählt keine eigenen Witze. Sie lässt sich unterhalten. Die Besucher des Pinkpops scheinen genau das zu sein: zufrieden, offen und gut gelaunt. Die Ekstase vor der Bühne, sehr lautes Mitsingen und ausgelassenes Tanzen wird eher vernachlässigt. Solche entspannten Feiern muss es aber auch geben. Viel zu oft arten Festivals nämlich in Stress und Hektik aus, was man beim Pinkpop kaum finden kann. Die großen Namen geben sich hier meist die Klinke in die Hand, so dass bei der Entscheidung, welcher Bühne man einen Besuch abstatten will, mit wenigen Verlusten zurechtkommt. Die Wege sowie das Gelände sind recht übersichtlich und zugleich weitläufig, wenig Gedränge das Resultat.
Was den meisten deutschen Besuchern relativ fremd bleiben dürfte, ist die ungebrochene, frenetische Begeisterung der Niederländer für harte elektronische Musik. Bei Kraantje Pappie feierten bereits am Mittag gegen 14 Uhr Tausende ausgelassen vor der Hauptbühne, das benachbarte Brightlands-Zelt war bei sämtlichen Dance-Acts gut gefüllt. Was Die Antwoord am Sonntagnachmittag im hinteren Teil des Geländes auf der Parkland Stage abfeuerten, setzt dem Ganzen aber die Krone auf. Was das südafrikanische Trio veröffentlicht, ist mehr Kunstprojekt als tatsächlich konsumierbare Musik. Zu durchaus tanzbarem, aber brachialem Hardstyle rappen Ninja und Yo-Landi – sie mit Heliumstimme – auf Englisch, Afrikaans und Xhosa. Das gewollt geschmacklose, von der südafrikanischen White-Trash-Kultur inspirierte Projekt ließ das Publikum zwar zwischen Faszination und Irritation schwanken. Anschauen wollte sich das Spektakel aber, trotz des zeitgleichen Slots von Mark Ronson, der Großteil der Besucher.
Wenn man sich auf eine Band verlassen kann, die mit ihren – familienfreundlicheren – Songs die Menschen vor die Bühne lockt, dann sind das The Kooks. Seit 13 Jahren im Musikgeschäft, wissen sie ihre Indie-Rock-Musik zu präsentieren: Schlicht, britisch und den Fokus auf die Melodien. Textsicher zeigten sich die Fans am frühen Sonntagnachmittag bei „Naive", „Seaside" und „She Moves In Her Own Way". Gute-Laune-Musik, die viele nicht nur vor der Bühne, sondern auch im hinteren Wiesenbereich auf Picknickdecken genossen. Ähnlich war das Szenario tags zuvor, als George Ezra am Samstagnachmittag ebenfalls auf der Hauptbühne die Gäste zu „Shotgun" und „Budapest" bei Sonnenschein zum Tanzen brachte und für gute Laune sorgte. Ezra fand häufiger einleitende Worte zu seinen Songs, Erklärungen und Einordnung.
Die Besucher waren – trotz leicht durchwachsenen Wetters vor allem am Montag – in Gartenpartylaune. Mit Hockern, Sitzsäcken oder Decken ausgestattet haben sich viele in Schale geschmissen: Die einzige Regel für das passende Outfit oder Kostüm: Es muss pink sein. Hier wird auch der peinliche Großonkel akzeptiert, obwohl er wieder den ausgewaschenen pinken Fischerhut und die komische Perücke aus der Truhe gekramt hat.