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Köln: Momentaufnahmen einer erstarrten Welt

Köln : Momentaufnahmen einer erstarrten Welt

Die Zeit scheint stillzustehen, kein Lüftchen regt sich. Bewegungslos verharren die Menschen und blicken aneinander vorbei. Man wartet.

Worauf? Die Bilder Edward Hoppers geben Rätsel auf. Sie verbergen ein Geheimnis, dessen Lösung der Betrachter entfernt zu ahnen glaubt. Die faszinierende Hintergründigkeit in seinem Werk ist es, die Edward Hopper (1882-1967) zu einem Klassiker der amerikanischen Kunst gemacht hat. Nach langer Zeit sind seine Bilder jetzt wieder in Deutschland zu sehen: im Kölner Museum Ludwig.

„Edward Hopper - Retrospektive” heißt schlicht die sehenswerte Schau von 60 Ölgemälden und zahlreichen Aquarellen, Graphiken und Zeichungen. Sie stammen aus den bedeutendsten amerikanischen Museen und aus Privatbesitz.

Zu sehen ist Hoppers Entwicklung über mehr als sechs Jahrzehnte seines Schaffens. Die Ausstellung wurde organisiert in Zusammenarbeit mit der Tate Modern in London, wo sie in den letzten Monaten 430.000 Besucher sahen. Köln ist neben London die einzige Station dieser umfassenden Werkschau.

Es sind Momentaufnahmen einer seltsam erstarrten Welt. Bilder voller Melancholie. Dabei ist nichts als der ganz gemeine Alltag festgehalten: Tankstellen, Motels, Waggons, Büros. Menschen im Zugabteil, auf der Straße, in Hotelzimmern, Cafés oder Bars. Scheinbar banale Szenen, Gegenstände, Landschaften - und doch fesselnd in ihrer Ausstrahlung einer Stimmung, eines Gefühls, einer Philosophie, die den verborgenen Sinn „hinter” all diesen sichtbaren Nichtigkeiten zu begreifen sucht.

Das Bild „Nachtschwärmer” (1942), eine Ikone, tausendfach reproduziert: Man blickt durch ein Fenster in die hell erleuchtete Bar in der nächtlichen Großstadt. Zwei Männer und eine Frau, stumm. Der Barkeeper - geräuschlos geschäftig. Allesamt wie abgestumpft vom täglichen Einerlei, gegenseitig fremd und fremd auch gegenüber ihrer Umwelt.

Einsam in sich versunken hocken sie da, unfähig über den eigenen Horizont hinauszublicken und den Sinn des Ganzen, der Existenz jenseits des Alltags zu begreifen. Hopper richtet den Blick absichtsvoll durch das Glas wie in ein Terrarium hinein, dessen Bewohner eben auch in ihrer engen Welt gefangen sind und die eigentliche dahinter nie erfahren.

Gefühl innerer Leere

Es ist nicht einfach nur die Einsamkeit des einzelnen im Moloch der amerikanischen Großstadt, die Hopper hier umschreibt. Was er meint und trifft, ist umfassender: die Begrenztheit menschlichen Denkens und Erkennens, das gedankliche Kreisen um das eigene bescheidene Selbst.

Seine Darstellungen, die mit ihren anonymen Landschaften und Straßen wie Momentaufnahmen einer Reise durch das große Amerika wirken, zeigen die geistige Enge des wie selbstverständlich funktionierenden Menschen. Dessen Lebensgefühl innerer Leere spiegelt sich in seiner Haltung und in seinem ganzen Ausdruck von Resignation und Müdigkeit.

Hopper glaubte, dass all das Sichtbare um uns herum, die Natur, das Licht, alles Leben auch einen eigenen anderen Sinn in sich verbirgt als den vordergründigen. Man müsste nur befreit von allen Gewohnheiten hinsehen können. Dieses Sehen wird bei ihm immer wieder selbst zum Thema, wenn er etwa den Blick durch Fenster von Hochhäusern lenkt. Der Betrachter wird sich seines ungesicherten Standpunktes bewusst.

Der Gedanke ist nicht ganz leicht nachzuvollziehen, der in diesen Bildern steckt. Vielleicht ist es dies, was Hoppers vor sich hindösende „Frau in der Sonne” in sich spürt: die geheime Sehnsucht oder einfach nur die tiefe Ahnung, dass sich das ganze Leben auch völlig anders abspielen könnte. Oder schlicht die dunkle Einsicht, dass man die scheinbar so eindeutigen Dinge um sich herum auch ganz anders betrachten könnte.

Der Kaufmannssohn Edward Hopper war bereits um die 40 Jahre alt, als er sich von den Vorbildern der französischen Malerei löste und eine ureigene Version eines realistischen Stils dadurch fand, dass er seinen Blick intensiv auf die amerikanische Lebenswelt richtete.
Edward Hopper - Retrospektive. Museum Ludwig, Köln, Bischofsgartenstr. 1.

Dauer: bis zum 9. Januar 2005.

Geöffnet: Di.-Do. 10-18 Uhr, Fr. 11-18 Uhr, jeden 1. Fr. im Monat 11-23 Uhr, Sa/So 10-18 Uhr.

Eintrittspreise: Tagesticket: 7,50 Euro, ermäßigt 5,50 Euro, Gruppen (ab 20 Personen): 6,50 Euro, Familienticket: 18 Euro.