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Aachen/Vorarlberg: Michael Köhlmeier bekommt Walter-Hasenclever-Preis

Aachen/Vorarlberg : Michael Köhlmeier bekommt Walter-Hasenclever-Preis

Es ist kalt in Vorarlberg in Österreich, sehr viel kälter jedenfalls als in Aachen — es sind zwei Grad, und es schneit. Michael Köhlmeier erwischen wir zu einem Gespräch per Handy gerade auf seinem Weg zur Bank.

Der Autor bekommt an diesem Sonntag den Walter-Hasenclever-Preis der Stadt Aachen verliehen, im Ballsaal des Alten Kurhauses an der Komphausbadstraße. Grund genug, ihm vorab ein paar brisante Fragen zu stellen — was sich zu einem ausgesprochen launigen Dialog entwickelte.

Gekellnert bei „Charlotte“

Wer seinen Namen „googelt“ — und wer macht das nicht im Zeitalter des digital so einfach gewordenen Bibliographierens —, der landet automatisch bei Wikipedia, und dort wird er als „Schriftsteller, Musiker und Moderator“ geführt. Ein ziemlicher Quatsch, wie Köhlmeier es zwar so nicht sagt, aber deutlich zum Ausdruck bringt: „In Marburg habe ich studiert und dort in einer Kneipe mit dem Namen ‚Charlotte‘ länger bedient, als ich in einem Duo aufgetreten bin. Das aber wird nicht aufgeführt.“

Die Schlager-Geschichte im Duo, die gab es mit Konzerten nur sieben Mal, darauf legt er heute Wert, mit seinem Kompagnon Reinhold Bilgeri. Mit dem stürmte er 1973 in Österreich die Hitparaden — aber das ist lange her, deshalb wollen wir die damals entstandene Vorarlberg-Hymne auch gar nicht mehr zitieren: „Dort wo die Wälder sinnlos rauschen, wo manchmal blühet der Verstand, wo Hirsche auf den Brunftschrei lauschen, nur dort ist unser Heimatland.“

Der Autor dieser munteren Zeilen schämt sich heute jedenfalls nicht dafür, findet es allerdings ziemlich komisch, was das offenbar unauslöschliche digitale Gedächtnis so alles hervorbringt. Schnee von gestern.

Als Musiker spielt er höchstens mal in der Küche ein bisschen Gitarre, wie er sagt, und als Fernseh-Moderator war er mal einer von sieben Gastgebern in einer Sendung, die es schon lange nicht mehr gibt. So viel zur Zuverlässigkeit des trügerischen Internets.

Schriftsteller, immerhin — diese Angabe lässt er gelten. „Und ich bin männlich“, versichert er, „und 65 Jahre alt.“ Gekrönt mit einem der höchstdotierten deutschen Literaturpreise, dem Walter-Hasenclever-Preis und 20 000 Euro. Michael Köhlmeier freut sich riesig: „Das bedeutet mir unheimlich viel. Ich fühle schon jetzt die vielen Hände, die mir auf die Schulter klopfen. Wahnsinnig toll.“ Damit steht er in einer Reihe unter anderem mit Herta Müller (2006), Christoph Hein (2008) und zuletzt Michael Lentz (2012).

Die Jury unter der Vorsitzenden und Leiterin der Hasenclever-Gesellschaft, Barbara Schommers-Kretschmer, hatte die Qualität der Literatur dieses Autors so auf den Punkt gebracht: „Michael Köhlmeier ist ein Sprachkünstler, der seine Leser in den Strudel seiner vielfältigen, komischen und tragischen, widersprüchlichen, irritierenden ‚unendlichen‘ Geschichten zieht. Das Unendliche, Unerklärbare und Unbeweisbare bezeichnet auch den Raum philosophischen Denkens, dem sich Köhlmeier mittels Mathematik, Musik, Sprachen, Philosophie, Mythen, Phantasie im Sinne einer Theodizee (Anm. d. Red.: Antwortversuche auf die Frage nach dem Leiden in der Welt bei einem allmächtigen Gott, der gut sein soll) annähert“, heißt es in der Begründung. „Mit Nachdichtungen antiker Sagen, biblischer Geschichten und der Dramen Shakespeares eröffnet Köhlmeier einen leichten Zugang zu diesen Grundlagen abendländischer Kultur — nicht nur für junge Leser.“

Und was gab letztlich den Anstoß zu all den Mühen, dicke Wälzer zu verfassen? Dostojewski war es mit seinen schillernden Figuren, die Köhlmeier dazu bewegt haben, selbst Romane zu schreiben. Kein konkretes Thema und auch kein Anliegen treibt ihn dabei an, sondern eher das Profil von Personen, Menschen, lebensvollen Figuren.

„Ein Anliegen passt besser auf ein Flugblatt“, sagt er, „oder in einen Essay, aber nicht in einen Roman.“ Noch stärker: „Ein Anliegen ist ein Verrat an der Kunst.“ Das klingt hart angesichts von Schriftstellern wie etwa Günter Grass, die sich wie selbstverständlich das Recht herausnehmen, auch als moralische Stimme gehört werden zu wollen. Sorgt der Buch-Autor automatisch als solcher schon für einen sittlichen Nährwert? Michael Köhlmeier liebt es lieber bodenständig und ganz bescheiden: „Ich bin ein Kind, das im Sandkasten spielt“, sagt er. „Ein Kind, das Burgen baut und sie wieder umwirft.“ Sein Credo: „Ich will eine Welt erschaffen.“ Und das ohne irgendein wie auch immer geartetes Mitteilungsbedürfnis.

Seit Anfang der 80er Jahre hat Michael Köhlmeier ein umfangreiches Prosawerk veröffentlicht. Die Romane sind auch als Hörbücher erschienen, darunter „Madalyn“ und „Nachts um eins am Telefon“, das von ihm selbst gesprochen wurde. Überhaupt pflegt Köhlmeier intensiv eine rege Internetpräsenz etwa auf Youtube, was die Schüler des Aachener Einhard-Gymnasiums, die bei der Preisvergabe mitzureden wissen, bei ihrer Beschäftigung mit Werken des Autors sehr zu schätzen wussten.

„Michael Köhlmeiers literarisches Können erweist sich in umfangreichen, auf lange Strecken von Zeitgeschichte angelegten Romanen (‚Die Abenteuer des Joel Spazierer‘, ‚Abendland‘) über den kurzen Roman (‚Idylle mit ertrinkendem Hund‘) bis hin zur pointierten Novelle (‚Sunrise‘)“, erklärt Barbara Schommers-Kretschmer. Und für Überraschungen ist der Autor auch immer gut: 2013 erschien sein erster Gedichtband: „Der Liebhaber bald nach dem Frühstück“. Darin verknüpft er das Reale mit dem Metaphysischen, das große Ganze mit dem ganz gemeinen Alltäglichen.

Die Jury, hofft Olaf Müller, Leiter des Kulturbetriebs der Stadt Aachen, erwartet, dass der Hasenclever-Preis dem Autor einen gehörigen „Anschub“ beschert, was die Resonanz beim Lesepublikum angeht.

Der hält es indessen mit der in der Romantik entstandenen Vorstellung des in sich waltenden Genies, das von sich aus irgendwie, wie auch immer, „einfach Gutes“ hervorbringt. Und wenn er es dann seiner Frau vorträgt, wie er uns verrät, und sie es dann mit leuchtenden oder staunenden Augen für gut befindet, dann weiß er: Das Werk ist gelungen. Welch ein sympathischer Zug . . .