1. Kultur

Aachen: Lionel Richie: Party-Stimmung im Starkregen

Aachen : Lionel Richie: Party-Stimmung im Starkregen

„Unbelievabel, unforgetable — unglaublich, unvergesslich“ — für Sänger und Songwriter Lionel Richie keine Floskel beim „Da Capo“-Konzert der Aachener Kurpark Classix 2015. Das Wetter, das sich zunächst eher gnädig gezeigt hat, schlägt an diesem Abend voll zu. Es schüttet.

Das Parkhaus ist überfüllt, die Ordner sind verwirrt, sämtliche Parkplätze rundum scheinen vergeben, die Zuschauer stapfen wie in Plastikfolie eingewickelte Michelin-Männchen und -frauchen Richtung Park. Die Stimmung ist ausgelassen wie bei einem spannenden Schulausflug, Eitelkeiten sind jetzt nicht angebracht, denn das Wasser findet überall seinen Weg, und das bei zehn Grad Celsius.

Spielfreudige Band

Der Kurpark im Ausnahmezustand. Alle sind vergnügt, dafür sorgt nicht zuletzt eine selbstbewusste Aachener Band: Das Lagerfeuer-Trio heizt den Gästen mit flotten Songs kräftig ein. Yann le Roux, Bernd Weiss und Heiko Wätjen machen das mit Schwung und intensivem Kontakt zum Publikum, das sich auf der Wiese bereits drängt und nach und nach die nassen Sitzplätze findet. Endlich dann im kargen Bühnenraum der Star des Abends, der seine spielfreudige Band mitbringt. Es wird laut, sehr laut und zunächst etwas scheppernd. Der mit vier Grammys und einem Oscar ausgezeichnete Amerikaner, der vor vier Tagen seinen 66. Geburtstag feiern konnte, ist schlank und beweglich, sein Temperament springt blitzschnell auf die Fans über.

Richie flitzt von einer Bühnenseite zur anderen, animiert zum Mitklatschen und Mitsingen, was sich die 4800 Zuschauer — alle in Partylaune — nicht zweimal sagen lassen. Es wird gehüpft, die Arme schwingen — das verscheucht feuchtes Frösteln. Und der Stargast gibt tüchtig Gas. „Running with the Night“ — Richie wirft sich mit aller Kraft und Freude in seine zeitlosen Songs, das begeistert. Routiniert, ja, aber keine Routine, wenn auch manchmal technisch beim Gesang etwas intensiver unterstützt.

Von rockiger Action springt er gern in die Ballade und schwingt sich ans Klavier. Nicht nur das: Er umarmt in echter Bewunderung dieses Publikum, das im strömenden Regen ausharrt, jubelt, applaudiert oder sich in weicheren Song-Wellen wiegt. Nach ein paar Witzchen über die Aussprache von „Aachen“ (am besten in Kombination mit einem knarzenden Nieser), ruft er kopfschüttelnd: „Was hier los ist, das glauben die mir zu Hause nie!“

Er plaudert, erzählt von seinen Begegnungen in 45 Jahren Musikgeschäft. Die R&B-Gruppe The Commodores, zu deren Gründern er 1968 gehörte, lebt in zahlreichen Titeln auf. Die Erinnerung ist ihm wichtig. „All the Hits All Night Long“, das Motto der Tour, ist ein Versprechen, auf das sich die Fans verlassen dürfen. „Say You, Say Me“, „Hello“ — ein paar Leute versuchen es mit Feuerzeugen, die der Regen jedoch sofort löscht. „Dancing On The Ceiling“, die Tribünen beben, das Wasser schwappt in Rinnsalen über die Stufen.

„Es gibt hier im Park drei Gruppen“, wirft Richie seine Eindrücke in die Menge: „Die einen kennen noch die Commodores, die anderen haben auf Schallplatten meine Songs gehört oder sie mit einem Kassettenrekorder aufgenommen, die dritte Gruppe, das sind die jungen Leute, die bei ihren Eltern dauernd Lionel Richie hören mussten und sich den Typen endlich mal anschauen wollen . . .“ Stimmt genau. Also dann, „Start“-Taste — Richie hält sie gedrückt, spielt mit den Erwartungen seiner Fans unter der Devise „Don‘t Stop The Music“, schwärmt vom „Ballerina Girl“ und betet seinen „Angel“ an.

Lebensfreude, Liebeskummer, Traum und Trauer werden rockig, jazzig oder in Reggae-Rhythmen serviert. Für Richie ist die Euphorie seiner Zuschauer eine Energiequelle. Unermüdlich lädt er zum Mitmachen ein und lockt alle auf die atemberaubende musikalische Achterbahn — knapp 90 Minuten lang, perfektes Timing mit der Band — ohne Pause.

Das ist klug, denn bei so einem Konzert darf es keinen Bruch geben, sondern nur Highlights. Der Regen sorgt für glitzernde Farbspiele in den Laserstrahlen der Show. Sehr besonders „Endless Love“, jene Pop-Ballade, die Lionel Richie 1981 für den Soundtrack zum gleichnamigen Film geschrieben hat — als Duett mit Diana Ross. Bei den Kurpark Classix lässt er sich stimmkräftig von der beregneten Masse unterstützen. Seine Hits sind tatsächlich frisch geblieben und er mit ihnen.

Zum Schluss die Verbeugung vor Pop-Titan Michael Jackson. Gemeinsam schufen sie 1985 „We are the World“. In Aachen sind als Kinderstimmen die Jungs des ex-trem stolzen Knabenchors aus Eupen unter der Leitung von Dieter Gillessen im Einsatz. Lionel Richie sagt schlicht „Goodbye Aachen“, und plötzlich ist er fort. „Zugabe“-Rufe verhallen. Die beschwingten Zuschauer eilen nach Hause. Kurze Zeit später hört der Regen für ein Weilchen auf . . .