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Ausstellung im Kunstpalast Düsseldorf: Elektro-Sound und Club-Kultur landen im Museum

Ausstellung im Kunstpalast Düsseldorf : Elektro-Sound und Club-Kultur landen im Museum

Die körperlichste Schau, die Düsseldorf je sah: „Electro. Von Kraftwerk bis Techno“ im Kunstpalast erzählt die Geschichte der elektronischen Musik. Zu erleben ist ein visuelles und akustisches Ereignis, das wehmütig macht.

Du drückst die schwere Tür zur Ausstellung auf, und Du siehst erst mal nichts, weil es so dunkel ist, auf eine verheißungsvolle Weise dunkel, auf eine inspirierende und verlockende Art dunkel. Du hörst es aber, und Du fühlst es vor allem, den Bass und den Beat, Urgeräusch und Herzschlag. Du willst wippen und dich im Takt wiegen und grooven. Das ist die körperlichste Schau, die es in Düsseldorf je gab, man hätte dieses Thema ja auch gar nichts sang- und klanglos inszenieren können und dürfen, und zum Glück wussten die Kuratoren, dass das unbedingt eine Ausstellung zum Tanzen werden muss. Denn: Wenn Du denkst, Du danct, dann denkst Du nur, Du danct.

„Electro. Von Kraftwerk bis Techno“ heißt die klingende Überblicksausstellung, die 100 Jahre elektronische Musik nachvollziehbar macht. Sie war bereits in Paris und London zu sehen, und für Düsseldorf wurde sie von Co-Kurator Alain Bieber um regionale Aspekte erweitert: Kraftwerk haben einen Schwerpunkt bekommen, Andreas Gursky ist in einem eigenen Kabinett als Fotokünstler der ekstatischen Übereinkunft zu erleben. Und Teile des Studios für elektronische Musik des WDR in Köln, in dem Karlheinz Stockhausen als Pionier des Genres wirkte, sind ebenfalls zu sehen.

Du fühlst Dich wie im Club, wie an einem Ort außerhalb der Welt. Du gehst an den Maschinen zur Klangerzeugung vorbei, jede bedeutet eine Innovation, ein Schritt zu einer neuen Auffassung von Kultur. Du siehst das Telharmonium, das Theremin, die Hammondorgel, den Synthesizer der 900 Series und den Fairlight CMI. Fast jedes dieser irren Geräte, die mit ihren Kabeln und Knöpfen, den Buchsen und Schaltern unheimlich schön aussehen, wurde von Männern mit komischen Bärten erfunden, und sie alle schienen den Weltraum hören zu können.

Die Ausstellungsmacher haben sich ins Thema versenkt, ohne darin zu versinken. Und das ist dann auch das Verdienst dieser Präsentation: dass sie die Entwicklung der elektronischen Musik in sechs Kapiteln vom obskuren Geräusch über House und Techno bis zu Kompositionen künstlicher Intelligenzen sozusagen familienfreundlich für Spezialisten ebenso wie für Interessierte nachvollziehbar macht. Und: dass sie das utopische Potenzial dieser Musik ausbreitet. Die Menge auf dem Dancefloor bildet für die Dauer einer Nacht eine ideale Gesellschaft. Sie ist divers, gleichberechtigt, frei und selbstbestimmt. In einem ein Stockwerk höher gelegenen und als „Bonustrack“ ausgewiesen Raum hängen Fotos von Clubs am Morgen danach. Es sind üble und gefährliche Orte, ausgezehrt vom Vitamin-D-Mangel. Zu magischen Plätzen werden sie durch die Energie und den Schweiß der Tänzer. Erst Menschen lassen die Nacht gelingen.

Sehnsuchtsort der Raver: „I've never been to Berghain“ (2018) von Philip Topolovac, zu sehen in der Ausstellung „Electro. Von Kraftwerk bis Techno“ im Museum Kunstpalast.
Sehnsuchtsort der Raver: „I've never been to Berghain“ (2018) von Philip Topolovac, zu sehen in der Ausstellung „Electro. Von Kraftwerk bis Techno“ im Museum Kunstpalast. Foto: dpa/Rolf Vennenbernd

Du stehst irgendwann vor einer Art Altar, darauf posieren die beweglichen Roboter von Kraftwerk, ihre Rechenkästchen-Anzüge leuchten, und dahinter gibt es ein Separee, in dem Zusammenschnitte der acht großen Alben dieser Gruppe mit Projektionen versehen in 3D abgefeiert werden. Du stehst da und nickst, und Du bist total einverstanden mit diesem Gedanken: „Metall auf Metall“ ist das beste Stück Musik, das in den vergangenen 50 Jahren in Deutschland produziert wurde.

Kraftwerk inspirierten durch ihr Anderssein. Da waren vier Kerle, die die Popmusik umkrempelten, in dem sie einfach dastanden und sich an die Zukunft erinnerten. Und dann blickst Du auf die beiden Monitore mit Bildern aus dem Privatarchiv von Ralf Hütter, du siehst den Kraftwerk-Laborchef 1981 in Tokio mit Ryuichi Sakamoto. Du siehst, wie junge amerikanische Breakdancer in den 1980er-Jahren zu seiner Musik tanzten, und Du denkst: Musique nonstop, Techno-Pop.

Die Orte, an denen Techno zur Kunstform verfeinert wurde, werden vorgestellt. Chicago, Detroit und Berlin, Hacienda in Manchester und Robert Johnson in Offenbach. Das Berghain, der beste Club der Welt, steht als Nachbau da, außerdem wurde er von Philip Topolovac nach Art eines antiken Tempels gemalt. Relikte des Techno werden wie Reliquien angestrahlt: Der Plattenkoffer von Jeff Mills, die Label der Maxi-Singles von Underground Resistance und – unheimlich toll – die Helme von Daft Punk.

Vielleicht berührt Dich diese Schau auch deshalb so, weil Clubs gerade geschlossen sind. Corona-Blues. Die Tanzfläche ist ein Sehnsuchtsort, und Du bist gerührt von den Aufnahmen von Tänzern, die im Laufe der Jahrzehnte Schlaghosen gegen Lederkombis tauschten und irgendwann einfach ihre nackten Oberkörper vom Beatmaster peitschen ließen.

Der Raum mit Arbeiten von Andreas Gursky verstärkt die Wehmut: Tausende von Menschen beim „May Day“, die sich gemeinsam kurz mal aus der Bahn werfen lassen. Die glamouröse Architektur des Cocoon-Club. Und dann ein neues Bild aus Düsseldorf, das noch nie ausgestellt wurde: ein Blick auf die Tanzenden beim „Connect“-Festival. Die Arbeit dient auch als Plattencover der neuen Produktion von Solomun.

Du trittst aus dem Museum und Du vermisst den Soundtrack, den der Produzent Laurent Garnier für die Schau kreiert hat. Du willst jetzt auf keinen Fall alleine sein. Die Sehnsucht nach dem Plural ist so groß.