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Zürich: Krimi-Kost für Feinschmecker: Ingrid Noll bittet zu Tisch

Zürich : Krimi-Kost für Feinschmecker: Ingrid Noll bittet zu Tisch

Wenn Ingrid Noll („Hab und Gier”) zu Tisch bittet, ist Vorsicht geboten. Denn jedermann, der die literarische Kost der deutschen Krimi-Queen liebt, weiß, dass ihre Menüs unter Umständen für Magenverstimmungen sorgen können. Im besten Fall. Allerdings: Gift spielt keine Rolle, wenn Romanheldin Nelly in Nolls taufrischem Buch „Der Mittagstisch” ihren Gästen Kulinarisches serviert. Dass es trotz allem eine heftige toxische Nachwirkung geben wird, ist dem Genre geschuldet. Die 79-jährige Autorin - am 29. September feiert Ingrid Noll ihren 80. Geburtstag - hat auch dieses Mal aus ihrem schier unerschöpflichen Reservoir rabenschwarzen Humors geschöpft.

Nelly ist eine Frau in den Dreißigern, sympathisch, patent und vor allem eine gute Köchin. Allerdings hat die Mutter zweier Kinder keinen Job und steht, seitdem sie von ihrem amerikanischen Freund und Vater der Sprösslinge sitzen gelassen wurde, ziemlich mittellos da. Als sie unversehens eine alte Freundin wiedertrifft, lädt sie diese spontan zum Essen ein, woraus allmählich Gewohnheit wird.

Regine, so heißt jene Dame, die ganz in der Nähe als Lehrerin arbeitet, findet Geschmack an diesem Arrangement und sorgt für weiteren Zuwachs an der mittäglichen Tafel. Die (zahlenden) Gäste vermehren sich auf wundersame Weise, und Nelly mutiert zur Gourmet-Großköchin in ihrem Eigenheim. Klar, dass Nelly damit am Finanzamt vorbeijongliert. Ihren Gästen fordert sie deswegen auch Stillschweigen ab. Alles läuft bestens und zu jedermanns Zufriedenheit, bis sich Nelly verliebt.

Ihr Auserwählter - natürlich einer der Mitesser - hat bereits eine Freundin. Und die sorgt für reichlich Unfrieden. Keiner ist deshalb sonderlich betroffen, als sie nach einem Unfall ins Krankenhaus und daher die Mittagsrunde verlassen muss. Was sonst so passiert, sind hübsche Episoden, die unter anderem den verschollenen amerikanischen Freund wieder auferstehen lassen. Und die Protagonisten befinden sich nach anfänglicher Expansion nunmehr wieder in einer Reduktionsphase - bis es gegen Ende noch einmal unverhofften Zuwachs gibt.

Nach Nolls letztem Erfolg „Hab und Gier” (2014), in dem eine Erbschaft nach einer naheliegenden und allseits befriedigenden „Lösung” verlangt, ist es diesmal ein einfaches Überlebenskonzept, das in dem einen oder anderen Gast Energien weckt, die kriminell oder zumindest nicht koscher sind. Wer einen Hardcore-Krimi bevorzugt, wird enttäuscht. Wer aber eine muntere und skurrile Geschichte mit nicht immer überraschenden, wohl aber witzigen Wendungen erwartet, kommt hier ganz auf seine Kosten.

Die dem „Spiegel” zufolge erfolgreichste deutsche Krimiautorin, deren Bücher bislang in 21 Sprachen übersetzt wurden, kam 1935 in Shanghai zur Welt. Heute lebt die Mutter von drei erwachsenen Kindern und vierfache Großmutter in Weinheim in Baden-Württemberg. Nicht nur der vorliegende Band, sondern auch viele ihrer anderen Romane spielen daher in dieser Gegend, was 2002 mit der Verdienstmedaille des Bundeslandes gewürdigt wurde. Daneben gab es Literatur-Preise, und nicht wenige ihrer Bücher wurden verfilmt.

Ingrid Noll hat die Gabe, große und kleine Verbrechen so liebenswürdig und manchmal auch als zwingend notwendig zu schildern, als wären sie etwas ganz Alltägliches. Ganz in dieser Tradition hat sie nun angerichtet: „Der Mittagstisch” ist gedeckt.

(dpa)