Aachen : Konzertkritiker Alfred Beaujean im Alter von 97 Jahren gestorben
Aachen Leidenschaft — in diesem Begriff lässt sich alles bündeln, was im Leben von Alfred Beaujean eine Rolle gespielt hat: Die Liebe zur Familie mit Ehefrau Agnes, mit der er über 70 Jahre verheiratet war und die im vergangenen Jahr starb, den vier Söhnen, Schwiegertöchtern, fünf Enkeln und drei Urenkeln, die Einsätze als Opern- und Konzertkritiker unserer Zeitung, der er seit 1962 verbunden war, die Chronistentätigkeit zum Musikleben der Stadt Aachen sowie die Autorenschaft bei Fachzeitschriften. Am Samstag ist Alfred Beaujean im Alter von 97 Jahren gestorben.
Eigentlich wollte er sich als junger Mann der Kirchenmusik zuwenden. Doch als Kriegsheimkehrer hatte er keine große Auswahl — also wurde es die Aachener Bauverwaltung. Bereits in dieser Zeit analysierte er offen und kenntnisreich, was sich im Musikleben bot. Da nahm er kein Blatt vor den Mund, war streitbar und kompromisslos. Er erkannte scharfsinnig, wenn eine Interpretation präsentiert wurde, die seiner Meinung nach dem Werk keine guten Dienste tat. Dann setzte er sich an die Schreibmaschine und begründete diese Einschätzung wortgewandt, manchmal mit Ironie gewürzt, stets zur Diskussion bereit.
Beaujean hatte dabei durchaus einen Sinn für das Zarte, Subtile in der Musik und in ihrer Umsetzung. Dabei hielt er nichts von übertriebenem Gehabe — zum Beispiel am Klavier, wo er einem russischen Künstler noch vor kurzem „wüstes Gedonnere“ und „peinigende Maniriertheit“ attestierte. Und Humor hatte er auch, erklärte dem Leser der Kritik nach besagtem Konzert: „Die Zugabe hat sich der vom Gedonnere erschlagene Berichterstatter geschenkt.“ Beaujean konnte es sich leisten zu polarisieren. Immer wieder reizten seine Kritiken zu Applaus und Widerspruch gleichermaßen, was Diskussionen auf den Leserbriefseiten unserer Zeitung auslöste.
Lange Wanderungen waren selbst noch im hohen Alter Freude und Ausgleich. Es gab so manchen weit jüngeren Begleiter, der kaum Schritt halten konnte, wenn es nur Richtung Maastricht ging — für ihn eine kleine Tagestour.
Das analytische Zuhören war ihm Pflicht und bei Werken der Moderne besonderer Genuss. Hier liebte er es, Strukturen zu ermitteln, musikalische Rätsel zu lösen, war den Gedanken der Komponisten auf der Spur. Bei Konzerten und Opern kannte er sich bestens aus, reiste nach Bayreuth und Salzburg, stellte CD-Produktionen vor oder war Jury-Mitglied bei Musikwettbewerben.
Freundschaft mit Gabriel Chamura
Das regionale Musikleben hatte er dabei stets im Blick, unter anderem als Gesprächspartner der städtischen Generalmusikdirektoren. Noch zuletzt äußerte er sich kritisch zur Zusammensetzung der Findungskommission bei der aktuellen Suche nach einem Nachfolger für Kazem Abdullah und forderte, dass dort mehr Musikfachleute und weniger Politiker mitwirken sollten.
Freundschaft verband ihn mit Gabriel Chmura, der 1974 Deutschlands jüngster GMD war. Mit einigen Persönlichkeiten der Musikszene pflegte er einen intensiven Austausch — etwa mit Dirigent Günter Wand. Seine Erinnerungen an Herbert von Karajan hat die Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins veröffentlicht.
Tausende Schallplatten und CDs hatte Beaujean systematisch im Keller seines Hauses archiviert. Das Hinhören — live oder bei Einspielungen — zog er allem vor, was es im Fernsehen zu sehen gibt. Dann lieber Radioproduktionen einschalten — und wiederum gut zuhören. Viele seiner Lebenswünsche haben sich erfüllt. Der Wunsch nach einem Konzertsaal für Aachen blieb allerdings offen.