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Aachen: Keine leichte Aufgabe: Verdis unpopuläre Oper „Simon Boccanegra“

Aachen : Keine leichte Aufgabe: Verdis unpopuläre Oper „Simon Boccanegra“

Ihre Terrier-Hündin heißt Lola. Klar, die rennt gern. Aber auch das Frauchen ist mit einem Affenzahn unterwegs. Wegen einer angerissenen Kniesehne zurzeit zwar nicht auf Joggingpfaden, aber auf der Karriereleiter. Immer mehr junge Frauen stürmen ans Regie-Pult, in dieser doch so patriarchalischen Anstalt namens Theater.

Und Nadja Loschky ist eine von ihnen. Noch keine 30 ist die Opernregisseurin und kann schon rund zehn Jahre Berufserfahrung vorweisen — in Osnabrück, Kassel und Heidelberg, aber auch an großen Häusern wie der Komischen Oper Berlin und der Züricher Oper hat sie bereits inszeniert. Mit Verdis „Simon Boccanegra“ stellt sie sich nun erstmals in Aachen vor.

Premiere im Theater Aachen am 7. April 2013. Probenfoto. Ensemble.
Premiere im Theater Aachen am 7. April 2013. Probenfoto. Ensemble.

Direkt nach dem Abi, mit gerade mal 18, zog es sie von Kaiserslautern nach Berlin, zur Aufnahmeprüfung an die renommierte Musikhochschule Hanns Eisler, dort nahm man sie sofort. Aber Nadja Loschky meint: „Ich bin keine Überfliegerin, ich habe viel Glück gehabt.“ Ja, ja, diese typisch weibliche Bescheidenheit! Wäre sie mit der allein so weit gekommen? Solche Frauen-Fragen interessieren die 29-Jährige wenig. Als junge Frau hat sie beruflich bisher keine negativen Erfahrungen gemacht, stellt sie klar. „Ich treffe natürlich gewisse Vorkehrungen“, sagt sie und lacht. „Im Minikleid mit Strapsen würde ich nicht inszenieren.“ Sportlich schlank trägt sie stattdessen enge Jeans und grauen Pulli, dazu kurze hellblonde Haare. „Das Problem ist immer, wenn man nicht weiß, was man will“, findet sie — und fügt so knapp wie freundlich hinzu: „Ich weiß, was ich will.“

Nach der Freude über das Angebot aus Aachen folgte allerdings erst mal „der kleine Schock“. Als nicht gerade „regiefreundlich“ gilt diese sehr düstere und eher unpopuläre Verdi-Oper, die in Aachen zuletzt vor mehr als 50 Jahren zu erleben war. „Die Handlung ist sehr verworren“, gibt die Jung-Regisseurin zu. „Ich habe erst mal Harenbergs Opernführer gelesen und nach drei Sätzen gesagt: ,Moment mal, wie war das?‘“ Nicht gerade aufmunternd klangen dazu die Kommentare von Freunden und Kollegen: „Das kann man doch gar nicht inszenieren!“ Aber Nadja Loschky kann.

„Man muss versuchen, Fleisch an die Charaktere zu bekommen.“ Daher bemühte sie sich bei den Proben um genaue psychologische Arbeit und differenzierten Ausdruck. Bei den Sängern flossen da mehrfach die Tränen. „Nicht, weil ich so schlimm war!“, betont Loschky lachend, sondern wegen der „emotionalen Abgründe“ der Politparabel und Familientragödie. Das dunkle Stück bietet zwar keine Wunschkonzert-Melodien wie etwa „La Traviata“, die Loschky bereits in Osnabrück inszenierte. Aber es erzeugt einen „musikalischen Sog“, der sie schon als Teenager ergriff. Damals entfachte ihre Leidenschaft für die Oper, als sie in Kaiserslautern in vielen Proben „Rigoletto“ kennenlernte, ihr Vater spielte im Orchester. Und Verdi wurde ihr Lieblingskomponist. „Niemand vertont so genial die menschliche Natur wie Verdi“, findet sie. „Da ist jedes Piano, jedes Crescendo inhaltlich begründet.“

Wagt die junge Loschky denn eine frische Sicht auf den alten Verdi, dessen 200. Geburtstag die Opernwelt in diesem Jahr feiert? Mal schaue_SSRqn. Die graue Schicksalsspirale von Ausstatterin Gabriele Jaenecke dreht sich jedenfalls nicht im 14. Jahrhundert in Genua, sondern in einer abstrakten Welt mit heutigen Bezügen. Der Doge Simon Boccanegra schlendert in Anzug und schwarzen Turnschuhen daher. Loschky erkennt die „Gefahr, dass es statisch gerät“, aber bei ihr fliegen auch schon mal Gläser oder Tische über die Drehbühne. Und darüber wogen in den Chorszenen mehr als 80 Mitwirkende. Auch da keine Autoritätsprobleme? „Ich kann brüllen!“, sagt die 29-Jährige, lacht und ergänzt schnell: „Ist mir hier aber noch nicht passiert.“

Sie ist schon mit größeren Massen klargekommen. Auf der Bayreuther Festspielbühne etwa hat sie gut 100 Ratten gezähmt, bei Chorproben als Regie-Assistentin von Hans Neuenfels, der Wagners „Lohengrin“ ins Versuchslabor verlegte. Von dem über 70-jährigen Skandalregisseur hat sie auch „das Streben nach Perfektionismus gelernt“, meint Nadja Loschky. Das kann man bei einer Probe erahnen. Da steht ein Tisch falsch, wahrscheinlich sind es nur ein paar Zentimeter, aber entscheidende. „So geht das nicht!“, zischt sie, tauscht sich mit ihrem Team aus, saust aus dem Zuschauerraum auf die Bühne. Gut, dass die faltbare Stoff-Hundehütte schon nicht mehr neben dem Regie-Pult steht. Terrier Lola begleitet ihr Frauchen zwar auch zu den Proben, aber in der heißen Phase kurz vor der Premiere gastiert sie lieber bei Nadja Loschkys Mutter.

„Ich bin immer unzufrieden“

Im Endspurt hat die Regisseurin keine Zeit fürs Gassigehen, da müssen zweieinhalb Stunden Schlaf reichen, weil sie nachts noch Briefchen mit Kritik für jeden Darsteller schreibt. „Ich bin immer unzufrieden“, sagt sie, aber ihre Augen blitzen erstaunlich frisch über den Glitzerohrringen. Dazu nickt Bühnen- und Kostümbildnerin Gabriele Jaenecke heftig. Sie muss es wissen. Schließlich hat sie Nadja Loschky schon an der Berliner Hochschule unterrichtet und erarbeitet jetzt die sechste gemeinsame Produktion mit ihr. „Wenn die Gefahr droht, dass ich bequem werde, dann höre ich immer Neuenfels‘ Stimme: ,Weiter!‘“, erzählt Nadja Loschky und bringt ein herrliches alkohol- und zigarettengegerbtes Krächzen zu Gehör.

Nachdem sie schon 2009 ihre praktische Prüfung absolviert hat, geht auch ihre Ausbildung weiter. „Ich muss meine Diplom-Arbeit noch schreiben“, sagt Nadja Loschky. Zum einen „für meine Mutter“, eine Lehrerin, zum anderen, um später selbst mal unterrichten zu können. „Ich habe mir den Herbst dafür freigeschaufelt.“ Das Thema? Wahrscheinlich Händels „Alcina“, ihre nächste Inszenierung in Luzern. Danach wartet Mozarts „Così fan tutte“ in Heidelberg. Und so weiter. Es läuft!