Aachen : Im Dienst des Dichters feine Abgründe sichtbar machen
Aachen In die Schlachthöfe von Chicago - mitten in die Weltwirtschaftskrise von 1929 - führt Brechts Lehrstück „Die heilige Johanna der Schlachthöfe”, das nicht nur Johanna, diesen Engel der Armen, im Kampf gegen Ausbeutung und bittere Not, ins Licht der Scheinwerfer rückt, sondern auch Mauler, den perfiden „Fleischkönig”, der ohne Hemmungen den Markt ruiniert und Massenentlassungen auslöst.
Die Konkurrenz treibt er in den Ruin und mit seinen Börsenspielchen verdient er ein Vermögen, während die Arbeitslosen in Suppenküchen der Heilsarmee Zuflucht suchen.
Der aus Österreich stammende Schauspieler Thomas Hölzl schlüpft in die Rolle des skrupellosen Fleischmagnaten wie in eine zweite Haut. Maulers jederzeit abrufbare Empfindsamkeit („die armen Schlachtochsen”) verbindet sich nahtlos mit gefühlloser Härte, wenn es darum geht, auf Kosten der Arbeiter oder der Konkurrenten Profit zu machen.
Scheinbar mühelos verwandelt Hölzl, 1959 in Linz geboren, sich jeden Abend im Grenzlandtheater in diesen „Sauhund”, hinter dessen „weichherziger” Sentimentalität die absolute Skrupellosigkeit lauert.
Den Charakterdarsteller, der von 1984 bis 1990 am Stadttheater Aachen engagiert war, erinnert diese Figur nicht nur an heutige „Heuschrecken”, sondern auch an bestimmte Politiker, die ihre Brutalität hinter „volksnaher Jovialität” gut zu verbergen wissen.
Blitzgescheit und anbiederungsfrei mit echtem Charme gesegnet, erzählt der in Saarbrücken lebende Schauspieler und Regisseur von seinem ungewöhnlichen Werdegang, dessen Grundlagen er in seiner Linzer Internatserziehung sieht: „Wir hatten herausragende Lehrer”.
Die klugen Jesuiten haben ihm auch „Denken, Disziplin und Ordnungsliebe” beigebracht - keine schlechte Voraussetzung für Künstler, meint Hölzl, der mit seiner Frau Barbara Michel, Schauspielerin, Dramatikerin und Trainerin, schon mal gemeinsam auf der Bühne zu sehen ist.
Und der seit seinen Anfängen in Bielefeld in mehr als 130 Rollen an verschiedenen Theatern aufgetreten ist. Doch dem ambitionierten Mimen genügen anscheinend die Bretter nicht, die die Welt bedeuten: Einem Magisterabschluss in Literaturwissenschaften und Philosophie folgte noch ein Aufbaustudium als Kulturmanager.
Von seiner fundierten Gesangsausbildung mag er eigentlich gar nicht reden, doch sicher kommt sie dem Vielseitigen oft zugute. Wahrscheinlich sogar bei Brecht, einem seiner liebsten Dramatiker, dessen musikalischer Sprachduktus zwischen Jamben, Alltagsjargon und Poesie kunstvoll mäandert. „Brecht verfolgt mich”, sinniert der Österreicher, der bereits in elf Brecht-Stücken auf der Bühne stand.
„Tüchtiger Kapitän”
Doch wie kann man ein „Schwein” wie Mauler spielen, ohne nach der Vorstellung die Bürde dieses hinterhältigen Ausbeuters mit nach Hause zu tragen? „Das ist ja unser Handwerk, im Dienst des Dichters feine Abgründe sichtbar machen”, strahlt Hölzl, der so tief schürfend wie unterhaltsam über seinen Beruf zu plaudern versteht.
Für Manfred Langner, Grenzlandtheaterchef und Regisseur der „Heiligen Johanna”, hat Hölzl geradezu „ein Faible”: Er bewundert „den tüchtigen Kapitän, der sein kleines Theaterschiff durch haushohe Wellen steuert”.