1. Kultur

Aachen: Hungerlöhne: Kultur um jeden Preis?

Aachen : Hungerlöhne: Kultur um jeden Preis?

Seine Wut musste irgendwie raus. Daher gründete Johannes Maria Schatz die Facebook-Gruppe mit dem sprechenden Namen „Die traurigsten & unverschämtesten Künstler-Gagen & Auditionerlebnisse“. Seine Wut über ein Angebot, das seine Lebensgefährtin vom Aachener Das Da Theater erhielt, war für den 46-Jährigen der Auslöser.

Die Schauspielerin und Musicaldarstellerin sollte in einer Saison in rund 300 Aufführungen spielen. Für 1250 Euro pro Monat — brutto. „Netto bleiben da vielleicht 900 Euro“, meint Schatz. „Das reicht gerade so für die Miete und eine warme Suppe.“

Von solch „unterirdischen Honoraren“ hatte der Hagener Lehrer und Musical-Produzent die Nase voll. Denn das Angebot an seine Frau ist kein Einzelfall, so ist das System. Schatz tauschte Erfahrungen mit Künstler-Kollegen aus und sagte sich: „Das müsste man mal aufschreiben. Das glaubt uns kein Mensch!“ Schatz schrieb sich seinen Ärger von der Seele — und es lasen Tausende. Seine Facebook-Seite zählt mittlerweile rund 15 500 Fans. Ob Chanson- oder Opernsängerin, Cellist oder Theaterpädagoge — sie alle berichten über unmoralische Angebote vom freien Theater bis zu den großen Festspielen.

„Wir haben den Nerv getroffen“, sagt Schatz im Gespräch mit unserer Zeitung. „Offensichtlich war es Zeit, dass wir das Tabuthema Gage aus der Grauzone herausgezogen haben.“ Denn Künstler sprechen eigentlich nicht über Geld — auch aus Angst um ihren Job. Nun liest Schatz oft: „Endlich weiß ich, dass ich nicht alleine bin!“

Auf seiner Seite berichten zum Beispiel Musiker von einer Feier, bei der sie spielen sollten. Die Gage? Der Sektempfang! Oder es gibt den Hinweis auf ein privates Theater in Koblenz, das Schauspieler aus Griechenland, Italien oder Osteuropa sucht — für 20 Euro pro Vorstellung und eine Probenpauschale von 50 Euro. „Sie sollten viel Spaß an der Arbeit haben“, steht in der Anzeige.

Schatz machten die miserablen Arbeitsbedingungen vieler darstellender Künstler und Musiker schon lange keinen Spaß mehr. „Aber es kann nicht beim bloßen Mosern bleiben“, fand er. „Wir müssen auch den Mut haben, aktiv zur Veränderung beizutragen.“ Anfang September hat er deshalb den Verein „art but fair“ (auf Deutsch so viel wie: Kunst, aber gerecht) gegründet, der sich für angemessene Löhne in Theater- und Musikbetrieben stark macht. Schatz und sein rund 25-köpfiges Team — mit neuen Vereinen auch in Österreich und der Schweiz — entwickeln zurzeit gemeinsam mit den Usern „Goldene Regeln künstlerischen Schaffens“, in einer Beta-Version sind sie schon im Netz zu finden, bis Mitte 2014 sollen sie endgültig formuliert werden. Darin geht es nicht nur um faire Gagen auch für Proben, sondern ebenso um einen höflichen Umgang und Solidarität untereinander. Öffentliche Fördergelder solle es zudem nur geben, wenn auch angemessene Gagen gezahlt werden. Das Ziel: Diese Regeln werden zu freiwilligen Selbstverpflichtungen der Kultur-Akteure, die ihre Haltung mit einem Gütesiegel kennzeichnen, nach dem sich dann auch das Publikum richten kann.

Prominente Unterstützer hat „art but fair“ mit den Opern-Stars Edita Gruberova und Elisabeth Kulman. Die österreichische Mezzosopranistin Kulman griff öffentlich die renommierten Salzburger Festspiele an, weil sie die bis zu sieben Wochen dauernde Probenarbeit nicht mehr bezahlen wollten. Es gibt die Probleme nicht nur bei den Otto-Normal-Künstlern, sondern auch in der Champions League“, betont Schatz. Besonders mit Kulmans Aufruf zur „Revolution der Künstler“ wuchs die mediale Aufmerksamkeit für die wachsende Protestlawine.

Sogar der mächtige Deutsche Bühnenverein — die Theater-Intendanten und Funktionäre — nimmt die Initiative ernst und begrüßt sie. Das hat Schatz erst mal erschreckt, sagt er und lacht: „Was machen wir falsch? Die Arbeitgeberseite solidarisiert sich mit uns!“ Aber in Kürze soll es ein Gespräch mit dem Direktor des Bühnenvereins geben. „Dann sehen wir, ob den Lippenbekenntnissen auch praktische Ergebnisse folgen“, sagt Schatz. Ob man zum Beispiel die „Goldenen Regeln“ allgemein verbindlich machen oder auch für mehr Transparenz bei Intendanten-Gehältern sorgen kann.

Mittelfristig wird „art but fair“ wohl kaum etwas ändern. Schatz sieht das realistisch. Aber man habe ein Problembewusstsein angeregt und schon in einigen Fällen etwas bewirkt. So habe zum Beispiel der Filmstar und Regisseur Matthias Schweighöfer für seinen Film „Vaterfreuden“ einen Song Contest ausgeschrieben. „Art but fair“ las das Kleingedruckte und forderte ihn auf, den Nicht-Gewinnern die Nutzungsrechte an ihren eingesandten Liedern zu überlassen. Schweighöfer sei umgehend darauf eingegangen.

Auch die Künstler müssten ihr Verhalten ändern, fordert Schatz. Sie sollten Engagements zu Dumpinggagen ablehnen und immer schriftliche Verträge abschließen. Das Problem: Solisten sind anders als etwa Orchestermusiker gewerkschaftlich nur schwach organisiert. Der Direktor des Bühnenvereins, Rolf Bolwin, fordert daher Solo-Künstler auf, der Bühnengenossenschaft beizutreten. Er betont: „Der Weg zu dem, was ,art but fair‘ berechtigterweise fordert, geht über die Gewerkschaft.“ Daher hat Schatz auch mit den Arbeitnehmervertretern bereits Gespräche geführt. Er meint: „Die Gewerkschaften lehnen sich zurück und freuen sich, dass wir ihre Kämpfe durchfechten.“ Aber er will die ganz unterschiedlichen Gruppen an einen Tisch bringen — und diese Kämpfe ehrenamtlich weiter ausfechten.

Einen rechtlichen Kampf musste Schatz nach eigenen Angaben bisher nicht führen. Obwohl seine „Künstler-Klagemauer“ auch ein Pranger ist — wobei Schatz betont, dass alle Fakten vor der Veröffentlichung gecheckt würden. Aber es gibt Theater, die als Reaktion auf Vorwürfe eine Stellungnahme abgeben — etwa das Aachener Das Da Theater, das mit seinem Gagen-Angebot den Anstoß für die Initiative „art but fair“ gab. „In der Internet-Diskussion sind wir anfangs fast an die Wand genagelt worden“, meint Theaterleiter Tom Hirtz. „Das war nicht fair!“ Später sei es dann sachlicher abgelaufen. Hirtz betont, dass er mittlerweile eine Lohnsteigerung auf 1350 Euro für seine fest angestellten Mitarbeiter erreicht habe. Immerhin feste Verträge, sozial abgesichert, mit bezahltem Urlaub und Bezahlung bei Krankheit — Luxus für die freie Szene. Auch ihm ist „völlig klar: Das ist zu wenig.“ Er kämpfe dafür, die Mindestgage von 1650 Euro zu zahlen. „Aber zurzeit können wir das nicht. Das liegt aber nicht an uns, sondern am Zuschuss-System“, meint Hirtz.

Knallhart sagt Schatz in solchen Fällen: „Wenn sie nicht mal die Mindestgage zahlen können, müssen sie dicht machen.“ Und wenn der Stadt Aachen diese Kulturinstitution wirklich wichtig wäre, dann stünde sie auch in der Pflicht, mehr für sie zu zahlen.

Kultur muss sein — für Schatz aber eben nicht um jeden Preis. So könnten die Forderungen der Kultur-Kämpfer von „art but fair“ in der Konsequenz zu weniger Kultur führen. Schatz meint auch: „Viel zu viele Künstler werden auf den Markt geworfen.“ Um das Überangebot abzubauen, sollten Hochschulen nur Bewerber aufnehmen, „die reelle Chancen auf dem Arbeitsmarkt aufweisen können“. Und die Forderungen gehen noch weiter: „Kunst muss als Staatsziel ins Grundgesetz, damit sie dem Kommerzialisierungsdruck entzogen wird.“ Auch das kann noch dauern. Im neuen Koalitionsvertrag ist davon nichts zu finden.