Himmlische Chöre, swingendes Fest
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Himmlische Chöre, swingendes Fest
Foto: mha/cover 04.12.2020
Jamie Cullum: „The Pianoman At Christmas“
(Island/Universal)
Weihnachten: Die Hörgewohnheiten verändern sich, Feinmotorisches findet leichteren Zugang, weil Grobmetrisches einen Monat lang ruht. Klassisches Songwriting ist wieder gefragt. Der englische Jazz-Connaisseur Jamie Cullum, in dieser Disziplin ein wandelndes Lexikon, hat sich drüber nicht nur Gedanken gemacht, sondern gleich zehn neue Weihnachtslieder komponiert und mit Orchester-Begleitung eingespielt. Aber weil er nicht zur Verklärung neigt, swingt es beispielhaft leichtfüßig zur inhaltlichen, emotionalen Achterbahnfahrt auf Albumlänge. Das viele Propagieren der Liebe provoziert eben auch Unmut, Streit und Nähe, die manchmal schwer zu ertragen ist. Cullum bildet das Tohuwabohu vielschichtig ab, fragt in „It’s Christmas“ warum nicht wenigstens an den Feiertagen alle miteinander auskommen können. Die Musik spielt dazu beispielhaften Big-Band-Jazz. In der titelgebenden Ballade gibt Cullum halbironisch den ahnungslosen Crooner, bezeichnet sich schelmisch als einfachen Pianisten, wohlwissend, dass er mit diesem Album aufzeigt, wie formidabel Humor, Besinnlichkeit und Musikalität in seinen Songs einander zuspielen können. (M.L.)
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Himmlische Chöre, swingendes Fest
Foto: Sony Music Jonas Kaufmann: „It’s Christmas“
(Sony)
So lieb man Deutschlands Startenor haben mag, unterm Tannenbaum scheint er dann doch eher gewöhnungsbedürftig. Nun singt Jonas Kaufmann aber gern Weihnachtslieder – warum auch nicht? Und manchmal, wenn er das ganze strahlende Pathos aus seinem bewundernswürdigen Gesanginstrument herausnimmt, etwa bei „Still, still, still“, dann wird’s einem ganz heimelig zumut. Trotz des allgegenwärtigen Zuckergusses, für den auf der Doppel-CD zum Fest das Mozarteum-Orchester und die St. Florianer Sängerknaben zuständig sind. Nur schmettert Kaufmann eben etwa das Gloria aus „Engel haben Himmelslieder“ so unerträglich opernhaft (und dann auch noch mit dem immer gleichen, falschen Ton), dass man die Lautstärke gar nicht schnell genug herunter regeln kann. So fügt sich auf diesem weihnachtlichen Opus magnum durchs ganze Repertoire Schönes zu schwer Erträglichem. Überraschend gelungen ist dann allerdings Kaufmanns Ausflug ins beschwingte amerikanische Musicalfach, zu dem Jazztrompeter Till Brönner vorbeischaut. Jack Frost & Co machen richtig Spaß. In der Deluxe-Ausgabe gibt’s dann auch noch Plätzchenrezepte: Zimtsterne mit Kirschwasser. (ark)
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Foto: mha/cover Dolly Parton: „A Holly Dolly Christmas“
(Rykodisc/Warner)
Dolly Parton stammt aus einer Gegend der USA, in der es ganz selten schneit und der Tannenbaum zumeist ein trauriges Dasein als Plastik-Artefakt fristet. Addiert man dazu ihre aufgespritzten Schmollmundlippen, kann die Vorstellung, ein Weihnachtsalbum aus ihrer Feder zur Kenntnis nehmen zu müssen, Schaudern hervorrufen. Aber dann kommt doch alles ganz anders als gedacht. Parton, die Kreative mit Schnauze, Herz und Humor, lässt ihre „Pretty Paper“-Liebeserklärung ans Geschenkpapier zwar auf den Baumwollfeldern zwischen verstaubten Country-Roads spielen. Aber weder klingen dazu allzu klischeehaft die Glöckchen, noch inszeniert sie sich als arg bibeltreue Konservative. Natürlich tropft hier und da ein wenig Pedal-Steel-Gitarrenkitsch in die Arrangements der zwölf Songs, von denen immerhin fünf aus ihrer Feder stammen. Den macht sie allerdings augenzwinkernd wett, etwa mit ihrer Duett-Partnerin Miley Cyrus im großspurig arrangierten Mitgefühl-Plädoyer „Christmas Is“. Richtiggehend beschwingt beichtet sie ihrem Gesangs-Pendant Michael Bublé ihr Kuschelbedürfnis und verpasst der Feiertagsmusik damit eine nonchalante Note. (M.L.)
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Foto: Carus Calmus Ensemble: „White Christmas“
(Carus)
Wenn das Calmus Ensemble aus den Boxen quillt, wird einem warm ums Herz. Das ist seit fast 20 Jahren so, in denen das aus ehemaligen Mitgliedern des Leipziger Thomanerchors zusammengesetzte A-cappella-Quintett die Kunst des unbegleiteten Singens auf eine neue Qualitätsstufe gehoben hat. Bald schon kleidete mit Anja Pöche eine Sopranistin die Oberstimme mit sehr weiblichem Klang aus. Die gewagten, eigentümlichen Arrangements des Ensembles sind obendrein über die Jahre hinweg immer gewagter und eigentümlicher geworden. Am neuen Calmus-Weihnachtsalbum ist allerdings wenig neu: Der Carus-Verlag hat ins Archiv gegriffen und ist in schon etwas angestaubten Weihnachtsalben und anderen Produktionen fündig geworden. Wer die allerdings noch nicht kennt, wird bei „Maria durch ein’ Dornwald ging“ ob der reichen Figuration die Ohren spitzen. Oder er wird vergeblich versuchen, die in die Abgründe des Jazz getriebenen Harmonien von Irvings „White Christmas“ nachzuvollziehen, die das Ensemble meisterlich vorträgt. Oder er wird den so schlichten wie überraschenden Satz zu „Stille Nacht“ einfach nur genießen. (ark)
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Foto: mha/cover Chilly Gonzales: „A Very Chilly Christmas“
(Gentle Threat/Indigo)
Weihnachtsmusik aufs Allerwesentlichste reduziert lässt der kanadische Pianist Chilly Gonzales moll-intensiv auf die irritierte Menschheit los. Es geht allerdings in dem 15 Songs umfassenden Weihnachtspaket, das der Seelenwandler zwischen Pop, Jazz und Klassik geschnürt hat, weder auffallend „chilly“ – also in Gonzales’ Sinn frostig-sarkastisch – noch illusorisch-aufhellend zu. Es hat zudem auch nichts Entlarvendes, wenn die üblichen Saison-Kitschnummern von Wham und Mariah Carey aus deren nachtleuchtenden Neonfarbenkostümen befreit werden. Vielmehr offenbart Gonzales mit seiner bisweilen radikal wirkenden Arrangeur-Handschrift seinen Hang zu Melodien, zur eigentlichen Essenz von Musik. Und das gänzlich, ohne Kunstmusik-Standesdünkel zu bemühen. Applaus! Lediglich Pulp-Sänger Jarvis Cocker hält im Stück „In The Bleak Midwinter“ als Sprechgesangsgast am leicht prätentiös wirkenden Kunstbegriff-Narrativ fest. Aber auch nur dieses eine, kurze Mal. An anderer Stelle verdingt er sich als Fan mit Gonzales und Leslie Feist an einer lyrisch-feinbesaiteten Verbeugung vor dem verstorbenen Poeten und Indierock-Musiker David Berman (Silver Jews). (M.L.)
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Foto: mha/cover De-Phazz & Co.: „Music To Unpack Your...“
(Phazz-A-Delic/Alive)
Musik zum Auspacken von Weihnachtsgeschenken soll dieser Platte innewohnen. Mal nicht zur Glühweinseligkeit à la „Last Christmas“ einzuladen, ist ein hehres Ansinnen. Das Lounge-Jazz-Kollektiv um Pit Baumgartner, den erfindungsfreudigen Herrscher über unzählige Samples, erliegt bei der Umsetzung entsprechend nicht dem Versuch, abendländische Pop-Weihnachtsglückseligkeit zu verbreiten. So weich wie die Feder in der Schmuckschatulle, die das Cover ziert, treffen auf De-Phazz’ Festtagsalbum in schöner Selbstverständlichkeit Reggae auf tiefenentspannt läutende „Jingle Bells“, Weihnachtsbrauchtums-Lieder auf Chanson, frisch renovierte Songklassiker wie „Moon River“ auf zeitgenössischen Sprechgesang. Während metrisch frei schwebende Fender-Rhodes-Pianoakkorde um Dub-Hall- und Sample-Verzierungen kreisen, registriert der Zuhörer gar nicht, dass er just einer Latin-Version von „Ihr Kinderlein kommet“ lauscht. Das muss man ja auch erst mal in den Kopf bekommen. Die hier und da bewusst gesetzte Katz-und-Maus-Fährte ist allerdings keineswegs ein durchgängiges Merkmal dieser Platte, die letztlich nichts anderes bieten will als alternative Weihnachtsunterhaltungsmusik. (M.L.)
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Foto: Collegium The Cambridge Singers: „Christmas Night“
(Collegium)
Für John Rutter-Fans und solche, die es noch werden wollen eignet sich diese CD. Die Musik darauf stammt noch aus Zeiten, in denen der heute überaus populäre Komponist recht leicht zu singender, wunderbar gefühlvoll klingender Chorsätze noch sein Brot als Chorleiter der Cambridge Singers verdiente. 1985 nahm er mit dem renommierten Klangkörper ein Weihnachtsprogramm auf, das viele seiner heute bekannten Sätze quasi im Geburtsstadium präsentieren. Ungemein dynamisch und ganz nah am Text versteht Rutter Singen als frohe Kunst der Verkündigung. Das Faszinierende dieser jüngst remasterten Aufnahme ist jedoch auch, mit welcher Akribie der komponierende Chorleiter die harmonischen Besonderheiten, die sich auch mal hinter einem Nebensatz verstecken, aufsucht und zelebriert. Sei es nun bei Bachs „O Jesulein süß“ oder bei seinem eigenen Arrangement des ur-deutschen „O Tannenbaum“, den Rutter leicht ironisch in kunstvoll verschlungenes Lametta einwickelt. Bei einigen Arrangements steuert die City of London Sinfonietta ein weiches, sinfonisches Klangbett bei. Ein Schatz aus vergangenen Zeiten. (ark)
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Himmlische Chöre, swingendes Fest
Foto: mha/cover Nils Landgren: „Christmas With My Friends VII“
(Act Music/Edel)
Vor 14 Jahren versammelte Landgren, der Fixstern der europäischen Jazz-Szene, erstmals Musiker- und Sängerfreunde für die Aufnahmen zu einem Album mit Weihnachtsmusik aus unterschiedlichen Flecken der Erde. Immer dem Jazz-Idiom verpflichtet, wurde aus der damaligen Idee, eine Art Festtags-Weltmusik zu schaffen, eine Alben-Serie, deren siebte Folge nunmehr vorliegt. Nach 14 Liedern aus ebenso vielen Ländern ließ der Schwede diesmal recherchieren, was ihn einen weiten Bogen schlagen lässt. Die Bandbreite der Musik reicht vom beschwingten Folk-Jazz des aus Russland stammenden Songs „The Forest Raised A Christmas Tree“ bis zum pulsintensiven südafrikanisch-gospelartigen Mantra „Unto Us A Son Is Born“. Dazwischen gibt es Abstecher nach Belgien mit einer anmutigen Adaption von Jaques Brels „Voir Un Ami Pleurer“ auf Schwedisch. Für „Hodie Christus natus est“ aus „A Ceremony Of Corals“ begab sich Landgrens siebenköpfiger Freundeskreis spürbar ehrfurchtsvoll-andächtig auf die Fährte von Benjamin Britten. So vielfältig sich die Herkünfte der Komponisten ausnehmen, klingt auch diese Platte. (M.L.)
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Himmlische Chöre, swingendes Fest
Foto: Plg Classics/Warner Chanticleer: „... Sings Christmas“
(Plg Classics/Warner)
Wer sich am Weihnachtsabend ins sonnige San Francisco wünscht, in eines dieser amerikanischen Gotteshäuser, der mag beim Hören der Weihnachtsplatte des reinen Männerensembles Chanticleer Gänsehaut bekommen. Vor über 40 Jahren haben Jungs vom dortigen Opernchor und von der Grace Cathedral Lust gehabt, das Renaissance-Repertoire zu pflegen. Mit ebensoviel Countertenören wie „normalen“ Bässen und Tenören. Die Weihnachtskonzerte wurden die Keimzelle zu nationalem und internationalem Ruhm. Inzwischen sind 50 Platten auf dem Markt, rund 130 Männer haben über die Jahre im Ensemble gesungen. Und immer noch geht die Renaissance wunderbar, wie die neueste CD beweist. Byrd, Hassler und Konsorten mischen sich inzwischen aber mit romantischen und ganz jungen Arrangements meist traditioneller weihnachtlicher Melodien. Von Chanticleer in Auftrag gegebene Musik führt in die Gefilde des Jazz und der gemäßigten Avantgarde. Bei manchem Lied sind mehrere Arrangeure aus unterschiedlichen Epochen am Werk. William Fred Scott leitet ein begeistertes, professionelles Ensemble. Einfach schön. (ark)
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Foto: mha/cover Rebekka Bakken: „Winter Nights“
(OKeh/Sony)
Zwölf Songs zur Winter- und Weihnachtszeit hat die Norwegerin Rebekka Bakken mit ihrer drei Oktaven umfassenden Stimme aufgenommen. Es sind Lieder, die in ihren vorwiegend balladesken, schön wie Herbstlaub leuchtenden Arrangements zur Seelensuche, zum Blick aufs Ich einladen. Immer poetisch, oft der Mehrstimmigkeit der American Roots Music in den Refrains zugetan, kredenzt sie warme, selbstkomponierte Lebensmanifeste für die kalte Jahreszeit. Die flankiert sie mit kraftvollen und ausdrucksstarken Impressionen von allseits bekannten Weihnachts-Evergreens. Fein, geradezu zart spannt sie mit ihrer Version von „Silent Night“ einen Bogen zwischen den Kontinenten, lässt nordisch-karge Anmutung auf flehende Pedal Steel-Gitarrenklänge treffen. Angesichts der beseelten Größe dieses Albums wird die Frage, ob die Bakken eine Jazz-, Folkpop- oder Country-Sängerin ist, irrelevant. Sie beherrscht die Musikspielarten rein gesangstechnisch gesehen natürlich aus dem Effeff. Ihre eigentliche Kunst aber ist das Mitnehmen in Gefühlslagen, in denen man am liebsten baden möchte. Auch oder gerade an Weihnachten. (M.L.)
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Himmlische Chöre, swingendes Fest
Foto: See-Igel Brüder Grimm/Ute Kleeberg: „Das tapfere Schneiderlein“
(See-Igel)
Die jüngste Frucht aus dem Wundergarten der Edition See-Igel, die vor sage und schreibe 25 Jahren von Ute Kleeberg und Uwe Stoffel im Breisgau erfunden wurde, ist „Das tapfere Schneiderlein“. Auch diesem Grimm’schen Märchen – wie 40 teils mit Preisen überhäufen Produktionen zuvor – gibt die begnadete Macherin musikalischer Hörbücher behutsam neue Worte. Das besondere der See-Igel-Hörbücher, die wir regelmäßig an dieser Stelle würdigen, ist ja die klassische Musik, die den Fluss der Erzählung ins Unsagbare ausufert und ihr inneres Wesen in Klang kondensiert. Auch in dieser Erzählung vom siebenfachen Fliegentöter, dessen kleiner Geist und große Verwegenheit ihm eine schöne Prinzessin einbringen, gerät mit Musik von Mozart, Koechlin und Pleyel zu einer Art Kammersinfonie, in der etwa ein Mozart’sches Adagio ganz wunderbar die Verliebtheit des Nähmeisters spiegelt. Riesen, Eber, Einhörner kriegen ihr Fett weg, und das gewaltlose Ende wirkt in seiner heimeligen Spießigkeit geradezu happy. Ulrich Noethen leiht dem Text seine listige Stimme, das Trio aus zwei Klarinetten und Fagott spielt allerliebst. Für Menschen ab fünf Jahren. (ark)
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Himmlische Chöre, swingendes Fest
Foto: Berlin Classics/Edel Zurich Chamber Singers: „O Nata Lux“
(Berlin Classics/Edel)
Den Zurich Chamber Singers, dem vor erst fünf Jahren gegründeten Kammerchor, gelingt hier die Kunst, einen Bogen von den Anfängen unserer Gesangskultur bis ins Heute zu spannen. Ambition und Virtuosität gehen in der aus dem Licht geborenen und dem Licht gewidmeten CD eine überaus glückliche Melange ein. Der Chor setzt mit einem titelgebenden Auftragswerk der jungen britischen Komponistin Rihannon Randle und dem großangelegten „O Magnum Mysterium“ für Chor und Marimba des Norwegers Marcus Paus zeitgenössische Schwerpunkte. Immer wieder mit tonalen Harmonien spielende Wendungen stellen die Sänger vor große Herausforderungen, die sie mit Verve und hörbarem Vergnügen bewältigen. Das andere Extrem der CD weist auf Thomas Tallis oder Luis de Victoria, die in jedem Moment klar und spannend klingen. Weitere Höhepunkte bilden Brittens ungemein dynamische „Hymne auf die Jungfrau“, Max Bruchs innige Version von „O Jesulein süß“ und Gustav Holsts schwermütig-schwülstige Hymne „In the bleak midwinter“. Die Zürcher Sänger pflegen eine Klangkultur, die ihresgleichen sucht. (ark)
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