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Aachen: Grammatisches Telefon steigt bei Reform aus

Aachen : Grammatisches Telefon steigt bei Reform aus

Die Rechtschreibreform spaltet weiterhin kräftig die Gemüter und die Medien: Während die Zeitungen des Springer-Verlags seit Anfang der Woche die angekündigte Rückkehr von „dass” zu „daß” vollzogen haben, macht die Süddeutsche Zeitung einen Rückzieher.

Sie will nun doch vorerst weiter bei der neuen Rechtschreibung bleiben. Die Mehrheit der Redakteure habe sich lieber für eine „Reform der Reform” ausgesprochen, heißt es.

Aber eine andere, auch nicht unbedeutende Institution wird in Kürze dem „Stängel” den Laufpass geben: das Grammatische Telefon am Germanistischen Institut der RWTH Aachen, eine der meistkonsultierten Sprachberatungseinrichtungen im deutschsprachigen Raum. „Wir haben uns entschieden”, erklärt Professor Christian Stetter, Leiter und Mitbegründer des Grammatischen Telefons, zugleich Dekan der Philosophischen Fakultät, im Gespräch mit unserer Zeitung.

„Also wir haben uns entschieden, den Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz und der Kultusministerkonferenz noch abzuwarten. Am Tag danach werden wir uns eindeutig positionieren: Das Grammatische Telefon wird nur noch nach der alten Rechtschreibung beraten.” Und nicht mehr nach beiden Versionen, wie bisher.

Donnerstag und Freitag steht das leidige Thema in Berlin auf der Tagesordnung der Ministerpräsidentenkonferenz, in der nächsten Woche auf der der Kultusministerkonferenz. Stetter: „Ich vermute mal, die werden zu keinem Beschluss kommen.”

Für den Aachener Linguisten bewegen sich die Politiker sowieso auf dem „falschen Platz”. „Das ist das gleiche, als ob ich, ein erklärter Fußball-Laie, aufs Spielfeld gehe, mir eine Pfeife nehme und Abseits pfeife. Die Spieler würden mich wahrscheinlich runterschmeißen - weil ich auf dem Spielfeld nichts verloren habe. Die Normen und Regeln unterstehen nicht meiner Verfügungsgewalt. Genauso wenig hat der Staat in Sachen Orthographie eine Regelungskompetenz.”

Dass Zeitungen mit Millionenauflagen und ganze Verlagsgruppen zur alten Rechtschreibung zurückkehren, sei der letzte Beweis dafür, „dass die Kultusminister aufs falsche Spielfeld gegangen sind. Die Regeln der Orthographie werden von der Gemeinschaft der Schreibenden gemacht. Das ist immer so gewesen.”

Den Ministern wirft Stetter vor, etwas Entscheidendes verwechselt zu haben: „Sie haben die Kompetenz, den Lehrplan festzulegen, aber nicht die Lehrinhalte. Und der Lehrplan muss einfach lauten: Die Kinder haben die herrschende Orthographie zu lernen. Punkt, aus. Wenn es schwierig ist, dann müssen sich die Didaktiker Wege überlegen, wie man es ihnen erklärt.” Schließlich ändere man auch nicht die Grundsätze der Mathematik, nur um sie Schülern leichter verdaulich zu machen.

Aber selbst das ist für Stetter bei der Reform der Orthographie noch hoffnungslos misslungen. Sein Urteil über den neuen Duden, der bereits die Änderungen durch die Zwischenstaatliche Rechtschreibkommission umgesetzt haben will: „Offen gestanden, ich steige da nicht mehr durch. Es gibt jetzt einen solchen Riesenteil von Regeln, wer soll das noch lernen? Ich müsste mich ein paar Wochen - und ich habe mich zehn Jahre mit dem Problem beschäftigt - durchkämpfen, bis ich alle Feinheiten einigermaßen verstanden habe. Der Normalverbraucher ist da hoffnungslos überfordert.” Der Duden, das ist für ihn das „Paradestück einer konfusen Entwicklung und eines missratenen Regelungsversuchs, das als Museumsstück in die Geschichte eingehen” werde.

Gegenüber den Appellen von Lehrerverbänden, Eltern- und Schülerräten vom Wochenende, die neue Rechtschreibung beizubehalten, liegt angesichts der Einschätzung des Fachmannes aus Aachen nur eine Schlussfolgerung nahe: Sie alle können das neue Regelwerk gar nicht kennen, geschweige denn „verstehen”. Stetter: „Wenn Sie alleine die Kommaregeln einmal durchgehen - logisch völlig konfus.”

Stetter: „Und das ist keine Bagatelle: Hier wird an den Grundfesten unserer Information gerüttelt. Die Orthographie ist das Kodierungssystem unseres Wissens.” Die Eindeutigkeit des Geschriebenen gehe mit der neuen Rechtschreibung verloren, für Stetter auch ein wesentlicher Grund dafür, dass große Konzerne wie die Allianz und die Aachen-Münchener in ihrem gesamten Schriftverkehr nach wie vor an der alten Orthographie festhalten.

Die geistige Elite des Landes hat das vollauf begriffen: 100 Autoren, Verleger und Wissenschaftler haben gestern auf der Frankfurter Buchmesse die Rücknahme der Rechtschreibreform gefordert.

Grammatisches Telefon am Germanistischen Institut der RWTH Aachen: 0241/8096074, Mo.-Fr. 10-12 Uhr.

Gegründet wurde die Sprachberatungseinrichtung 1981 von den Aachener Linguistikprofessoren Ludwig Jäger und Christian Stetter.

Rund 20 Anfragen gehen täglich ein, zumeist von professionell Schreibenden, Sekretärinnen, Journalisten, Sachbearbeitern aus Wirtschaft, Wissenschaft und Industrie.

Infos: http://www.grammatisches-telefon.de