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Kornelimünster: Frischer Schwung in der Alten Reichsabtei

Kornelimünster : Frischer Schwung in der Alten Reichsabtei

Allmählich zeigt sich, wo die Reise hingehen soll in der Alten Reichsabtei Kornelimünster, dem Domizil der Sammlung Kunst aus NRW.

Seit einigen Monaten wirbelt hier Marcel Schumacher als neuer Leiter, sichtet — eine wahre Mammutaufgabe — die über 2500 von insgesamt 4000 Werken (der Rest ist an Landesbehörden ausgeliehen), die sich allein unter dem Dach des Hauses befinden, knüpft und intensiviert Verbindungen zur belgischen und niederländischen Szene bis hin nach Brüssel, Gent und Antwerpen — und, keine Frage, vor allem auch zu den Kollegen und Künstlern im Dreiländereck. Schließlich hat der 38-Jährige gleich zu Anfang seiner Amtsübernahme erklärt: Die Alte Reichsabtei soll ein noch wichtigerer Faktor im Kulturleben der Region werden, als sie ohnehin schon seit Jahrzehnten unter seiner Vorgängerin Maria Engels darstellt. Die war wenige Monate nach ihrer Pensionierung im Dezember des letzten Jahres überraschend gestorben.

Mit herzlicher Offenheit

Der sympathische Lockenkopf sprüht vor Temperament und herzlicher Offenheit. Auf Anhieb spürt man: Dem Mann macht es ungemein viel Spaß, hier frei und ungebunden walten zu können — und das sagt er auch. Es hat eben auch Vorteile, als Alleinkämpfer das Feld bestellen zu können. Geradezu demonstrative Unterstützung erhält Schumacher dabei von seiner „obersten“ Chefin: Kulturministerin Ute Schäfer (SPD). Kürzlich hat sie den neuen „Macher“ in Kornelimünster zu einem persönlichen Gespräch getroffen und bei der Gelegenheit öffentlich betont, dass diese landeseigene Einrichtung „für die Geschichte der Kunst in NRW steht und sich künftig noch stärker sichtbar akzentuieren soll“. Zur Eröffnung der ersten Ausstellung des neuen Hausherrn am 31. Oktober hatte sich die Ministerin bereits wieder zum Besuch angekündigt. Daraus wird wohl nichts nach der am Montag angekündigten Kabinettsumbildung in Düsseldorf, aber vielleicht kommt ja ihre Nachfolgerin Christina Kampmann (SPD)

Die erste Ausstellung Schumachers hier, der von 2012 bis 2014 als Kurator am Museum Folkwang in Essen für den Bereich zeitgenössische Kunst verantwortlich war, macht eines programmatisch klar: Die Alte Reichsabtei wird künftig ihre Grenzen sprengen und Aachen auch mit internationalen künstlerischen Positionen konfrontieren, die nicht unbedingt einen direkten Bezug zum Land Nordrhein-Westfalen haben. Damit schöpft er ein Potenzial des Hauses aus, das Maria Engels als Vision bereits formuliert hat. „Sammlung mit losen Enden — Einsichten und Aussichten“ — das ist der Titel der ersten Schau, die einerseits Einsichten in die Sammlung der Fördereinkäufe des Landes und Aussichten in die junge Kunstszene Nordrhein-Westfalens und Belgiens geben soll.

Die Elterngeneration, als sie selbst noch jung war, begegnet dabei ihren Kindern: Thomas Ruff zum Beispiel. Er gehört zu den früh unterstützten Schützlingen des seit 1948 existierenden Förderprogramms, jungen Künstlern in NRW mit Ankäufen auf die Beine zu helfen — woraus die gewaltige Sammlung „Kunst aus NRW“ erwachsen ist. Ihm und seinen Kollegen wie Karl Otto Götz, Ernst Wilhelm Nay oder Günther Uecker stellt Schumacher aktuelle Positionen aus NRW und Belgien gegenüber und knüpft damit beziehungsreiche Verbindungen. Mit Jürgen Staack etwa, 2006 Meisterschüler von Thomas Ruff, später Professor für Fotografie an der Düsseldorfer Kunstakademie. Staack gehört auch künstlerisch zur nächsten Generation: Er „übersetzt“ Fotos in Sprache und Sound.

Mit Marianna Christofides, in der Sammlung Kunst aus NRW bislang nicht vertreten, verbinden sich nordrhein-westfälische und internationale Wurzeln: 1980 in Nikosia geboren, absolvierte sie 2010 ein Studium an der Kunsthochschule für Medien Köln. Für ihre Abschlussarbeit „dies solis. Sonntage in Nikosia“ begleitete sie über ein Jahr Arbeitsmigrantinnen aus Indien, Sri Lanka, Vietnam und von den Philippinen an ihrem einzigen freien Tag in der Woche. Ihre Arbeiten handeln von Herkunft und Verlust.

Zwei belgische Künstler

Aus Belgien stammen Hannelore van Dijk und Ante Timmermans — der hatte seine erste Ausstellung im deutschsprachigen Raum 2012 in St. Gallen und gilt als einer der spannendsten Zeichner der Gegenwartskunst. Wenn das keine Perspektiven für die Alte Reichsabtei sind! Drei große Ausstellungen soll es künftig pro Jahr geben, im Frühjahr, Sommer und im Herbst.

Aber bereits jetzt gibt es reichlich Spannendes im Erdgeschoss zu sehen — die obere Etage ist noch geschlossen, hier wird die Sicherheitsanlage auf den neuesten Stand gebracht.

Muster und Ornamente als Archetypen der Kunst sind das Thema dieser bereits laufenden Ausstellung, das in Beispielen von NRW-Künstlern wie Bernd und Hilla Becher, Jan Albers, Leni Hoffmann, Attila Kovács oder Katharina Maderthaner in allen Variationen auseinandergefächert wird. Titel: „Musterdeutung“. Von Katharina Maderthaner ist überdies der jüngste Ankauf der Kunst aus NRW zu besichtigen, eine Arbeit, die sie für eine Ausstellung des Kölner Schnütgen-Museums geschaffen hat: Inspiriert von mittelalterlichen Altartüchern, überführt sie ornamentale Formen von historischen Textilien in unseren Alltag: als kunstvoll gewirkte Überzüge für Mülltonnen. Was absurd wirkt, birgt Wahrheit: Was haben doch Mülltonnen und der ganze damit zusammenhängende Hintergrund nicht eine absurd wichtige Bedeutung für uns heute!