Aachen : „Faust“ mal anders: Vier Fäuste, vier Gretchen und noch mehr Mephistos
Aachen Irgendwann sind sie auf der Suche nach einem Titel für ihr Mammut-Projekt auch über Bud Spencer und Terence Hill gestolpert. „Vier Fäuste für ein Halleluja“ würde ganz gut passen, witzelten Regisseurin Christina Rast und Dramaturgin Inge Zeppenfeld. Aber Goethes „Faust“ als Westernparodie mit zwei komischen Haudegen? Das würde wohl doch auf eine falsche Film-Fährte führen.
Na ja, ganz so falsch ist die Fährte nicht: Vier Fäuste spielen da auf der Bühne des Aachener Theaters tatsächlich eine Rolle, die Frage nach der Religion — Halleluja — ebenfalls. Und Humor? Soll auch drin sein! Das war selbst für die Regisseurin eine Entdeckung, die den deutschen Dichterfürsten bisher eher als „trockenen Klassiker“ empfunden hatte. Jetzt inszeniert sie in Aachen nach „Hamlet“ ihren ersten Goethe — und gleich sein Überwerk im Doppelpack: „Faust“, erster und zweiter Teil, an einem Abend. Und der Titel lautet nun: „Faust 1+2 #konzentriert“.
Die 12.111 Verse werden also tüchtig eingedampft. „Wir möchten keine ausufernde Faust-Zelebrierung machen“, sagt die Dramaturgin, „sondern einen Abend, an dem man sich konzentriert mit dem Stoff auseinandersetzen kann.“ Wie viel Prozent übrig bleiben? Das ist noch nicht klar. Ein bisschen fühlt sich die Schweizer Regisseurin, die mit Cola light und Ricola-Kräuterbonbons auf der Probebühne sitzt, wie Goethe, der mit der Arbeit am „Faust“ eigentlich nie fertig geworden ist. Wichtig ist Christina Rast auf jeden Fall, dass es „keine leicht konsumierbare Reader's-Digest-Fassung“ wird. Die „Überforderung mit dem Stoff“ soll begreifbar werden.
Und weil ein Schauspieler allein mit den Textmassen des Faust auch überfordert wäre, lässt sie gleich vier miteinander die Titelrolle spielen? „Nein, das war überhaupt nicht der Grund!“, entrüstet sich Rast. Man wolle eben „nicht auf der psychologischen Schiene“ fahren, sondern „ins Variabel-Allgemeingültige zielen“, erklärt Zeppenfeld. Denn in Fausts Gedankenwelt erkennen die beiden Frauen ein „heutiges Lebensgefühl“: ein Getriebensein, immer höher, immer weiter, immer schneller, immer mehr wissen wollen — und dennoch unbefriedigt bleiben. Das betreffe nicht nur von Midlife-Crisis gebeutelte Männer. Rast war es daher wichtig, auch eine Faust-Frau dabeizuhaben. Und Katja Zinsmeister freut sich, mal nicht nur Opfer oder Projektionsfläche zu spielen.
„Erkenntnisreich scheitern“
Das höre sich vielleicht alles ziemlich abstrakt an, solle aber kein Thesentheater werden, betont die Regisseurin, sondern ein Trip — auf der zeichenhaften Bühne ihrer Schwester Franziska Rast und mit Klängen von Theatermusiker Malcolm Kemp, aber auch Roland Kaiser oder Queen. Der Trip führt Faust im ersten Teil mit Teufelspakt und Gretchen-Tragödie ins Private und im zweiten Teil durch die Welt. Da erkennt die Regisseurin „alles Themen, die ich heute in der Welt sehe“: etwa die Schaffung eines künstlichen Menschen oder kapitalistische Landgewinnung. Allerdings sei dieser zweite Teil schon eine Herausforderung, schwer verständlich und eigentlich unaufführbar. Doch er biete „die Möglichkeit, assoziativer mit dem Text umzugehen“. „Scheitern tut man damit eh“, meint die Dramaturgin. Aber das Ziel lautet: „erkenntnisreich scheitern“.
Hoffentlich scheitern die Zuschauer nicht daran, den Überblick zu behalten. Denn während im ersten Teil vier Fäuste und vier Gretchen auftreten und aus einem der Fäuste Mephisto wird, finden wir im zweiten Teil nur noch einen Faust, und alle anderen dürfen mal als Teufel ran. Manch älterer Zuschauer mag sich zudem fragen, was dieses Doppelkreuz im Titel soll. Damit werden beim Kurznachrichtendienst Twitter Schlagworte markiert. Man wolle sich damit aber nicht an ein jugendliches Publikum ranwanzen, betonen die Theatermacher. Viele Schüler werden trotzdem im Publikum sitzen, auch einige, die besser „Fuck Ju Göthe“, Teil 1 und 2, kennen. Karsten Meyer, einer der vier Fäuste, glaubt aber, dass auch sie „es kapieren und sich berühren lassen“. Die Inszenierung sei schließlich „modern und verständlich“. Und noch ein schlagendes Argument für den Besuch: „Sie ersparen sich mindestens 40 Stunden Lektüre!“
Vor mehr als 30 Jahren hat Dieter Löbach in Aachen beide „Faust“-Teile inszeniert — an zwei Abenden, vor 15 Jahren hat Peter Stein bei der Expo in Hannover alles ungestrichen gut 21 Stunden lang deklamieren lassen. Nun muss der Zuschauer solch eine Sitztortur nicht befürchten. Das Aachener Team peilt vier Stunden an, plus Pause. „Circa“, betont die Regisseurin. Und Katja Zinsmeister schiebt dann doch noch lachend ein „Vielleicht“ hinterher.