Aachen : Eine Petition gegen den Kulturbegriff der AfD
Aachen Die Alternative für Deutschland in Sachsen-Anhalt hat in letzter Sekunde eine fragwürdige Forderung aus ihrem Programm gestrichen. Eigentlich wollte sie Museen, Orchester und Theater verpflichten, einen „positiven Bezug zur eigenen Heimat“ zu fördern. Der Kunst- und Kulturbegriff der rechten Partei macht mitunter Angst. Etwa, wenn sie ein Kunstwerk der Documenta in Kassel, den Obelisken eines in Nigeria geborenen Künstlers, als „entstellte Kunst“ bezeichnet.
„Der ideologische Kampf gegen die Freiheit der Kunst bedroht unsere Kulturlandschaft — und damit eine Grundfeste unserer Gesellschaft. Dagegen wehren wir uns.“ So steht es in der „Brüsseler Erklärung“, die der Bundestagsabgeordnete Erhard Grundl, kulturpolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, unter www.change.org initiiert hat. Innerhalb einer Woche hat die Petition, die zunächst Komödiant Hape Kerkeling, Autor Wladimir Kaminer, Choreographin Sasha Waltz und Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, unterschrieben haben, mehr als 41.000 weitere Unterzeichner gefunden.
Unsere Redakteurin Madeleine Gullert sprach mit Grundl über den Druck von rechts auf die Kultur, zum Beispiel durch die Drohung von rechten Parteien, öffentliche Subventionen streichen zu wollen.
Herr Grundl, warum brauchen wir die „Brüsseler Erklärung“?
Grundl: Ich habe die Sorge, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung, die Vielfalt und die Freiheit der Kunst in Europa in Gefahr sind. Besonders kritisch sehe ich die Vorgänge im europäischen Ausland. In Polen, Ungarn und Österreich und wahrscheinlich bald auch in Italien beobachte ich, dass mit dem Erstarken rechtsnationaler oder rechtskonservativer Kräfte eine nationalistische Kulturpolitik einhergeht. Die Kulturpolitik und die Kunst werden instrumentalisiert.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Grundl: In Österreich wird beispielsweise der ORF-Journalist Armin Wolf, der eine Instanz ist und jede politische Richtung kritisch begleitet, systematisch von der FPÖ angegriffen. Das ist strenggenommen kein Beispiel aus dem Kulturbetrieb. Aber sobald Kunst und Kultur beschränkt werden, ist auch immer die Meinungsfreiheit bedroht.
Ist denn die Kunst besonders gefährdet, weil man dort eher unbemerkt eingreifen kann?
Grundl: Ja. Entscheidungen und Eingriffe aus der Politik sind zunächst auf eine gewisse Gruppe beschränkt. Wenn ein Intendant ausgetauscht wird oder ein bestimmtes Projekt keine Fördergelder mehr bekommt, interessiert das zuerst eher das unmittelbare Umfeld und nicht die große Öffentlichkeit. Wir beobachten beispielsweise in Ungarn, dass die wichtigen Köpfe aller Kulturinstitutionen in den vergangenen Jahren ausgetauscht wurden. In Ungarn, aber auch in Polen, stellen rechtsnationale oder nationalkonservative Kräfte die politische Mehrheit. Ihr Ziel ist, dass die Kunst dem Nationalen dienen soll. In diesem Verständnis dient die Kultur der Beweihräucherung des Nationalstaates.
Besteht diese Gefahr mit der AfD auch für Deutschland?
Grundl: Man muss sich bewusst machen, dass wir mit der AfD eine rechte Partei im Bundestag vertreten haben, die solche Tendenzen ebenfalls vorantreiben wollen würde. Allerdings beobachte ich im Bundestag auch, dass die AfD zwei Gesichter hat. Nach außen tritt die AfD als Krawallmacher auf, als Lautsprecher. Nach innen zeigt sie sich oft eher wehleidig. Die rechte Ecke ist nebulös und leer. Die AfD, aber auch Alexander Dobrindt (CSU) mit seiner „konservativen Revolution“, beschränken sich darauf zu kritisieren. Aber ihr Gegenentwurf fehlt. In unserer Erklärung heißt es: „Wir kämpfen für die Freiheit der Kunst!“ Das heißt für mich, dass die Menschen wieder diskutieren müssen. Natürlich meine ich damit die Politik, aber auch jeden Einzelnen: am Arbeitsplatz, in der Familie, überall.
Wurde beispielsweise die Diskussion, was Viktor Orban für Ungarns Kultur bedeutet, zu wenig geführt?
Grundl: Die Diskussion, was rechte Kräfte für die Kunst bedeuten, wurde bisher kaum bis gar nicht geführt. Ich werde aber nicht zulassen, dass rechte Kräfte mit den Mitteln der Kunst den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland und Europa zerstören.
Viele Menschen haben schon unterschrieben. Gab es inhaltliche Kritik an Ihrer Erklärung?
Grundl: Es gab die Frage danach, was für einen Kunstbegriff die „Brüsseler Erklärung“ verfolgt. Wenn Claudia Roth als Unterzeichnerin unter einer Petition steht, gibt es natürlich die Befürchtung, dass die Forderungen „grün gelabelt“ sind. Geht es uns um einen linksprogressiven Kunstbegriff? Eindeutig nein! Die Kunst ist meines Erachtens frei, und Politiker sollten sich nicht in die Kunst einmischen. Ich wurde beispielsweise oft zum Skandal um den „Echo“ gefragt. Farid Bang und Kollegah sind vielleicht schlechte Rapper, aber als Politiker muss man sich in der Bewertung ihrer Musik zurückhalten. Es gibt Recht und Staatsanwälte als Wächter dieser Gesetze, die überprüfen, ob Aussagen durch die Meinungsfreiheit gedeckt sind. In den rechtskonservativ regierten Ländern wird kontroverse, kritische Kunst zunehmend der Öffentlichkeit entzogen. Und wir dürfen nicht so tun, als sei das in Deutschland nicht möglich. Die Kunst muss immer den Mainstream hinterfragen — auch da, wo es wehtut. Das ist mir wichtig.
Bleibt heutzutage jeder zu viel in seinem Dunstkreis und ignoriert andere Meinungen?
Grundl: Ja, das ist ein Problem, weil Diskussionen in den Sozialen Netzwerken stattfinden. Auf meine erste Bundestagsrede gab es viele Reaktionen: positive, aber auch sehr viele negative. Löscht man das nun oder nicht?
Und?
Grundl Natürlich habe ich die Beleidigungen nicht gelöscht, obwohl viele Kommentare unter die Gürtellinie gehen. Man muss allerdings auch sagen, dass ich im Vergleich zu meinen weiblichen Kolleginnen noch gut wegkomme, die meist viel herbere Sprüche einstecken müssen. Man sollte Gesicht zeigen, deswegen finde ich es auch gut, seinen Namen und sein Gesicht für unsere Petition und unser Ansinnen herzugeben. Wenn wir viele sind, können wir besonders viel Aufmerksamkeit für das Thema erzeugen. Das ist das Wichtigste.
Welchen Stellenwert hat Kunst in der Gesellschaft derzeit?
Grundl: Die Kunst muss genauso wie die Kulturpolitik schauen, dass — wenn wir sie als Berg verstehen — sich der Berg in Bewegung setzt. Die Kultur muss mehr Menschen erreichen. Als Politiker, der sich mit Kulturpolitik beschäftigt, muss man sich für kulturelle Teilhabe einsetzen. Die Kunst selbst ist frei. Der will ich nichts vorschreiben. Wenn ein Künstler etwas nur für sich erschafft, dann ist das sein gutes Recht. Aber die Kulturpolitik muss dafür sorgen, dass die Bevölkerung daran teilhat.
Wie stellen Sie sich das denn konkret vor?
Grundl: Konkret würde ich mir wünschen, dass alle Museen frei zugänglich sind. Denn die Kunst und Kultur in den Museen ist die Kultur der Menschen. Ich bin überzeugt davon, dass das sogar wirtschaftlich machbar wäre. Aber da der Bund nur für einen sehr kleinen Teilbereich der Museen zuständig ist, ist es leider nur eine Idee.
Aber gerade auf kommunaler Ebene wird es häufig kritisiert, wenn Kultur subventioniert wird, und gleichzeitig das Schwimmbad geschlossen wird.
Grundl: Ich bin ja auch Kommunalpolitiker, da komme ich her. Diese Diskussionen sind mir deshalb bekannt. Man muss schauen, dass man das eine nicht gegen das andere ausspielt. Im Theater finden tolle Sachen statt, doch ein großer Teil der Bevölkerung bekommt davon nichts mit, weil er nicht ins Theater geht. Man muss Instrumente finden, mehr Menschen ins Theater zu holen. Wenn in einer Kleinstadt beispielsweise „A Clockwork Orange“ aufgeführt wird, sollten in der Vorstellung nicht nur die gleichen 75 Dauerkarteninhaber sitzen. Das wäre doch für breite Teile der Gesellschaft ein Thema. Die Politik muss das hinbekommen.
Warum ist denn die Teilhabe an Kultur derzeit so niedrig?
Grundl: Das liegt an der Spaltung der Gesellschaft. Umso niedriger das Einkommen, umso seltener gehe ich in die Oper oder ins Theater oder ins Museum. Der Arzt und der Maurer treffen sich eher im Fußballstadion als im Theater. Aber genau das wünsche ich mir für die Kunst, dass sich dort alle Menschen treffen.