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Aachen: „Ein Volksfeind”: Wenn die Wirklichkeit das Stück überholt

Aachen : „Ein Volksfeind”: Wenn die Wirklichkeit das Stück überholt

Filz und Klüngel sind allgegenwärtig - kaum ein Tag vergeht, an dem nicht wieder ein Fall von unrühmlicher Allianz aus Politik, Macht und Kommerz bekannt wird. Das war offenbar schon zu Henrik Ibsens Zeiten so.

In seinem knapp 130 Jahre alten Stück „Ein Volksfeind” prangert er die Machenschaften zwischen einem unmoralischen Bürgermeister, korrumpierten Medien und profitgierigen Investoren um ein mit faulem Wasser verseuchtes Kurbad an. Doch was als Thema auf den ersten Blick so aktuell erscheint, erweist sich auf der Bühne als wenig aufregend: Die Wirklichkeit hat das Drama längst überholt. Die Inszenierung von Elina Finkel in der Kammer des Aachener Theaters kann das abgelaufene Haltbarkeitsdatum des Stücks auch nicht mehr hinausschieben.

Badearzt Tomas Stockmann (Torsten Borm) hat heimlich Wasserproben entnommen, die Analyse bringt erschreckende Ergebnisse an den Tag: Die Kurgäste werden in der profitablen Badeanstalt vergiftet.

Die Presse verspricht die Veröffentlichung des Skandals, doch angesichts der in Aussicht stehenden negativen Folgen für die Stadt schmiedet sich allseits eine Mauer des Schweigens zusammen. Der investigative Arzt wird als „Volksfeind” denunziert.

Die Inszenierung stellt diese tragische Figur in den Mittelpunkt - den Idealisten, der noch Beifall erwartet, als ihn die vermeintlichen Unterstützer längst fallengelassen haben. Torsten Borm spielt die Rolle in all ihren Facetten wunderbar mit Verve aus - allerdings: Dieser Prototyp eines weltfremden Aufklärers ist in all seinen Aktionen genauso blind voraussehbar wie die Reaktionen seiner Umwelt - und das, weil Ibsen die Figuren allzu vordergründig instrumentalisiert, um die Mechanismen von Macht und öffentlicher Meinung nach seinem heftig kritisierten Stück „Gespenster” zu entlarven.

Das gipfelt in einem unsäglich abstrakten und heute total überholten Dialog zwischen Stockmann und Bürgermeister (Joey Zimmermann) über den Wert von Mehrheitsentscheidungen ungebildeter Massen in der neuzeitlichen Demokratie. Hier wäre ein kräftiger Strich gefragt. Die Protagonisten tragen dabei in dem Bühnenbild-Mix aus Badeanstalt und Schulaula mit haufenweise Kleiderhaken und Stühlen (Bühne und Kostüme: York Landgraf) keinen wirklichen Dialog aus, die Schauspieler scheinen sich in ihrem offensichtlich nicht verinnerlichten Disput nicht einmal anzusehen. Und Zimmermanns zahlreiche Texthänger tragen auch nicht dazu bei, überzeugendes Spiel zu demonstrieren.

Alles wie erwartet: Klar, dass Stockmanns Eheweib nur das Wohl der Familie im Sinn hat, Bettina Scheuritzel gibt der Figur immerhin glaubwürdig Leben.

Die direkte Ansprache des Publikums - als ob ein „Hearing” über die Zukunft der Badeanstalt stattfinden würde - und die Wiedergabe über Monitore zielt ab auf eine gewisse Aktualisierung des Stücks: Die Medien, zumal das Fernsehen, spielen bei derlei Konflikten eine immer größere Rolle. Allein: Die Dramatik jener Situationen hat man in Wirklichkeit häufig genug stärker, hautnaher und intensiver erlebt - bei Stuttgart 21 zum Beispiel.

Die Regie hat die Problematik offensichtlich auch erkannt und traute sich nicht bis zu einer Aktualisierung in die Jetztzeit: Sie siedelt das Stück mit einschlägigen Beatles-Stücken in den sechziger Jahren an, als die Praxis derartiger gesellschaftlicher Auseinandersetzungen noch viel naiver verlief.

Die Schauspieler agieren routiniert, außer Torsten Borm und Bettina Scheuritzel bleiben sie eher blass: selbst Nadine Kiesewalter (Petra), Joey Zimmermann, Rainer Krause (Morton Kiil), Elke Borken-stein (Redakteurin), Felix Strüven (Zeitungsmitarbeiter) und Thomas Hamm (Buchdrucker Aslaksen). Torsten Borm erhält den meisten Applaus.

„Ein Volksfeind” in der Kammer des Aachener Theaters.

Weitere Aufführungen: 15., 22., 26. November; 2., 10., 17., 21. Dezember; 8., 20., 27. Januar; 3. Februar.