Aachen : Die Wissensgesellschaft ist nicht für alle offen
Aachen Dass Kinder eher mit dem Computer spielen als sprechen können, ist kein Witz mehr.
Und die 85-jährige Patientin hat sich daran gewöhnt, dass der Doktor öfter auf den Bildschirm als ihr in die Augen schaut. Dazwischen liegen die Generationen, die - mehr oder weniger, freiwillig oder unvermeidlich - dem Computer einen beträchtlichen Teil ihrer Alltagsbewältigung anvertrauen.
Eine gespaltene Welt?
Keine Maschine, kein Auto, kein Vorgang in Unternehmen und Behörden, der nicht mehr von digitaler Informationstechnik abhinge. Im Beruf wie privat erwirbt derjenige einen entscheidenden Vorteil, der diese Technik cleverer als andere zu nutzen versteht. Der Zugang zum Internet bestimmt den Informationsgrad von Volksgruppen und Nationen, trennt Industrie- von Entwicklungsländern.
Wie sehr „der Computer” und davon abhängige Technologien Generationen, Bevölkerungsschichten und Länder trennen, vielleicht aber auch integrieren können - und welche Verantwortung Wissenschaftler dabei haben - darüber werden berufene Experten Anfang November in Aachen öffentlich nachdenken. „Klick! Eine gespaltene Welt? Der Zugang zur Technik in der Wissensgesellschaft” ist das 7. Interdisziplinäre und Internationale Hochschulkolloquium des Forums Technik und Gesellschaft an der RWTH überschrieben.
„Misthaufen Internet”
Die Themen sprechen für sich: „Technischer Fortschritt - Chance oder Spaltung der Welt?” „Der Zugang der Generationen zur Technik” „Der Zugang zur Informationstechnik aus Sicht der Entwicklungsländer”, „Technik für alte Menschen am Beispiel der Automobilität”. Darüber werden, neben anderen, referieren und diskutieren: Der Wissenschaftstheoretiker Ulrich Charpa, der Psychologe Georg Rudinger, der Medienforscher Wim Veen, der indische Technologieforscher Subbiah Arunachalam, die Aachener Professoren Wolfgang Prinz (Informatik) und Eva-Maria Jakobs (Kommunikation), die eine brandneue Studie zu den unterschiedlichen Technikbildern der Generationen vorstellt.
„Star” der anderthalbtägigen Veranstaltung wird aber fraglos Joseph Weizenbaum sein, wobei der so gar nichts von einem Star an sich hat. 81 Jahre alt ist der wohl bekannteste „Computerkritiker”, und noch immer ein gefragter, weil auch ungemein unterhaltsamer Redner, der das große und das kleine Kommunikations-Spiel kennt: „Ich weiß, manche laden mich ein, weil sie provokante Sachen hören wollen.” Die hat er auch mindestens sein halbes Leben lang in die Welt gesetzt. 1923 in Berlin geboren, wo er jetzt wieder lebt, 1936 mit seiner jüdischen Familie in die USA emigriert, entwickelt er dort die ersten Computer-Banksysteme überhaupt, ist an einem Raketentest-Computer beteiligt, macht ab 1963 eine rasante Karriere am weltberühmten Massachusetts Institute of Technology (MIT), wird dabei - und infolge des Vietnamkriegs - aber auch zum vernehmlichen Kritiker von Waffentechnik.
Weizenbaum: Internet ist ein „Misthaufen”
Sein bis heute bekannter und folgenreicher Coup ist das Computerprogramm „Eliza” von 1965, ein Spiel, bei dem der Rechner die Rolle eines Psychotherapeuten übernimmt. Entsetzt musste Weizenbaum feststellen, dass die Versuchspersonen dem Computer wie einem Menschen vertrauten. Seither sind die Gefährdungen und Fehldeutungen der Computerwelt „das” Thema Weizenbaums. „Der meiste Schaden, den der Computer potenziell zur Folge haben könnte, hängt weniger davon ab, was der Computer tatsächlich kann, als vielmehr von den Eigenschaften, die das Publikum dem Computer zuschreibt.” Das ist einer von vielen Kernsätzen seines berühmtesten, noch immer aktuellen Buchs von 1976 „Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft”, das auch den partiellen Größenwahn der Forschung zur Künstlichen Intelligenz kritisiert.
Hoffnung verbreitet der Humanist Joseph Weizenbaum, der eben kein Computer-, sondern Gesellschaftskritiker ist („Computer können mit Kritik nichts anfangen”), aber auch: „Natürlich habe ich das Internet einen Misthaufen genannt. Es geht nicht darum, dass wir etwas nicht wissen, weil wir es nicht finden können. Es gibt aber Inseln der Vernunft auf dieser Erde in einem Meer des Blödsinns.” Die wichtige Aufgabe des Informatikers sei es, über die Beschränkung seines Werkzeugs ebenso zu sprechen wie übe seine Möglichkeiten. Viele offene Ohren wünscht man sich da am 4. November in der so von der „Faszination Technik” beseelten RWTH Aachen.