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Aachen: Die „Nachmittagsmusik” für Badegäste als Pflichtübung

Aachen : Die „Nachmittagsmusik” für Badegäste als Pflichtübung

Mit einer Aufführung von Bruckners 8. Symphonie c-Moll in der Aachener Kirche St. Nikolaus feiert das Sinfonieorchester unter seinem Generalmusikdirektor Marcus R. Bosch am Pfingstmontag, 9. Juni, 11 Uhr sein 150-jähriges Bestehen.

Eigentlich ein Jahr zu spät, denn der Beschluss des Stadtrates zur Gründung datiert vom 23. März 1852 und trat am 1. Juni in Kraft. Doch man zählt lieber nach Spielzeiten. Und damit stimmt das Datum wieder.

Aachen kann sich jedenfalls rühmen, das älteste, in städtischer Regie geführte Orchester Deutschlands zu besitzen. Der oft genannte „Konkurrent” Leipzig scheidet aus: Das berühmte Gewandhausorchester ist eine bürgerlich-kaufmännische Privatgründung...

Es war kein „kulturelles Anliegen”, das die Ratsherren damals in Aachen bewog, 32 Musiker einzustellen, die im Jahr zwischen 200 und 300 Taler Gehalt bezogen, das zudem, wie sich dann zeigte, oft nur mit großer Verzögerung floss...

Vielmehr suchte man im Rathaus nach einer neuen Attraktion für die internationalen Badegäste, nachdem die ungeliebte preußische Regierung die Spielbank geschlossen hatte.

In der „Neuen Redoute”, dem heutigen so genannten Alten Kurhaus an der Komphausbadstraße hatten die Musiker alltäglich eine Nachmittagsmusik zu spielen also keineswegs wie in Leipzig unter dem großen Mendelssohn Symphonien von Beethoven und Schumann.

Ein Konzerthaus mit glänzender Akustik

Das kam erst später, als 1864 bei einem Niederrheinischen Musikfest das neue Konzerthaus an der Couvenstraße mit seiner berühmten Akustik eröffnet wurde. 1943 fiel es in Schutt und Asche.

Seitdem gibt es in Aachen bekanntlich das Konzertsaalproblem, das man 1977 mit der Errichtung des Eurogress als gelöst wähnte. Davon will man heute nichts mehr wissen, und so kann man nur hoffen, dass das geplante „Haus der Musik” Wirklichkeit wird.

Musikdirektoren kamen und gingen. Der erste, der sich später einen Namen machte, war Franz Wüllner (1858-1865). Aber erst unter dem legendären Eberhard Schwickerath (1887-1912) konnte man von einem regulären Konzertbetrieb reden.

Allerdings basierte der Ruhm Schwickeraths eher auf seiner weltberühmten Chorarbeit. Der erste große „Orchestererzieher” war der blutjunge Fritz Busch, den 1912 weit blickende Stadtprominenz aus Bad Pyrmont nach Aachen holte und der gemeinsam mit Orchester und Chor aus Köln 1913 Mahlers „Symphonie der Tausend” aufführte, wenige Jahre nach der Münchner Uraufführung.

Die nach dem 1. Weltkrieg 1919 erfolgte Übernahme des Theaters in städtische Regie kam auch dem Orchester zugute. Mit dem aus Weimar gekommenen Peter Raabe gewann das Orchester einen zielstrebigen, energischen Führer, der den Klangkörper von 48 auf 63 Stellen vergrößerte.

Wie damals gearbeitet wurde zeigen Zahlen: in seiner ersten Aachener Spielzeit hat Raabe 50 Mal am Aachener Konzertpult gestanden. Bedenkt man, dass damals 18 Opern auf dem Spielplan standen, darunter fast der ganze Wagner, so erscheint die quantitative Belastung der Musiker heute unvorstellbar.

Daran änderte sich auch nicht sehr viel, als 1935 der junge Herbert von Karajan den verdienten Raabe quasi aus dem Sattel hob. Das Orchester wollte ihn nicht, aber der weitsichtige Intendant setzte ihn durch.

So schrecklich jene Nazi-Jahre auch waren, so unstreitig hat Karajan, der Probenfanatiker, das Niveau des Aachener Musiklebens gehoben. Ältere Musikfreunde schwärmen zu Recht heute noch davon.

1944 sank alles in Schutt und Aasche, und es war das Verdienst des unvergessenen Domkapellmeisters Theodor B. Rehmann, dass bald aus der Asche neues Leben spross.

Felix Raabe, der Sohn Peter Raabes, leistete unter schwierigsten äußeren Bedingungen sieben Jahre lang Aufbauarbeit, ehe dann 1953 mit dem jungen Wolfgang Sawallisch der qualitative Anschluss an die Karajan-Jahre gelang.

Der Fehlgriff seines Nachfolgers wurde dann 1962 durch das langjährige Wirken von Wolfgang Trommer wettgemacht, ehe dann 1974 mit dem junge Karajan-Preisträger Gabriel Chmura, der am 21. September 1977 mit einer unvergesslichen Aufführung von Mahlers Auferstehungssymphonie den Europa-Saal des Eurogress eröffnete.

Mit Chmura begann eine systematische Mahler-Pflege. Mit Ausnahme der Siebenten und Achten Symphonie hat er sämtliche Symphonien des lange Verkannten großen Symphonikers aufgeführt.

Die neun Chmura-Jahre sind als bedeutende Zeit des Aachener Konzertwesens noch in lebendiger Erinnerung. Chmuras Nachfolger Yoram David (1984-1990) setzte diese Arbeit fort. In trauriger Erinnerung blieb der Tod des amerikanischen GMD Bruce Ferden nach nur kurzer Wirkenszeit, die ungemein viel versprach.

Schwierige Zeiten gab es schon früher

Schließen wir damit die Chronik, die ansonsten zur Kritik würde, was nicht Sinn dieses Rückblicks ist.

So bleibt zu hoffen, dass Marcus R. Bosch, dieser sehr initiative Musiker, als Nachfolger von Yukio Kitahara und Elio Boncompagni das wieder herstellt, was in den letzten Jahren verloren ging: die Liebe der Aachener Musikfreunde zu ihrem Orchester und seinen Leistungen in Konzert und Oper.

Und vor allem auch die materielle Sicherung in schwieriger Zeit. Was sagte in ähnlicher wirtschaftlicher Lage einst Peter Raabe: „Wenn die mit Händen zu greifende Gefahr beseitigt werden soll, dass Aachen als Kulturstätte um seine bisherige Stellung gebracht wird, so muss durchaus gebrochen werden mit der Methode, zu sparen an allem, was die Kunst angeht...”