Aachen : Die Musen im Minenfeld der Meinungen
Aachen Okay: Phyllida Barlow hätte, wäre sie nicht längst abgereist, garantiert Spaß gehabt an der munteren, zugegebenermaßen leicht chaotischen Debatte, die sich da buchstäblich rund um ihre Werke entladen hat.
Und geschenkt: Beim in jedem Sinne spannungsgeladenen Streifzug durch die Welt der britischen Künstlerin und jüngsten Trägerin des Aachener Kunstpreises zeigte sich beileibe nicht jede(r) Besucher(in) begeistert.
Am Ende blieb keineswegs nur diese Frage offen: Wer hat sich da eigentlich in die sprichwörtliche Höhle des Löwen begeben, nachdem die AZ zur exklusiven Führung mit Dr. Brigitte Franzen in die alte Schirmfabrik geladen hatte? Die Museumsdirektorin oder die Skeptiker, teils womöglich Verächter der zeitgenössischen Kunst, für welche Barlow auf ebenso unnachahmliche wie typische Weise stehen kann?
Egal. Unversöhnlich mag die Diskussion über Sinn oder Unsinn, Pfund oder Schund im Angesicht der provozierenden, jedenfalls in ihrer schieren Monumentalität imponierenden Objekte gelegentlich geblieben sein. Immerhin aber reckte gut die Hälfte der AZ-Leser, die der Einladung zur hautnahen Spurensicherung am „Tatort Forum” gefolgt waren, artig die Finger auf die schulmeisterliche Nachfrage, wer denn auch Bares berappen würde, um sich auf die provozierenden Kreationen der Künstlerin einzulassen. Andere - und nicht nur die streitbare Leserbriefschreiberin Caroline Reinartz, die sich der Konfrontation am und mit dem „Corpus delicti” gern stellte - brachten ihre Ablehnung freilich nicht minder deutlich zum Ausdruck.
Barlows Installation „planenfelsenstöcke” gab da nur eine willkommene „Vorlage”: Jenes scheinbar wild gestreute Kompendium von schmuddeligem Textil, bemalten Ästen und Steinen erinnere sie allenfalls an das Elend der Kriegs- und Nachkriegszeit, schimpfte eine ältere Dame. Da könne man doch froh sein, dass man heute im Herzen Europas eben nicht mehr in slum-ähnlichen Zuständen leben müsse. Mit Kunst aber habe das eben „nichts zu tun” - so wenig wie die übrigen im Forum präsentierten Werke der 68-jährigen Britin.
Ein Generationenproblem? Vielleicht, aber sicher nicht nur. „Natürlich müssen wir uns fragen, ob ein solches Werk eine Seele hat”, bekundete ein Herr, ebenfalls im fortgeschrittenen Alter. „Aber antworten muss darauf jeder für sich.” Von daher stehe er der modernen Kunst - auch wenn sie scheinbar chaotisch und jedenfalls hässlich daherkomme, durchaus positiv gegenüber.
Letztlich schieden sich die Geister also wohl am ehesten an der Einschätzung darüber, was zeitgenössische Kunst leisten kann und muss: „Sie muss auch Antworten auf die brennenden Fragen liefern statt nur Fragen aufzuwerfen, die sich doch jeder stellt”, meinte eine Beobachterin. Da dürften die Museen die Besucher eben nicht allein lassen, wenn es darum gehe - möglichst im Vorfeld - Informationen über die Arbeiten und die Arbeitsweisen von Künstlern wie Barlow zu liefern, damit auch „Otto Normalbürger” sich ein „vernünftiges Bild” machen könne, wie einer einwarf.
Zumindest darin zeichnete sich am Ende denn doch eine gewisse Einigkeit ab. Und zumindest darin folgten alle Teilnehmer der Museumsdirektorin auch im Geiste: „Häuser wie das Ludwig Forum braucht unsere Gesellschaft, wenn sie dem demokratisch verbrieften Recht der Kunstfreiheit wirklich Rechnung tragen will”, versuchte Brigitte Franzen eine Bilanz aus dem rund anderthalbstündigen (Stra)Spaziergang in Sachen moderne Musen im Minenfeld der Meinungen.
Und so könnte man die Debatte wohl endlos fortführen - vor allem im Hinblick auf das ewige Spannungsfeld zwischen Schöpfergeist und Kommerz, das an diesem Abend im Forum natürlich ebenso leidenschaftlich ausgelotet wurde. So bleibt - leider? zum Glück! - allenfalls dies zu resümieren: Fortsetzung folgt.