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„Die Menschen hungern nach dieser Musik”

„Die Menschen hungern nach dieser Musik”

New York. Dennis fröstelt. Zwischen den Häuserblocks weht ein scharfer Wind. Mit beiden Händen umklammert Dennis den Pappbecher, in dem noch ein Rest Kaffee ein bisschen Wärme verspricht.

„Wir sind gleich da”, sagt er und lächelt aufmunternd. Aufmunterung kann an diesem ungemütlichen Morgen nicht schaden. Eine Dreiviertelstunde später rinnt der Schweiß in Strömen über Dennis Gesicht. Arme, Beine und Hände, Füße, Hüften und Schultern - jeder Teil seines Körpers ist in Bewegung. Er ermuntert, feuert an, prescht vor.

Rund um die Welt

Dennis fordert vollen Einsatz. Von Rodney, von Farrin und Allan, von Marquel, Belinda und all den anderen Sängern und Sängerinnen, die sich um 11.45 Uhr in einem winzig kleinen Studio an der 251 West 30th Street drängen.

Hier, umgeben von Mikros, Kabeln und Verstärkern, ist Chorleiter Dennis W. Hinson (40) ganz in seinem Element. Er strahlt. „Wir haben vor fünf Tagen angefangen”, erzählt er später in der Pause und wischt sich mit dem Ärmel seines T-Shirts übers nasse Gesicht, „wir proben sechs Tage die Woche, von morgens bis abends.”

Wir - das sind „The Harlem Gospel Singers” und ihre Band. 19 Menschen, die sich dem Gospel verschrieben haben und, seit ihrer Gründung 1990, dessen Botschaft, den Glauben an Jesus, rund um die Welt tragen. Viel Zeit, um die neue Show „The power of soul” einzustudieren, bleibt dem Ensemble nicht - in Kürze geht es auf Europa-Tournee.

Dafür, dass Soul-Klassiker auch instrumental das richtige Feeling rüberbringen, sorgen ein Studio weiter der musikalische Leiter Anthony Evans (44) und Reverend Charles Lyles (54). „Happiness is here”, das Glück ist hier, ist das erste Stück für Saxofonist Q, Bassist Dominik, Drummer Kevin, Gitarrist Rick und den Reverend am Keyboard. Bei soviel Dynamik macht sich in der Tat Glückseligkeit breit.

Auch auf dem Gesicht der kleinen, ungeschminkten Frau in Trainingsanzug und Turnschuhen, die in einer Ecke des Raums steht und den Takt der Musik mitwippt. So bald Queen Esther Marrow ihre warme, volle Stimme erklingen lässt, sich von Ton zu Ton höher und höher hinaufschwingt, jede Zeile anfüllt mit tiefem, echtem Gefühl, begreift man, wieso ihr der Ehrenname Queen, Königin, verliehen wurde.

Hinson und Evans sind die Schrittmacher der „Harlem Gospel Singers”, Reverend Lyles ist ihr spirituelles Oberhaupt („Musik ist eine Sprache, die jeder versteht und ein Geschenk Gottes”) - Queen Esther jedoch ist ihre Seele.

„Die Menschen haben nach dieser Musik gehungert”, erinnert sie sich an die Anfänge des von ihr mitbegründeten Ensembles, „für mich war das sehr überraschend, denn ich bin mit Gospel groß geworden. In Harlem gibt es an jeder Ecke eine Kirche. Gospelmusik ist hier so normal wie bei euch Biertrinken”.

Das Volk der Biertrinker hat die „First Lady des Gospel” von Anfang an ins Herz geschlossen: „Wir lieben uns schon seit 15 Jahren, das deutsche Publikum und ich. Es war, als hätten wir miteinander die Ehe geschlossen.”

Zum 15. Hochzeitstag können sich die Dauerverliebten - die Königin aus Harlem und ihre deutschen Fans - auf acht neue Flitterwochen einstellen.