Aachen : Die Apotheke vor der Hütte: Benignos Kräutergarten
Aachen Es duftet im Garten von Benigno Gutiérrez: nach Kamille und Melisse, nach Fenchel und Estragon. Der 35-Jährige liebt seine 15 Kräuter nicht nur wegen ihrer wohlriechenden Brise. „Mit ihnen kann sich der Mensch viel Gutes tun”, sagt er und reibt ein Kraut mit breiten Blättern zwischen den Fingern.
„Der Saft vom Wegerich-Blatt vertreibt das Jucken nach Insektenstichen.” Benigno hat es heute auf den Estragon abgesehen: „Der hilft gegen Übelkeit, regt die Magensäfte an”, schwört der Mann, „und ist viel billiger als chemische Medizin”.
Benigno Gutiérrez ist eigentlich Weber. Vor vier Jahren erkrankte eines seiner fünf Kinder an der Lunge. Wegen der ständigen Geldnot hat die Familie das Kleine erst spät zum Arzt gebracht - zu spät, es starb.
Als Benigno Gutiérrez kurz darauf in der Kirche von der Ausbildung zum freiwilligen Gesundheitspromotor hörte, kam ihm das gerade recht: Der Vater wollte für seine übrigen Vier wissen, was er besser machen kann. Drei Jahre lang hat er je einen Tag in der Woche geübt, wie man Wunden verbindet, Spritzen setzt, Kinderkrankheiten behandelt und Naturheilmittel günstig herstellt.
Inzwischen stehen 400 freiwillige Helfer wie Beningo Gutiérrez ihren Nachbarn im Notfall bei.
An den Kosten für das Programm hat sich das katholische Hilfswerk Misereor in Aachen beteiligt - in den vergangenen drei Jahren mit rund 200.000 Euro. „Die Naturmedizin ist so wichtig, weil die Leute darüber verfügen können”, sagt Ileana de Leon, Programm-Koordinatorin der Erzdiözese. „Sie finden die Pflanzen auf den Feldern und können sie im Garten ziehen.” Die Schüler müssen nur wissen, wie und wofür man sie nutzt. Und wo die Grenzen sind - welche Krankheiten sich mit natürlichen Mitteln behandeln lassen und welche nicht.
„Als ich im Gemeindehaus gezeigt habe, wie man die Kräuter trocknet und verwendet, sind 60 Leute gekommen”, freut sich Benigno, dass er seine Nachbarn allmählich überzeugt, auch Kräuter heranzuziehen. Seine getrockneten Schätze schweißt er in Plastik ein - die er zum Versiegeln sorgsam durch eine Kerzenflamme zieht. „Damit sie luftdicht sind und lange halten”, erläutert er.
In einem großen Topf kocht der Kräutermann Wasser ab, gibt Kiefernnadeln hinein und ein Stück Ingwer. „Dazu ein halbes Glas Eukalyptus sowie Bougainvillea-Blätter für die rote Farbe und Honig”, ergänzt der Heilkundler. Hat er den Sirup abgeseiht, schmeckt der am Ende so süß, dass ihn die Kleinen gerne schlucken.
Im Hochland leiden gerade Kinder oft an Erkrankungen der Atemwege: „Husten, Schnupfen, Bronchitis”, zählt Ärztin de Leon auf. Minusgrade in der Nacht und viel Wind tragen dazu ebenso bei wie das Leben vieler Dörfler auf engem Raum.
Auch Benignos Familie hat wenig Platz: Die Eltern und ihre vier Kinder teilen sich zwei breite Betten im Schlafzimmer, in dem auch noch die Kräuterküche untergebracht ist. Unterm Dachgebälk hält eine blaue Plastikplane notdürftig den Regen ab. Zudem achten die Eltern darauf, dass ihre Kinder Strickwesten tragen: Ihr Nachwuchs soll gar nicht erst krank werden.