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Aachen: Der Mensch ist ein Abgrund: Rege Gespräche

Aachen : Der Mensch ist ein Abgrund: Rege Gespräche

Das Publikum beim 22. NRW-Theatertreffen hat nicht nur die Chance, mehr über Akteure und Macher zu erfahren - es nutzt sie auch.

So gerieten die Gespräche nach den Aufführungen von Gregory Burkes „Gagarin Way” (Schauspiel Essen, Kammerspiele) und „Einordnen/Ausflug/Land der Toten” von Neil LaBute (Schauspiel Bochum, space, Ludwig Forum) zu intensiven Exkursen über die Autoren, über Moral und Gesellschaft, Theater und Aufklärung.

Manfred Langner, Intendant des Grenzlandtheaters, moderierte das Publikumsgespräch in den Kammerspielen. Gregory Burkes „Gagarin Way” - Inszenierung Rüdiger Burbach - erzählt vom hilflos-mörderischen Versuch, alte Ideale zu verwirklichen.

Der schottische Autor ist ein Außenseiter, „Gagarin Way” sein erstes Stück, das deutlich autobiographische Züge trägt. Und hier setzen Zuschauerfragen ein. Wer ist dieser Burke?

„Vieles betrifft ihn selbst, er stammt aus einer kommunistisch geprägten Bergarbeiterregion”, erzählt der Regisseur, unterstützt von Dramaturgin Almuth Voß. „Irgendwie ist auch er dauernd gescheitert.”

Und die Akteure gehen noch weiter. „Ein gewaltbereiter Charakter”, meint Steffen Gangloff, Darsteller des sprunghaften, gefährlichen „Eddie”, mit dem Burke eine Menge verbindet.

Michael Schütz verkörpert den etwas trotteligen „Gary”, Jürgen Haug ist „Frank”, der Entführte aus der Chefetage, Ingo Biermann spielt den naiven Wachmann „Tom”.

Ist das Stück mit seinem bissigen Witz wirklich lustig? Manche finden das gar nicht. Und die kommunistische Idee, von der die Täter dauernd reden: „Schnee von gestern”, hört man im Publikum, das die Inszenierung allerdings sehr lobt.

Langner ist anderer Ansicht: „Wir erleben noch immer den Terrorismus, die Fanatiker, denken Sie nur an Schleyer.” Und wie ist dieser Frank zu sehen, der so gar keine Angst vor dem Ermordet-Werden hat?

„Bei den Proben habe ich ihn zuerst mit Todesangst gespielt, das wollte ich unbedingt”, erzählt Haug. „Aber das ging nicht auf, dieser Mann ist genauso desillusioniert wie alle. Deshalb will er sterben.” Gedanken der Darsteller, die man sonst nie erfährt.

Aachens Kulturdezernentin Isabel Pfeiffer-Poensgen moderierte das Gespräch nach der Aufführung von Neil LaButes drei Einaktern durch das Schauspiel Bochum im Ludwig Forum.

In scheinbar alltäglichen Gesprächen erwächst nach und nach die eigentliche Brisanz der Themen: Sexueller Auswuchs, Kindesmissbrauch, Abtreibung.

Dramaturg Thomas Oberender erläutert den biographischen Hintergrund des Autors: „Neil LaBute ist Mormone. Er richtet einen fundamentalistisch-christlichen n Blick auf die funktionierende Gesellschaft und offenbart die im biblischen Sinne verwerflichen Sünden des ganz gemeinen Alltags.”

Das Publikum ist erstaunt, als es hört, dass „Land der Toten” in den USA verboten wurde, weil es die Geschehnisse des 11. September mit einer „banalen” Abtreibung konfrontiert.

Oberender: „Dieser Umgang mit dem Thema galt als nicht heroisch genug.” Währenddessen ziele LaBute auf den „systemimmanenten Terror” ab, wo mal eben am Frühstückstisch entschieden werde, ob ein Kind auf die Welt kommt oder nicht”. LaButes Vorbild sei „Woyzek” in der Erkenntnis: „Der Mensch ist ein Abgrund.”